Ungelöste Frage der Drittländer-Äquivalenz bereitet Bauchschmerzen

Regulierung grenzüberschreitender Geschäfte nach dem Brexit offen - Einseitige Notmaßnahmen möglich - Längerfristige Prognose schwierig

Ungelöste Frage der Drittländer-Äquivalenz bereitet Bauchschmerzen

Von Dietegen Müller, FrankfurtDie Zeit rennt in den Brexit-Verhandlungen davon, und es ist völlig offen, was Finanzdienstleister nach dem 29. März 2019 in grenzüberschreitenden Geschäften erwartet. Sollte es zu keinem Deal kommen und keine Übergangsfrist vereinbart sein, werden voraussichtlich einseitig erklärte Übergangsregelungen getroffen, sagte Henning Berger, auf Versicherungsrecht und Finanzregulierung spezialisierter Anwalt bei der Kanzlei White & Case in Berlin.Während einer Leserveranstaltung des von der Börsen-Zeitung herausgegebenen Regulierungsnewsletters Rules & Regulations sagte Berger: “Ich bin zuversichtlich, dass wir da zu einer Lösung kommen und es nicht zu einer Gefährdung der Finanzmarktstabilität kommt.” Die Gesetzgebungskompetenz für Drittstaatenregelungen liege in der EU überwiegend noch bei den Mitgliedsstaaten, also bei den für den deutschen Finanzplatz wichtigen Themen in Berlin. Das Bundesfinanzministerium hat bereits einen Referentenentwurf für Übergangsfristen für Banken und Versicherer vorgelegt (vgl. BZ vom Mittwoch). Nicht nur auf Brexit schauenTorsten Schaper, für die regulatorische Analyse bei der Deutschen Börse zuständig, hob die Bedeutung des EU-Passes als “unglaublich komfortable” Form hervor, mit der Finanzgeschäfte in Europa betrieben werden können. Die Frage, wie nach dem Brexit britische Marktinfrastrukturbetreiber behandelt würden, und ob die britische Regulierung als gleichwertig (äquivalent) anerkannt werde, bringe Unsicherheit in den Markt. Schaper rief dazu auf, auch über den Brexit hinaus zu denken und den globalen Wettbewerb nicht zu vernachlässigen: “Wir müssen verteidigen, was wir uns aufgebaut haben, wie den EU-Pass, und wir müssen einen europäischen Kapitalmarkt entwickeln.”Die beiden Experten waren zurückhaltend, was die Berechenbarkeit künftiger grenzüberschreitender Geschäfte zwischen der EU und Drittstaaten wie Großbritannien anbelangt. Berger sagte, er wage in Bezug auf eine mögliche Äquivalenzanerkennung britischer Regulierung keine Prognose. “Ich bin da ehrlich gesagt sehr gespannt.” Nach einer Übergangsphase dürfte es nach dem Brexit wohl noch eine “weitgehende Äquivalenz” geben, doch sei die Frage, ob sich darauf aufbauend noch arbeiten lasse. Die Ablösung von der europäischen Regulierung biete ja auch Chancen für Großbritannien. Schaper sagte, die bisherige Drittstaaten-Äquivalenz sei meist eng gefasst und nicht für große Geschäftsvolumina geeignet.Ein zentrales Thema in der Debatte über die Form der Anerkennung von Drittstaaten-Regulierung ist die Aufsicht über Clearinghäuser. Hintergrund ist, dass außerbörslich gehandelte Derivate über eine zentrale Gegenpartei (CCP) verrechnet werden müssen, um Risiken für die Systemstabilität zu verringern. Nun haben die CCP dadurch selbst an Systemrelevanz gewonnen und könnten ein Stabilitätsrisiko darstellen. Deswegen strebt die EU eine straffe Aufsicht über systemrelevante Clearinghäuser an. Streitfall Euro-ClearingIm Fall von auf Euro lautenden Zinskontrakten – dem Euro-Clearing – stellt sich mit dem Brexit das Problem, dass das Londoner Clearinghaus LCH nicht mehr unter die EU-Gesetzgebung fällt. LCH wickelt bisher den überwiegenden Teil des Euro-Clearing ab. Die EU-Kommission, das EU-Parlament und die Mitgliedstaaten diskutieren derzeit intensiv darüber, mit welchem Mechanismus die EU ausreichend Kontrolle über LCH aufrechterhalten kann. In der laufenden Reform der Derivateverordnung Emir – Emir 2 genannt – ist die Systemrelevanz von Drittstaaten-CCP ein Ansatzpunkt. Dieser risikobasierte Ansatz sei “weise”, so Berger. Der Vorschlag sei einleuchtend, dass systemrelevante Clearinghäuser sich der EU-Aufsicht genauso öffnen müssen wie ihrem Heimataufseher.Doch ist dieser Ansatz seitens der US-Derivateaufsicht CFTC zumindest teilweise unter Kritik geraten (vgl. BZ vom 19. Oktober). Es könne nicht sein, dass womöglich auch US-Clearinghäuser direkt der europäischen Aufsicht unterstellt würden und Marktteilnehmer sich im US-Markt dann zwischen zwei Rechtsregimes wiederfinden würden. Berger erklärt, dass dies aber “nicht neuartig” wäre. US-Auslandsbanken in London hätten oft Büro-Suiten, in denen US-Aufseher sitzen, die sich den Betrieb der Bank anschauten. “Warum soll es das nicht auch in London für die EZB oder die ESMA geben?”, fragt Berger.Für Torsten Schaper ist die Deutsche Börse bereits heute Multi-Aufseher gewohnt, etwa die Aufsichtscolleges über zentrale Gegenparteien (CCPs) wie Eurex Clearing. Es brauche dazu aber eine “Basis”, und die Frage sei, wie sich Interessen durchsetzen ließen. Der Regulierungsexperte sieht grundsätzlich aber keine Probleme, wenn die EZB mehr Mitspracherechte verlangt.Die Frage der Gerichtsbarkeit in Äquivalenzvereinbarungen ist aber ein Knackpunkt. Dies zeigt sich auch in langwierigen Verhandlungen zwischen der Schweiz und der EU über ein Rahmenabkommen, das auch den Marktzugang für Schweizer Finanzdienstleister umfasst. Weil die Schweiz sich zu wenig auf die EU zubewegt hat, droht die EU derzeit mit der Aberkennung oder aber nur der befristeten Verlängerung der Börsenäquivalenz im Aktienhandel.Eine Äquivalenz bedeute grundsätzlich aber keine EU-Gerichtsbarkeit, präzisierte Rechtsexperte Berger. Jede Seite treffe hier “ihre eigene Entscheidung”, die sie auch wieder aufheben könne. Die Kontrolle darüber liege bei den nationalen Gerichten beziehungsweise bei den Gerichten der EU. In dem nun von den Unterhändlern Großbritanniens und der EU ausgehandelten “Frameworks für die Zukunft” sei eine Art Schiedsverfahren vorgesehen, das sich auch auf Äquivalenzentscheidungen beziehen könne. “Ich bin mir aber nicht sicher, ob das kommt”, so Berger. Es gebe dann unter verschiedensten Voraussetzungen doch eine Rekursmöglichkeit zum Europäischen Gerichtshof, insbesondere wenn man sich nicht einig sein sollte über die Auslegung oder Bestimmung eines Unionsrechts. “Dies ist offen”, so Berger. Schiedsgericht als AuswegEr hoffe aber, dass ein Schiedsgerichtsverfahren etabliert werde, weil auf diese Weise die einseitige Aufhebung einer Äquivalenzanerkennung – wie im Fall der Schweizer Börsenäquivalenz geschehen – beschränkt werden könnte. Es liege im Interesse des Marktes, dass nicht die eine oder andere Seite in einzelnen Sektoren von heute auf morgen sagen könne: Sorry, das war’s jetzt. Sonst wäre die Planbarkeit und Absehbarkeit für die Marktteilnehmer beeinträchtigt, so Berger. “Da droht in einzelnen Bereichen, vielleicht nicht von heute auf morgen, eine Art kleiner Brexit, weil die Äquivalenz dann weg ist und das Geschäft nicht mehr gemacht werden kann.”