GASTBEITRAG

Tutto in famiglia?

Börsen-Zeitung, 4.3.2017 Aus der Europäischen Zentralbank (EZB) wird berichtet, dass sich Mario Draghi weit häufiger in Italien aufhält als in Frankfurt. Angesichts des Zustands des italienischen Bankwesens gibt es für den ehemaligen Gouverneur der...

Tutto in famiglia?

Aus der Europäischen Zentralbank (EZB) wird berichtet, dass sich Mario Draghi weit häufiger in Italien aufhält als in Frankfurt. Angesichts des Zustands des italienischen Bankwesens gibt es für den ehemaligen Gouverneur der Banca d’Italia, also der Bankaufsichtsbehörde Italiens, hierfür gute Gründe. Denn das italienische Bankensystem ächzt unter der Last von wahrscheinlich 400 Milliarden Euro an ausfallgefährdeten Kreditforderungen. Hinzu kommt der seit Jahren währende Skandalfall des Bankhauses Banca Monte dei Paschi di Siena (MPS), der drittgrößten Bank des Landes, für die sich trotz großer staatlicher Unterstützung keine privaten Kapitalgeber mehr gefunden haben. Dafür meldet diese drittgrößte Bank des Landes einen Verlust von mehr als 3,4 Mrd Euro im Geschäftsjahr 2016.In der institutionellen Infrastruktur der Europäischen Währungsunion gibt es für die gegenwärtige Notlage mehrere adäquate Instrumente: Zum einen ist es nach Artikel 15 des European Stability Mechanism (ESM), des Europäischen Stabilitätsmechanismus, möglich, Banken auch direkt zu rekapitalisieren. Allerdings muss sich das Land dafür einem Länderprogramm unterwerfen. Ferner sieht der Artikel 32 der EU-Richtlinie zur Sanierung und Abwicklung von Finanzinstituten (BRRD) vor, dass im Rahmen einer solchen Rekapitalisierung Gläubiger der Bank in Gestalt des sogenannten Bail-in an den Lasten der Rekapitalisierung beteiligt werden. Beides lehnt die italienische Regierung kategorisch ab. Eine Rekapitalisierung über den ESM möchte sie nicht, weil sie ein Länderprogramm fürchtet, wie der Teufel das Weihwasser. Den Bail-in, obschon geltendes europäisches Recht, an dessen Zustandekommen Italien mitgewirkt hat, hält die italienische Regierung für unvereinbar mit der italienischen Verfassung. Stattdessen hat sie mit einer Notverordnung (Decreto legge) vom 23. Dezember 2016 eine Ausnahmebestimmung der BRRD-Richtlinie zu ihren Gunsten aktiviert. Hiernach gelten Institute, die eine vorsorgliche Rekapitalisierung durch den Staat erfahren, dann nicht als fallierend oder wahrscheinlich fallierend, wenn sie zumindest noch solvent sind. Umgehung des Bail-inDas, was als Ausnahme zu einer Vermutungsregelung aufgestellt worden ist (“Failing or likely to fail”), wird auf diese Art und Weise zu einem Einfallstor zur Umgehung des Bail-in, der wichtigsten Neuerung, die die Väter und Mütter der Bankenunion in Brüssel stets als Errungenschaft gepriesen hatten.Das Single Resolution Board, also die Bankenabwicklungsbehörde in Brüssel, kommentiert die von Italien beanspruchte und durchgeführte vorsorgliche Rekapitalisierung mit dem Hinweis darauf, dass sie die Insolvenz der betroffenen Banken nicht beurteilen könne. Diese Kompetenz liege in der Zuständigkeit der Banca d’Italia. Jene Banca d’Italia hat indessen in voller Kenntnis über den Sanierungsbedarf des italienischen Bankensektors noch unter der Verantwortung von Mario Draghi alles getan, um das Ausmaß der strukturellen Katastrophe und des seit Jahren anhaltenden Schwelbrandes zu vertuschen. Die MPS ist seit Jahren die Skandalbank Italiens und kaufte 2008 – unter ausdrücklicher Zustimmung der Banca d’Italia und deren Chef Draghi – die verlustträchtige Banca Antoniana Popolare Veneta für 9 Mrd Euro. Ausweislich der zwei wesentlichen europäischen Stresstests hatte die MPS stets unzureichend Eigenmittel und schnitt als am stärksten unterkapitalisierte Großbank Europas ab. Der von der EZB anfänglich mit 2,2 Mrd Euro quantifizierte Rekapitalisierungsbedarf wuchs auf 5,5 Mrd Euro und sprang zum Ende 2016 auf fast 9 Mrd Euro. Dafür gab die EZB als Bankenaufsicht nie eine Erklärung. Flächenbrand verhindernHeute kann Draghi, der für die Problemlage in Italien vollumfänglich verantwortlich ist, auf die Solidarität der Europäischen Kommission bei der beihilferechtlichen Bewertung der Rekapitalisierungsbemühungen der italienischen Regierung zählen. Denn die Europäische Kommission hatte schon im Frühjahr 2016 die Intervention des italienischen Staates in Gestalt von Garantien deshalb als nicht beihilferechtlich relevant heruntergespielt, weil angeblich die Garantien zu Marktpreisen erteilt wurden. Gegenwärtig arbeiten EZB und Kommission kollusiv zusammen, um zu verhindern, dass aus dem italienischen Schwelbrand ein europäischer Flächenbrand wird.Man führe sich das Schauspiel vor Augen: Seit 2012 trommelt die Kommission für die Zentralisierung der Bankenaufsicht bei der EZB (SSM) und für die Konzentration der Bankenabwicklung bei einer Kommissionsagentur (SRM), während sie beim ersten Bewährungsfall, unter dem Druck der italienischen Regierung und aus Angst vor neuen Verwerfungen in der Eurozone, die Nichtanwendung der erst kürzlich in Kraft gesetzten Regeln organisiert.Dabei scheinen die mit viel Aufwand konstruierten Institutionen und Regeln zur Bankenunion weder für die Hüterin der Verträge, die Europäische Kommission, noch für den EZB-Chef irgendeine Rolle zu spielen. So wird nicht nur das Single Resolution Board massiv in seiner Autorität beschädigt. Vielmehr bleibt auch die Idee Europas als Rechtsgemeinschaft endgültig auf der Strecke.—-Markus C. Kerber, Professor für öffentliche Finanzwirtschaft und Wirtschaftspolitik an der TU Berlin