Überfüllte Schalterräume in Japan
Von Martin Fritz, Tokio Ich bekenne mich schuldig. Statt zu Hause zu bleiben, wie es sich die japanische Regierung gerade von ihren Bürgern wünscht, suchte ich vergangene Woche die nächste Filiale meiner MUFG Bank auf. Aufgrund mehrfacher falscher Eingaben hatte ich nämlich schon vor Monaten den Zugang zum Girokonto sowohl per Geldautomat als auch online verloren, aber war nie dazu gekommen, das Problem zu lösen. Hierzulande haben die Filialen nur von 9 bis 15 Uhr geöffnet – also zu besten Bürozeiten. Doch wegen des nationalen Notstandes, der Teile des öffentlichen Lebens zum Erliegen gebracht hat, habe ich mehr Zeit als sonst, um solche lästigen Bankangelegenheiten zu erledigen.So wie ich denken allerdings derzeit offenbar sehr viele Kunden – jedenfalls war der Schalterraum meiner Bank voll wie selten. Ein Bloomberg-Bericht bestätigte meinen privaten Eindruck: Danach ist der Besucherverkehr etwa in den Filialen der Sumitomo Mitsui Bank seit Februar um 40 % angestiegen, während die Zahl der Fußgänger um 15 % gesunken ist. Zum Beispiel wollen Kunden plötzlich alte Münzen und Banknoten umtauschen, die sie beim Aufräumen gefunden haben.Die Bankbeschäftigten finden diesen Trend weniger lustig. Der plötzliche Besucherandrang steigert nicht nur ihr Arbeitspensum, sondern auch ihr Infektionsrisiko für Covid-19. Zwar tragen sie Gesichtsmasken und stehen hinter Plastikvorhängen an den Schaltern, aber letztlich schützt sie dies nur begrenzt – die MUFG Bank meldete schon mehrere Infektionen unter ihren Angestellten.Nun hat der Bankenverband zu einem seltenen Mittel gegriffen und ganzseitige Zeitungsanzeigen geschaltet. Darin forderte er die Bankkunden auf, ihre Geschäfte online abzuwickeln, damit sie sich nicht infizieren. “Bitte überlegen Sie, ob Ihr Anliegen wirklich dringend ist”, so der Verbandschef Kanetsugu Mike.Da die Beschäftigten im Schichtdienst arbeiten, verlängern sich die Wartezeiten zusätzlich. Viele Kunden müssen stehen, weil es weniger Sitzplätze in den Schalterhallen gibt. Die Resona Bank platzierte deshalb in ihren Geschäftsstellen auf jedem zweiten Sessel ihr Stoffmaskottchen “Resonya”, um einen räumlichen Abstand zwischen wartenden Kunden zu gewährleisten.Ganz überraschend kommt der Corona-Run auf die Bankfilialen freilich nicht. Laut Weltbank-Daten gibt es in dem Inselstaat 34 Bankfilialen pro 100 000 erwachsenen Einwohnern, in Deutschland sind es lediglich 13. Ein Grund für den hohen Stellenwert der Filiale im Hightechland Japan ist der für viele Transaktionen noch immer erforderliche Namensstempel, das japanische Pendant zur deutschen Unterschrift.——Ausgerechnet in Zeiten der Corona-Pandemie entdecken viele Japaner die Bankfiliale neu.——