Über die Retailbanken rollt eine zweite Fintech-Welle

Digitale Aggregatoren bankfremder Geschäfte und Vergleichsplattformen besetzen die Kundenschnittstelle - Verknüpfung mit Online-Handel

Über die Retailbanken rollt eine zweite Fintech-Welle

Von Björn Godenrath, FrankfurtWährend zuletzt fälschlicherweise der Eindruck entstanden war, Fintechs würden sich verstärkt als Dienstleister im Hintergrund dem B2B-Geschäft widmen und damit dem Konkurrenzkampf mit den Banken um den direkten Kundenkontakt aus dem Weg gehen, hat sich allmählich eine zweite Fintech-Welle aufgebaut, die genau an dieser Schnittstelle ansetzt und nun mit Wucht über die Retailbanken hinwegrollt. Plattform-Modell 3.0Die Hauptakteure dieser zweiten Welle – Paypal und die frühen Neobanken waren die erste Welle – sind mobile “Super Apps”, die bereits eine große Nutzergemeinde haben und nun ihre Plattform mit Banking-Funktionalitäten aufladen und damit selbst in ihre 3.0-Phase gehen. Dabei fungieren sie als Aggregatoren, die bankfremdes Geschäft (Messaging etc.) mit Multibanking (Konto, Spar- und Investmentprodukte) vereinen, sodass Nutzer mit einer App große Teile ihre Alltags bestreiten können. Damit werden die Kundenschnittstellen besetzt und die Banken reduziert auf die Rolle des Produktlieferanten und Zahlungsabwicklers – wenn dafür nicht auch schon Partner-Fintechs aus dem Dunstkreis Banking-as-a-Service herhalten oder wie in China die Super-App-Betreiber Alibaba und Wechat dafür eigene Banken-Töchter haben.Diese Industrialisierung des Bankgeschäftes findet zum einen über Bigtech statt, zum anderen als Graswurzel-Bewegung von auf dem deutschen Markt tätigen Akteuren wie Check24 und Stocard. Dabei kommt Stocard als digitaler Aggregator von Rabattmarken und Coupons über die Shopping-Seite und die aus Funk und Fernsehen bekannte Check24 über ihre Kernfunktionalität als Vergleichsplattform. Doch während Stocard beim Banking voll über PartnerLizenzen geht und alles sehr eng am Kernprodukt “Einkaufen und Bezahlen” hält, hat Check24 eine eigene Banklizenz erworben, nimmt jetzt den Betrieb auf und geht voll in Konkurrenz zu Banken und Neobanken.Fünf Kontomodelle stehen zur Verfügung, wobei das Basismodell 5,90 Euro im Monat kostet, ein Premium-Konto gibt es für 9,90 Euro im Monat. Dabei ist die Kernfunktion “Konto und Payment” nur eine von sechs Anwendungen in der Banking-App, daneben stehen “Kredit”, “Versicherungen” und “Geldanlage”. Hinzu kommen mit “DSL und Mobilfunk” sowie “Strom und Gas” die beiden Klassiker der Vergleichsplattform. Der Clou liegt dann in der integrierten Datenanalyse, was ein Treibstoff ist für ein provisionsträchtiges Upselling von Produkten. Allerdings könnte die C24 Bank mit eigenen Krediten ihre Partnerbanken vergraulen, was das Basisprodukt Vergleichsplattform schwächen würde. Aber vielleicht ist die Marktmacht von Check24 inzwischen auch so groß, dass ein Meiden der Plattform keine Option für die Banken ist.Bemerkenswert an der C24 Bank ist, dass man möglichst viel über das hauseigene Konto leiten will, was im Zahlungsverkehr über eine Mastercard Debit läuft – und C24 einen Strom an Interchange-Gebühren verspricht. Zudem kann in allen Kontomodellen Apple Pay und Google Pay genutzt werden – Check24 hat ihre größte Reichweite über Android-Geräte.Wo die beiden Super-Apps von Stocard und Check24 aber so richtig punkten dürften, ist ihre Verknüpfung mit der Cashback-Komponente im Online-Handel. Diese Rückvergütung für die Vermittlung von Käufern wird in der Regel mit dem Kunden in der Form eines Preisnachlasses geteilt, was den Spielraum für Null-Prozent-Finanzierungen bzw. Pay-Later-Produkte erhöht. Dagegen können die Banken nicht ankommen, kommt ihr Zinsangebot doch on top zum regulären Kaufpreis. Lust aufs AktiengeschäftStocard entwickelt sich dabei ganz sanft entlang des Leitgedankens, dass Einkaufen immer eine Form von Bezahlen ist. Und wo das Geldausgeben stattfindet, ist die Schnittstelle zur Geldanlage nicht weit. Das haben allerdings auch die Neobroker und die Neobanken auf dem Zettel: Alle stürmen die Schnittstelle für Geldanlage und Investment in dem Bewusstsein, dass sich bei steigenden Aktionärszahlen eine neue Lust aufs Wertpapiergeschäft breit macht, das über Aktien- und ETF-Sparpläne niedrigschwellig zugänglich ist. Das hatten zwar auch schon Broker wie die Comdirect begriffen, aber angesichts des Siegeszuges von Robinhood in den USA wird deutlich, dass es eine junge digitalaffine Zielgruppe gibt, die Bock auf Geldanlage (und Zocken) hat, sofern upfront keine Gebühren anfallen und sich die Bedienbarkeit in der Finanz-App so anfühlt, wie man es aus den Dingen des digitalen Alltags kennt. Dabei dürfte das um sich greifende Gratisbrokerage unangenehme Nebenwirkungen für Banken und Assetmanager haben: Warum sollte man vorab Gebühren für Allerweltsprodukte bezahlen, von denen man noch gar nicht weiß, ob sie ihre Zielrendite überhaupt erreichen? Das Modell der Zukunft ist, dem Vermittler des Produktes an einer Rendite Teilhabe zu gewähren, wenn sich diese nach ein, zwei oder drei Jahren manifestiert hat. Das wäre dann dieses “Skin in the Game”, von dem man in der Geldbranche so gerne redet: Wer von seinen Produkten und Anlagekonzepten so überzeugt ist, sollte sich dieser Form von “Pay Later” nicht verschließen. Zudem tauchen am Horizont schon Anlagemodelle auf, die eine automatisierte Aggregation von Anlageprodukten in einem Basket vornehmen, basierend auf Stamm- und Verhaltensdaten aus dem persönlichen digitalen Raum. Ob das dann wirklich so tolle Ergebnisse bringt, da darf man skeptisch sein – aber die Generation Tiktok wird’s ausprobieren. Verlagerung der VermögenUnd genau das macht die perfekte Welle aus: Während sich das Finanzgeschäft mit großen Teilen der Retail-Wertschöpfungskette auf digitale Plattformen verlagert, findet in den kommenden zehn bis zwanzig Jahren eine gigantische Verlagerung von Vermögen über Vererbung statt. Und die bange Frage für die Banken lautet, ob diese Erben ihre Konten nebst Geldanlage dann dort belassen, wo sie sind.