"Traurig, was man über Marsalek liest. Mir hat er sehr gefallen."
Herr Tschuprygin, wissen Sie, wo Jan Marsalek ist?Ich habe keine Ahnung und würde es selber gerne wissen. Angeblich ist er ja irgendwo in Russland.Ich bezweifle das. Es hat eher mit dem Diskurs in Europas Medien zu, dass alle Unannehmlichkeiten aus Russland kommen. Er könnte auch in den USA oder England sein. Auch sie verstecken Leute, obwohl sie immer so unschuldig und heilig tun. Aber auch Russland versteckt gerne flüchtige Leute.Da haben Sie natürlich recht. Wir haben viele von ihnen. Aber ich denke, was soll Marsalek hier schon tun, wenn man sich seinen aktiven Charakter vorstellt. Faktum scheint zu sein, dass er oft in Russland war und enge Verbindungen pflegte.Ja, soweit ich weiß, kam er oft hierher. Wie kam der Kontakt zustande?Ich bin eine öffentliche Person, auf meiner Website steht, dass ich Berater in Fragen zum Nahen Osten bin. Auch Marsalek wollte 2016 einige einfache Ratschläge, wie man in Libyen Beziehungen zu Unternehmern und Politikern aufbaut, wo man reingelegt wird und wo nicht. Nichts Außergewöhnliches. Hatte er da schon ein Geschäft in Libyen?Ich denke, ja. Im Detail hat mich das nicht interessiert. Und dass er für Wirecard arbeitete, wusste ich auch nicht. Bei mir war er immer als Privatperson. Marsalek soll in Libyen nicht nur in Fabriken investiert, sondern ein “militärisches Konversionsprogramm” verfolgt haben, um über 15 000 libysche Milizionäre zu Grenzbeamten auszubilden. Haben Sie mit ihm darüber geredet?Nein. Ich war sehr verwundert, als ich das in den Medien las. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er nah an solchen Programmen war. Das verfolgen die einzelnen Staaten selbst längst direkt. Moskau könnte ihn dafür verwendet haben.Russland arbeitet in Libyen über eigene Kanäle. Freilich ist alles möglich. Aber ich wüsste nicht, wie ein Außenstehender Moskau hätte nützen können. Über den globalen Zahlungsabwickler ließe sich Geld weitgehend unbemerkt transferieren.Dass Wirecard das für Privatleute gemacht hat, ist durchaus möglich. Aber doch nicht für den Staat! Ich kenne Libyen sehr gut. Wissen Sie, wie viel 15 000 Leute sind? Das wäre ein Projekt von globalem Ausmaß und nicht einmal von den libyschen Machthabern zu stemmen. Da spinnt die westliche Presse ein seltsames Thema immer weiter. Hat sich Marsalek allein mit Ihnen getroffen?Ich habe nur mit ihm geredet. Aber es waren Partner oder Freunde von ihm dabei, Deutsche oder Österreicher. Wie oft haben Sie sich gesehen?Ein paar Mal in Moskau, aber auch in München und in Wien. Ziemlich oft, obwohl es nur um einfache Beratung ging, wie Sie sagten.Warum wundert Sie das? Ich habe genug Bekannte in Europa. Und da treffe ich mich mit ihnen eben, wenn ich irgendwo etwa auf einer Konferenz bin. Medienrecherchen haben ergeben, dass Marsalek mit dem GRU kooperiert hat.Ich bitte Sie! Es ist üblich geworden, überall den GRU zu vermuten. Natürlich war Marsalek mit den vielen Reisen nach Russland den Geheimdiensten bekannt. Aber ich bezweifle, dass er mit einem von ihnen kooperiert hat. Er scheint mir nicht der Typ und nicht geeignet dafür zu sein. An der Fähigkeit zu lügen kann es wohl nicht scheitern.Sie irren, wenn Sie denken, dass Geheimdienstler immer lügen. Diplomaten lügen öfter. Das weiß ich aus meiner Erfahrung beim Sowjetmilitär. Sie sollen ja selbst ehemaliger hochrangiger GRU-Offizier sein.Ich bin Ex-Offizier, ja. Aber offenbar ist es üblich, jemanden, der zwei Sprachen beherrscht, einen großen Teil des Lebens im Nahen Osten verbracht hat und Armeeoffizier war, dem GRU zuzuordnen. Ich habe fürs Militär bis 1989 Arabisch und Englisch übersetzt. Auch für Leonid Breschnew. Und beim Militärdienst im Nahen Osten, dem Epizentrum des Kalten Krieges, stößt du natürlich immer auf Geheimdienstler – russische wie amerikanische und britische. Ich hatte auch mit der UNO und NATO-Offizieren zu tun. Bestens haben wir zusammengearbeitet. Nun bin ich fast 70. Was zum Teufel soll der GRU hier! Laut “Financial Times” werden Sie ihm von westlichen Geheimdiensten zugeordnet.Ein wirklicher Kenner kann das nicht gesagt haben. Wie gesagt, es klingt so, als gäbe es in Russland nur den GRU. Gut, es ist müßig, Sie dazu zu fragen: Stimmt es, werden Sie es doch nicht zugeben.Sie irren. Jemand in meinem Alter, der 1989 das Militär verlassen hat, bräuchte kein Geheimnis darum zu machen. Es heißt, bei Geheimdienstlern gibt es keine ehemaligen.Das ist ein literarisches Verfahren aus den Büchern über James Bond. Wann haben Sie Marsalek zuletzt getroffen?Es ist zumindest ein Jahr her. Traurig, was man über ihn liest. Mir hat er sehr gefallen. Ein kluger, aktiver und emotionaler Mensch. Vielleicht ruft er ja wieder an, meine Kontaktdaten hat er. Das Interview führte Eduard Steiner.