Übernahmefantasien erreichen Assekuranz
Von Michael Flämig, MünchenAxa und Generali fusionieren? Ein Hirngespinst, so wären sich die Auguren noch im Frühsommer einig gewesen. Doch seit einem Monat kocht die Gerüchteküche, und der Einstieg der Société Générale bei Generali erhöht die Temperatur (siehe Seite 1 dieser Ausgabe). Kein Wunder, schließlich leiden die Versicherer ganz besonders unter den Niedrigzinsen der Europäischen Zentralbank. Folgt nun eine Welle von Übernahmen in der Assekuranz?Klar ist: Angesichts schlechter Zukunftsaussichten nimmt in der gesamten Finanzbranche der Druck zu, das Heil im Bündeln der Kräfte zu suchen. Dies gälte auch für Axa/Generali, ein allerdings höchstens mittelfristig realisierbares Projekt. In der Kreditwirtschaft wurde Vergleichbares jüngst ebenfalls angedacht. Ob Deutsche Bank und Commerzbank vereint marschieren sollen, war den Chefs beider Institute wenigstens eine Diskussion wert, wie offenbart wurde. Zwar liegt das Projekt wieder auf Eis, doch auf Ebene von Sparkassen und Raiffeisenbanken gehören Zusammenschlüsse zum Alltag.Auch für Versicherer gilt: Zukäufe wären vielerorts willkommen, sofern die übernommene Firma nicht fußlahm daherkommt. “Die Allianz will Marktanteile gewinnen, nur so geht es voran”, sagte etwa deren Finanzvorstand Dieter Wemmer im Interview der Börsen-Zeitung.Allerdings: Die Realität sieht anders aus, auch in Deutschland. Seit der Finanzkrise hat sich der addierte Marktanteil der zehn größten Erstversicherer kaum verändert. In der privaten Krankenversicherung ist er – wenngleich auf hohem Niveau – sogar gesunken, während Lebensversicherer mit 56 % und Sachversicherer mit 47 % auf fast unverändertem Niveau liegen (siehe Grafik). Wemmer kann ein Lied davon singen: “Es ist nicht so, dass jede Woche einer anruft und ein Unternehmen anbietet.”Tatsächlich tut sich die Assekuranz mit Fusionen wesentlich schwerer als die Kreditwirtschaft. Das Resultat ist eine hohe Zahl von Versicherungsunternehmen. Der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) zählt, dass im vergangenen Jahr 511 Adressen unter Bundesaufsicht ihr Erstversicherungsgeschäft in Deutschland betreiben. Zwar gibt es damit viel weniger Versicherer als Banken, die im gleichen Jahr auf 1960 kommen. Wer allerdings die Verbünde von Sparkassen sowie Volks- und Raiffeisenbanken jeweils als eine Einheit zählt, landet bei 526 Banken und damit in ähnlicher Größenordnung wie bei der Assekuranz – obwohl die Versicherer viel weniger Alltagskontakt mit Kunden halten müssen. Bisher nur wenige FusionenMehr noch: Nicht nur in absoluten Zahlen, sondern auch relativ zum Bestand ist das Konzentrationstempo in der Kreditwirtschaft höher. Seit der Erholung vom Börsen-Internethype nach der Jahrhundertwende und damit seit dem Jahr 2004 ist die Zahl der Banken um 441 gesunken. Damit verschwanden mehr als 18 % der Institute, meist durch Fusionen. Die Assekuranz meldet einen Abbau um nur 13 %. Dies entspricht 78 meist kleinen Unternehmen, die teils aus dem Markt ausschieden. Europaweit stagnierte die Zahl dem Verband Insurance Europe zufolge sogar von 2004 bis 2013.Ein Armutszeugnis, denn kein Versicherer – dies gilt auch für Axa sowie Generali – kann sich mehr hohe Schaden-Kosten-Quoten leisten. In der Lebensversicherung schlägt die Niedrigzinsphase voll durch. Die Kapitalerträge schmelzen beständig. Die Sachversicherung kämpft zudem mit den Ausgaben für die Digitalisierung. Kunden wollen neue Zugangswege und Produkte. Das kostet viel Geld und lohnt sich nur, wenn der Absatz hoch genug ist. Mit niedrigen Marktanteilen lässt sich kein Blumentopf mehr gewinnen. Skaleneffekte sind das Gebot der Stunde.Ein Duo Axa/Generali würde dieses Problem, wenngleich genug neue Schwierigkeiten entstünden, auf einen Schlag lösen. Die Allianz, die Anteile von mindestens 10 % in ihren Märkten anpeilt, könnte bei kartellrechtlich notwendigen Desinvestments profitieren, rutschte aber in Europa auf den zweiten Platz.Klar ist allerdings: In der Assekuranz ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass Fusionsüberlegungen scheitern. Die Allianz beispielsweise musste diese Erfahrung machen, als sie vor drei Jahren der Provinzial Nordwest Avancen machte. In der Branche trösten sich eben viele Manager von eher schwachbrüstigen Versicherern mit dem Blick in den Rückspiegel: Früher ging es ja auch, und wenn die Zinsen erst einmal wieder steigen, dann wird schon die alte Ertragskraft zumindest großteils zurückkehren. Dies senkt die Fusionsbereitschaft. Solvency II wirkt dagegen nicht, wie manch großer Versicherer früher erhoffte, als Initialzündung. Denn die Übergangsregeln sorgen für eine Scheinsicherheit, weil fiktives Eigenkapital entsteht.