GastbeitragLiquiditätsmanagement

Umsichtiges Einlagenmanagement im digitalen Zeitalter unerlässlich

Die Stabilität von Kundengelder wird seit den Bank Runs in den USA hinterfragt. Eine Streuung der Einlagenbasis erscheine vor dem Hintergrund sinnvoll, so Raisin-Chef Tamaz Georgadze in einem Gastbeitrag für die Börsen-Zeitung.

Umsichtiges Einlagenmanagement im digitalen Zeitalter unerlässlich

GASTBEITRAG: TAMAZ GEORGADZE

Umsichtiges Einlagenmanagement im digitalen Zeitalter unerlässlich

xxxxxx

Bank Runs galten für viele bis zum Frühjahr 2023 als ein Relikt aus der Vergangenheit. In der langen Ära der Niedrigzinsen hatte man dieses Phänomen fast schon verdrängt. Mit umso mehr Wucht wurde es durch den Kollaps der Silicon Valley Bank (SVB) im Frühjahr dieses Jahres in das Bewusstsein von Aufsehern und Öffentlichkeit zurückkatapultiert.

Vor allem zwei moderne Alltagsaspekte wurden in der Folge als ursächlich für die jüngste Krise angeführt: Zum einen können Einleger heutzutage dank Online-Banking viel einfacher auf ihre Guthaben zugreifen, als dies noch vor 15 Jahren der Fall war. So zogen Kunden der SVB am 9. März 2023 innerhalb nur weniger Stunden 40 Mrd. Dollar – fast ein Viertel des gesamten Einlagenbestands – ab, bevor die Bank am 10. März von der kalifornischen Aufsicht geschlossen wurde. Zum anderen betonen Aufseher die Rolle von sozialen Medien. So wurde die Krise der SVB begleitet von einer Vielzahl an Posts in sozialen Netzwerken, die zum Abzug der Einlagen bei der Bank aufriefen. Die daraus entstandene Unsicherheit hätte zu einer Beschleunigung des Ansturms geführt.

Nun ist nicht von der Hand zu weisen, dass Digitalisierung und neue Medien das Liquiditätsmanagement von Banken vor neue Herausforderungen stellen, insbesondere in Vertrauenskrisen. Die daraus entstandene Debatte verschiebt den Fokus allerdings zu stark auf die Begleiterscheinungen statt auf die eigentlichen Ursachen dieser jüngsten Bank Runs.

Denn zum einen hatten alle Banken, die im Zuge der jüngsten Turbulenzen geschlossen oder übernommen wurden, bereits vor dem März 2023 handfeste Probleme, die sich in der Krise letztlich zugespitzt haben. So hat sich die SVB nicht effektiv genug gegen die Wertverluste abgesichert, die im Zuge des rapiden Zinsanstiegs in ihrem Anleiheportfolio aufgelaufen sind. Diese beliefen sich Ende 2022 auf über 100% des Eigenkapitals, womit die Bank bereits vor dem Kundenansturm faktisch insolvent gewesen wäre, hätte sie ihre Wertpapiere zum Marktwert bilanzieren müssen. Schließlich sieht die Federal Reserve Bank selbst, als oberste Bankenaufsicht im Land, die Hauptursachen für den Niedergang der SVB sowohl vor allem im Risikomanagement der Bank als auch in Verfehlungen der Aufsicht sowie des regulatorischen Regimes. Bei der Credit Suisse hingegen, die als eine der wenigen europäischen Banken in den Sog dieser Krise geriet, sorgten eine lange Kette von Skandalen und anhaltenden Verlusten dafür, dass die Kunden ihr Vertrauen in die Bank verloren und massenweise Gelder abzogen.

Zum anderen wiesen diese Institute erhebliche Schwächen in ihrer Einlagenstrategie auf. So fanden sich unter den Einlegern der SVB fast ausschließlich Technologie-Start-ups oder Venture-Capital-Fonds, die untereinander stark vernetzt waren. Silvergate Bank und Signature Bank, zwei weitere Institute, die im März von der US-Einlagensicherung übernommen wurden, bezogen ihre Einlagen zu einem wesentlichen Teil von Unternehmen aus dem Kryptosektor. Die Credit Suisse refinanzierte sich zu überwiegenden Teilen über Einlagen aus dem Wealth-Management-Bereich aus dem Auslandsgeschäft, welche grundsätzlich weniger stabil sind als traditionelle Retaileinlagen. Diese wären im Falle einer tatsächlichen Insolvenz aus der Schweizer Sicht eindeutig weniger schützenswert als Onshore-Einlagen.

Zudem war ein sehr hoher Anteil der Einlagenbasis dieser Banken nicht durch Einlagensicherungsgarantien gedeckt – im Falle der SVB über 90% und damit laut S&P deutlich mehr als der US-Branchendurchschnitt von 46%. Deren Kunden konnten also nicht davon ausgehen, dass ihre Ersparnisse sicher sind. Entsprechend höhere Abflüsse waren im Falle einer Vertrauenskrise zu erwarten. Abgesicherte Einlagen haben sich indes seither als krisenfester erwiesen. Das zeigt sich unter anderem an dem starken Zufluss, den US-Kreditgenossenschaften – deren Einlagenbasis in der Regel zum größten Teil abgesichert ist – im ersten Quartal dieses Jahres verzeichneten: Hier stiegen die Einlagen laut S&P seit Jahresbeginn um 2,1%, während der US-Bankensektor insgesamt 2,5% verlor. Auch US-Regionalbanken sind seitdem verstärkt dazu übergegangen, den Absicherungsgrad in ihrer Einlagenbasis zu erhöhen. So berichtete die ebenfalls ins Kreuzfeuer geratene Western Alliance Bancorp im Mai, den Anteil unbesicherter Einlagen seit Jahresbeginn von über 50% auf 21% reduziert und den Gesamtbestand seit März um 2 Mrd. Dollar erhöht zu haben.

Wenig im Fokus stand zudem, dass viele der betroffenen Banken sich zum größten Teil über Sichteinlagen oder täglich verfügbare Spargelder refinanzierten, die es Anlegern ermöglichen, ihr Geld jederzeit abzuziehen und damit kurzfristig auf Vertrauenskrisen zu reagieren. Bei der SVB betrug der Anteil dieser Gelder Ende 2022 96%, was bei einem US-Branchendurchschnitt von 90% zwar nicht ungewöhnlich erscheinen mag, aber dennoch enorm ist. Vor allem im Vergleich mit Europa, wo täglich verfügbare Einlagen nur 60% des Gesamtvolumens ausmachen. Ein größeres Gewicht von festverzinslichen Einlagen oder Kündigungsgeldern im Refinanzierungsmix bietet den Vorteil einer besseren Planbarkeit der Mittelabflüsse und entsprechend geringeres Liquiditätsrisiko.

Die Schuld für den Untergang dieser Banken bei sozialen Netzwerken zu suchen, greift in der Analyse also zu kurz. Digitale Medien können in einer Vertrauenskrise wie ein Katalysator von Mittelabflüssen wirken, sind aber letztlich nicht ursächlich dafür. Auch die Frage danach, ob Einleger auf ihr Erspartes per Online-Banking oder App oder lieber noch direkt am Bankschalter verfügen, ist letzten Endes unerheblich. Fast alle Banken bieten heutzutage ihre Spar- und Einlagenprodukte digital an. In Deutschland nutzt die Mehrheit der Bankkunden regelmäßig Online-Banking – mit steigender Tendenz. In Ländern wie Dänemark oder Schweden verwaltet nahezu jeder sein Erspartes digital.

Vielmehr sollte der Blick stärker darauf gerichtet werden, ob Banken über ein effektives Risikomanagement sowie eine solide Refinanzierungsbasis verfügen. Dazu gehört auch eine umsichtige Einlagensteuerung, die die Stabilität der Kundengelder im Blick behält. Fragen, die sich dabei stellen, sind unter anderem:

  • Wie konzentriert bzw. wie granular ist die Einlagenbasis? Welchen Anteil machen die 20 bzw. 50 größten Einleger aus?
  • Wie stark sind Kunden miteinander verbunden, z.B. über Unternehmensverflechtungen?
  • Was ist der Anteil der Einlagen mit Fristigkeit?
  • Sind die Annahmen, die der Modellierung der Einlagen ohne Fristigkeit unterliegen, noch angemessen?
  • Wie hoch ist der Anteil der unbesicherten Einlagen? Wie konzentriert ist dieser zugleich?

Sinnvoll ist hierbei eine Streuung der Einlagenbasis – sowohl über eine hohe Kundenzahl als auch über möglichst verschiedene Kundengruppen hinweg. Dabei erweist sich vor allem ein granularer Einlagenbestand, mit einem hohen Anteil besicherter Einlagen, als überaus robust gegen plötzliche Mittelabflüsse. Darüber hinaus trägt  eine geografische Diversifizierung über Länder zu einem stabileren Refinanzierungsmix bei, während eine höhere Transparenz der Banken über die Struktur ihrer Einlagenbasis grundsätzlich einer Verunsicherung von Investoren entgegenwirken würde.

Die globalen Notenbanken haben das Zeitalter des billigen Geldes beendet und Banken müssen ihre Refinanzierungsstrategien an neue Herausforderungen anpassen. Ein umsichtiges Einlagenmanagement kann dabei entscheidend zur Stabilität von Finanzsystemen beitragen. Dabei sind Banken, Investoren sowie Aufseher gleichermaßen gefragt.

Tamaz Georgadze

CEO von Raisin