LEITARTIKEL

Und sie bewegt sich doch

Bei den deutschen Lebensversicherern ist der latente Krisenmodus zum Dauerzustand geworden. Die extremen Niedrigzinsen rütteln an den Grundfesten des Geschäftsmodells. Die Zinsversprechen der Vergangenheit von bis zu 4 % erscheinen aus heutiger...

Und sie bewegt sich doch

Bei den deutschen Lebensversicherern ist der latente Krisenmodus zum Dauerzustand geworden. Die extremen Niedrigzinsen rütteln an den Grundfesten des Geschäftsmodells. Die Zinsversprechen der Vergangenheit von bis zu 4 % erscheinen aus heutiger Sicht als reiner Wahnsinn. Doch mittlerweile stellt sich die Frage, ob unbefristete und jederzeit darstellbare Renditegarantien überhaupt – egal in welcher Höhe – noch zu finanzieren sind und sich damit profitables Geschäft machen lässt.Die Antwort lautet bei immer mehr Versicherungsmanagern: Nein. Gerade hat die Generali als zweitgrößter Lebensversicherer hierzulande eine spektakuläre Kehrtwende verkündet. Das Unternehmen, das noch vor einem guten Jahr einer neuen Produktgeneration mit abgespeckten Garantien – wie sie zuvor die Wettbewerber Allianz, Axa und Ergo auf den Markt gebracht hatten – eine Absage erteilt hatte und die Fahne der konventionellen deutschen Lebensversicherung hochhielt, plant den Ausstieg aus dem Klassikgeschäft.Die Entscheidung des neuen Chefs der Generali Deutschland, Giovanni Liverani, könnte zum Katalysator werden und die begonnene Entwicklung in der deutschen Lebensversicherung beschleunigen. Noch zeichnet sich die Branche durch viel Behäbigkeit aus. Die Reaktionszeiten sind enorm. Flexibilität fällt schwer in einem Markt, der bis 1994 komplett durchreguliert war und in dem Langfristigkeit auch zum Problem werden kann: Schmerzhafte Entscheidungen werden zeitlich einfach nach hinten verschoben. Es wird schon noch ein paar Jahre gut gehen.Fest steht jedoch seit dieser Bilanzsaison: Das Geschäftsmodell der klassischen deutschen Lebensversicherung ist ein Auslaufmodell. Selbst ihre hartnäckigsten Verfechter wie die Debeka haben mittlerweile alternative Produkte mit reduzierten Garantien vorgestellt.Die Branche bewegt sich. Bislang zeichnen sich drei Strategien ab: Einige wenige kleinere bis mittelgroße Lebensversicherer wie die Arag haben sich schon vor Jahren weitgehend aus dem Geschäft mit klassischen Policen verabschiedet. Andere ziehen einen mehr oder weniger harten Schlussstrich. Vor der Generali hat bereits als großer Player die Zurich Leben das konventionelle Geschäft eingestellt. Die Mehrheit aber will derzeit das klassische Garantiegeschäft langsam austrocknen lassen. Fondsprodukte und biometrische Policen wie zum Beispiel Risikolebensversicherungen werden in den Vordergrund gestellt.Welcher ist der Königsweg? Der sanfte Abschied auf Raten ist für den Moment unkomplizierter. Er vermeidet Unruhe im Vertrieb, der das Unternehmen hemmen könnte. Statt Beschäftigung mit sich selbst kann weiter die Beackerung des Marktes im Vordergrund stehen. Rentabel dürfte das Festhalten an Klassikprodukten mit immer kleinerer Basis eher nicht sein.Der harte Schnitt schafft ad hoc Turbulenzen und wird zunächst Marktanteile kosten. Generali-Chef Liverani hat das unumwunden zugegeben. Auf längere Sicht könnte sich die Strategie jedoch durchaus auszahlen. Bei der Dotierung der Überschussbeteiligung für die Altbestände muss der Vorstand keine vertrieblichen Rücksichten mehr nehmen.Nach der zweiten großen Solvency-II-Abfrage der BaFin binnen eines Jahres wird wieder ein bisschen mehr Klarheit über die Situation der deutschen Lebensversicherer herrschen. Grob skizzieren kann man die Lage jedoch jetzt schon, ohne die genauen Ergebnisse zu kennen: Die schwächsten 10 oder 20 % dürften nicht mehr weit von echten Problemen entfernt sein.Der Mehrzahl der Unternehmen geht es aber noch ganz gut, weil sie noch über Puffer jenseits der Zinszusatzreserve verfügen. An der Kostenschraube lässt sich bei vielen noch drehen. So haben selbst große Spieler wie Axa oder Generali, die eigentlich von Größenvorteilen profitieren müssten, noch jüngst über eigene marktüberdurchschnittliche Kostenquoten geklagt. Einer der größten Puffer schlummert allerdings in den Überschussbeteiligungen. Die laufende Verzinsung ging zwar 2015 auf knapp 3,2 % im Schnitt zurück, doch das ist angesichts des Zinsniveaus noch immer recht viel. Die Bundesbank hat im vergangenen Herbst vorgerechnet: Wenn die Lebensversicherer überall nur noch den Garantiezins zahlen würden, könnten sie bis Ende 2017 zusätzliche 28 Mrd. Euro an Eigenmitteln lockermachen. Es ist noch Luft im System. Nur einer kleinen Minderheit dürfte demnächst die Puste ausgehen.——–Von Antje KullrichDie deutschen Lebensversicherer sind behäbig, doch langsam zeigen sie fundamentale Reaktionen. Die Branche verabschiedet sich vom klassischen Garantieprodukt.——-