"Unternehmenskultur und ESG gilt es ernst zu nehmen"
Unternehmenskultur und “ESG” werden seit langem viel diskutiert, wesentliche Fortschritte lassen sich aber kaum feststellen, stattdessen häufen sich große Unternehmensskandale. Woran liegt das?Unternehmenskultur und “ESG”, also “Environment, Social, Governance” sind keine klar definierten Begriffe, sondern müssen für jedes Unternehmen erst festgelegt und dann auch praktisch relevant gemacht werden. Und das ist keineswegs einfach. Dabei gilt es zunächst, in Worte zu fassen, was das Unternehmen erreichen will und wozu es sich verpflichtet, sogenannte “Corporate Pledge Statements”. Dabei formulieren Unternehmen oft ehrgeizige Ziele. Je hehrer das Ziel, umso leichter ist es aber, dieses zu verfehlen. Geschieht dies, werden Selbstverpflichtungen in der Öffentlichkeit zuweilen sehr kritisch festgestellten oder vermuteten Verstößen gegenübergestellt. Das Unternehmen muss sich eben an den eigenen Maßstäben messen lassen, und manche werden diesen nicht gerecht. Dies liegt oft daran, dass die Unternehmenswerte keinen Eingang in die Arbeitsroutine der Mitarbeiter finden und daher in der Organisation nicht hinreichend breit gelebt werden. Worauf sollten Unternehmen achten, die es besser machen wollen?Die Unternehmenskultur und die ESG-Prinzipien müssen zunächst hinreichend kommuniziert werden. Dies kann auf vielerlei Weise geschehen, zum Beispiel im Intranet des Unternehmens, auf externen Websites, in E-Mail-Signaturen, im Rezeptionsbereich, durch Aushänge in der gesamten Organisation. Wichtiger noch ist aber die glaubwürdige Kommunikation durch Vorstand und Aufsichtsrat und andere Unternehmensführer. Dieser “Tone from the Top” ist seit langem anerkanntermaßen ein entscheidender Faktor. Regelmäßige Kommunikation in physischen oder virtuellen Veranstaltungen ist hier von besonderer Bedeutung, durchaus auch mit Hervorhebung positiver Beispiele und deutlicher Kommentierung von Verstößen. Was ist außerdem zu berücksichtigen?Nicht zu vergessen sind natürlich auch “Code of Conduct” und Programme für Mitarbeiterschulungen, in persönlichen Treffen oder virtuell. Je besser diese gemacht sind, umso eher entgeht man der Gefahr, dass Mitarbeiter sie als lästige Pflichtübung empfinden und nicht viel für ihren Arbeitsalltag mitnehmen. Neben der Prävention spielt aber auch ein frühzeitiger und wirkungsvoller Umgang mit Verstößen eine wesentliche Rolle. Dafür bedarf es einer angemessen ausgestatteten Compliance-Funktion, die zum Beispiel den richtigen Umgang mit Hinweisen zu Verstößen sicherstellt. Dies ist auch wichtig zur Vermeidung persönlicher Haftung von Vorstand und gegebenenfalls Aufsichtsrat. Sind Unternehmen hier überhaupt die treibende Kraft oder oft tatsächlich Getriebene?Ob eine Unternehmensführung die Dinge aus eigenem Antrieb vorantreibt oder aufgrund äußerer Faktoren, lässt sich im Einzelfall schwer sagen. Fakt ist aber, dass inzwischen von vielen Seiten Druck auf die Unternehmen ausgeübt wird, Unternehmenskultur und ESG ernst zu nehmen. Behörden in den USA, aber auch in anderen Ländern haben ihre Bemühungen um Verfolgung von Rechtsverstößen auch außerhalb der eigenen Jurisdiktion intensiviert. Die Gesetzgeber dieser Welt verschärfen kontinuierlich die rechtlichen Rahmenbedingungen, denken Sie nur in Deutschland an die aktuellen Entwürfe zum Lieferkettengesetz und zum Verbandssanktionengesetz mit empfindlichen Sanktionen. Inzwischen sind aber auch Investoren aktiv geworden und beteiligen sich nur noch an Unternehmen, die bestimmte Standards einhalten; prominentes Beispiel ist BlackRock. Und es gibt noch eine ganze Reihe weiterer externer Druckfaktoren. Welche Rolle spielen Unternehmenskultur und ESG bei Unternehmenstransaktionen und Zusammenschlüssen?Die Bedeutung der Unternehmenskultur ist bei Unternehmenstransaktionen deutlich gewachsen. Sie spielt zunächst für die Frage eine Rolle, ob eine Integration der Unternehmen gelingen kann. “Cultural Fit” und “Alignment of Values” stehen inzwischen weit oben auf vielen Due-Diligence-Listen. Neben der Integrationsfähigkeit prüfen die meisten Bieter aber inzwischen auch deutlich intensiver als früher mögliche Risiken, die sich aus mangelnder Unternehmenskultur und ESG-Versäumnissen ergeben können. An welche Risiken denken Sie in diesem Zusammenhang?Dies können direkte monetäre Risiken sein, wie etwa Bußgelder, Schadenersatz, “Black Listing”. Aber auch Reputationsrisiken spielen eine immer größere Rolle. Sie scheinen auf den ersten Blick keine materiellen Schäden zu verursachen. Tatsächlich können Reputationsrisiken aber erhebliche Auswirkungen auf den Geschäftsverlauf und damit die finanziellen Kennzahlen eines Unternehmens haben. Dies gilt nicht nur für das zu erwerbende Unternehmen, vielmehr kann das Reputationsrisiko sich nach der Übernahme auch empfindlich beim Erwerber selbst auswirken. Ist die Annahme richtig, dass die Bedeutung von ESG für Private-Equity-Investoren deutlich geringer ist?Dem würde ich widersprechen. Auch etliche Private-Equity-Häuser haben sich inzwischen ausdrücklich zu ESG-Zielen bekannt. ESG ist häufig für die Private-Equity-Häuser auch wichtig, um die Kriterien der Investoren zu erfüllen, von denen Gelder für die Fonds eingeworben werden sollen. Aber auch unabhängig von diesen Punkten liegt es im Interesse eines jeden Private-Equity-Käufers, sich ESG-Standards und deren Einhaltung beim Zielunternehmen genau anzusehen. Gibt es hier relevante Risiken, kann sich dies nicht nur während der Haltezeit auswirken; selbst wenn sich während dieser kein Risiko materialisiert, drohen Schwierigkeiten beim Exit, insbesondere bei einem angestrebten Weiterverkauf an Unternehmen mit hohen ESG-Standards oder bei einem Initial Public Offering (IPO). Für Unternehmen mit wesentlichen ESG-Risiken gibt es einfach immer weniger einen Markt. Kann man denn Unternehmenskultur und ESG im Rahmen einer zeitlich beschränkten Due Diligence überhaupt sinnvoll prüfen?In der Tat ist die Due Diligence in diesem Bereich nicht einfach. Inzwischen haben sich aber Techniken entwickelt, die in der Regel einen guten Einblick geben, ob ein Unternehmen aus Sicht des Käufers vernünftige Standards für sich festgelegt hat und durch eine angemessene Compliance-Organisation präventiv die regelmäßige Einhaltung dieser Regeln sicherstellt sowie Verstöße wirksam aufdeckt und ahndet. Dabei ist klar, dass überall, wo Menschen sind, auch immer wieder Regelbrüche vorkommen. Daher muss man sich fragen, ob das Zielunternehmen eine wirklich wirksame Organisation aufgebaut hat, wenn einem in der Due Diligence gesagt wird, es habe in der Vergangenheit so gut wie keine Verstöße gegeben. Stellen Sie eine Verschiebung der Schwerpunkte in jüngerer Zeit fest? Welche Rolle spielt die Coronakrise hier?Vor der Coronakrise lag ein besonderes Augenmerk auf dem Element “Environment” in ESG. Nach meinem Eindruck ist dies inzwischen weniger der Fall, und “Social” und “Governance” stehen nun wieder eher gleichrangig daneben. Hierbei mögen neben der Coronakrise auch Skandale eine Rolle gespielt haben, zum Beispiel Wirecard. *) Rainer Traugott ist Corporate/M&A-Partner bei Latham & Watkins. Die Fragen stellte Claudia Weippert-Stemmer.