BREXIT WIRFT VIELE FRAGEN AUF - GASTBEITRAG

Trifft ein EU-Austritt vor allem Banken?

Börsen-Zeitung, 28.6.2016 Die Unsicherheit über die Frage, ob - und wenn ja, wann - ein Brexit kommen wird, bleibt hoch. Während sich die politischen Akteure in unbekanntes Gewässer vorwagen, scheint eine wahrscheinliche Folge schon heute...

Trifft ein EU-Austritt vor allem Banken?

Die Unsicherheit über die Frage, ob – und wenn ja, wann – ein Brexit kommen wird, bleibt hoch. Während sich die politischen Akteure in unbekanntes Gewässer vorwagen, scheint eine wahrscheinliche Folge schon heute festzustehen: die Wirkung auf europäische Finanzinstitute. Aktienindizes fielen auf historische Tiefstände, im Wesentlichen wegen der Wertverluste von Aktien und Anleihen von Banken, Versicherungen und anderen Intermediären. Die Deutsche Bank und die Commerzbank verloren zwischen 15 und 16 %, die Allianz 13 %. In Frankreich fielen Aktien der Société Generale um 20 %, BNP Paribas um 17,4 % und Axa um 15,5 %. In Italien geht die Angst umBesonders besorgniserregend ist die Lage in Italien. Im Laufe des letzten Monats konnte man einen Anstieg von Kreditausfällen beobachten, gekoppelt mit einem Kursrutsch zahlreicher Bankanleihen fast bis zur Wertlosigkeit, etwa Veneto Banca oder Popolare di Vicenza. Der neu errichtete private Bankfonds Atlante kümmert sich derzeit um Finanzspritzen, gleichwohl geht die Furcht um, ein bedeutender Teil des italienischen Bankensystems stehe vor einem Kollaps. Instabilität trifft FinanzmarktEine Vorhersage über die Fortentwicklung von Verhandlungen zwischen dem Vereinigten Königreich und der Europäischen Union ist schon deshalb zum jetzigen Zeitpunkt unmöglich, weil noch nicht einmal feststeht, ob und wann die Einleitung des Verfahrens nach Art. 50 EUV überhaupt stattfinden soll. Fest steht freilich, dass politische und wirtschaftliche Instabilität typischerweise zuerst die Finanzmärkte trifft. Im Falle des Brexit könnten hiervon vor allem Banken betroffen sein: Sie leiden besonders unter Unsicherheit und Ansteckungseffekten.Unsicher ist etwa, wie sich der Finanzplatz London als Drehscheibe des internationalen Finanzverkehrs außerhalb der Europäischen Union aufstellen würde. Das betrifft vor allem die Fortgeltung des “europäischen Passes” für Kreditinstitute. Während derzeit eine britische Bank mit ihrer im Vereinigten Königreich erhaltenen Zulassung und unter dortiger Aufsicht europaweit Niederlassungen betreiben darf, wäre dies nicht mehr möglich, wenn das Vereinigte Königreich als sogenanntes Drittland eingestuft werden würde. Dasselbe gilt für eine amerikanische oder chinesische Bank, die sich in London niederlässt, um unter Inanspruchnahme des europäischen Passes unionsweit Niederlassungen zu gründen. Ähnliche Folgen ergeben sich für die Anlageberatung oder für alternative Investmentfonds sowie für Peer-to-Peer-Lending-Plattformen wie etwa Zopa, RateSetter oder LendInvest. Ansteckungseffekte möglichAnsteckungseffekte lassen sich denken, wenn die politisch und wirtschaftlich unsichere Lage im Vereinigten Königreich zu einer Lähmung britischer Banken führt, die sich wiederum auf andere Banken auswirkt, die in Geschäftsverbindungen mit britischen Banken stehen. Im Auge zu behalten sind auch mögliche Auswirkungen eines Brexit auf die geplante Kapitalmarktunion. Während bislang Jonathan Hill als Gewährsmann für die passgenaue Abstimmung der Kapitalmarktunion mit Ländern außerhalb der Eurozone galt, werden nach seinem Rücktritt Rufe laut, die Kapitalmarktunion ausschließlich auf die Euro-Länder zuzuschneiden.Die Koordination der Zentralbanken zur Einschränkung von Währungsschwankungen ist etabliert und funktioniert. Inwieweit der Einschuss von Zentralbankliquidität die Bedrohungen des Bankensektors auffängt oder eine weitergehende Abstimmung erfordert, bleibt abzuwarten.—-Ester Faia, Lehrstuhl für Geld und Währung, House of Finance, Goethe-Universität Frankfurt —-Katja Langenbucher, Lehrstuhl für Wirtschaftsrecht und Bankrecht, House of Finance, Goethe-Universität Frankfurt