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Urjit Patel rückt an die Spitze der indischen Notenbank

Von Ernst Herb, Hongkong Börsen-Zeitung, 23.8.2016 Urjit Patel folgt dem zurückgetretenen Raghuram Rajan an der Spitze der indischen Notenbank. Der Inflationsbekämpfung wird damit auch zukünftig zentrale Bedeutung zukommen. Mit der Ernennung von...

Urjit Patel rückt an die Spitze der indischen Notenbank

Von Ernst Herb, HongkongUrjit Patel folgt dem zurückgetretenen Raghuram Rajan an der Spitze der indischen Notenbank. Der Inflationsbekämpfung wird damit auch zukünftig zentrale Bedeutung zukommen. Mit der Ernennung von Urjit Patel zum neuen Gouverneur der Reserve Bank of India (RBI) hat Premierminister Narendra Modi einen Kompromiss gemacht. Die bisherige Nummer 2 der RBI hat in den vergangenen drei Jahren als Chef eines geldpolitischen Sonderkomitees mit der Festsetzung eines fixen Inflationszieles wie auch der Schaffung eines Zinssetzungsgremiums maßgeblich an einer tiefgreifenden Reform der 81 Jahre alten Institution mitgearbeitet.Doch andererseits kommt der ehemalige hohe Funktionär des Finanzministeriums zumindest in den Medien als eher farblose Persönlichkeit daher. Darin kontrastiert der 52-jährige Patel mit Rajan, der am 4. September nach nur einer dreijährigen ersten Amtszeit als RBI-Gouverneur abtritt. Rajan, der ehemalige Chefvolkswirt des Internationalen Währungsfonds (IWF), ist ein ausgesprochener Inflationsfalke. Hoffen auf lockereren KursDoch begnügte er sich dabei nicht einfach mit der Rolle eines politisch zurückhaltenden Notenbankchefs, sondern mischte sich mit dem Ruf nach tiefgreifenden wirtschaftlichen Strukturreformen wiederholt in die Innenpolitik ein. Als oberster Bankenaufseher forderte er vor allem auch lauthals die Sanierung der von einer Riesenlast von faulen Krediten niedergedrückten Geldhäuser.Damit handelte er sich nicht nur den Vorwurf ein, er bremse mit seinen angeblich alarmierenden Aussagen die Vergabe von Krediten, sondern er untergrub in den Augen seiner Kritiker mit seiner Forderung nach Reformen vor allem die Autorität des Premierministers. Solches muss Modi von Patel nicht befürchten, stammt doch auch dieser aus dem Teilstaat Gujarat, wo er unter dem damaligen noch lokalen Regierungschef Modi den staatlich kontrollierten Energiekonzern GSPC führte. Für diese Rolle bereitete er sich in einer Spitzenposition bei Reliance Industries vor, dem größten indischen Privatunternehmen.Seit Rajan im Juni zur allgemeinen Überraschung seinen Rücktritt bekannt gab, hat die indische Börse über 5 % zugelegt. Grund für die Rally war nicht nur die anhaltend große globale Liquidität, sondern vor allem auch die Erwartung, dass ein neuer RBI-Chef gegenüber der Inflation größere Toleranz zeigt als Rajan. Diese Annahmen haben auch die Anleihenrenditen widergespiegelt. Ob die Märkte dabei allerdings Recht behalten, bleibt offen.Patel, der nach ersten Studien an der London School of Economics und der Universität von Oxford 1990 an der amerikanischen Yale-Universität promoviert wurde, trug in den vergangenen drei Jahren die zurückhaltende Geldpolitik Rajans in vollem Umfang mit. Er hat damit auch wesentlich dazu beigetragen, dass sich die Inflationsrate von über 10 % halbiert hat. In den kommenden fünf Jahren soll die Teuerung schrittweise auf 4 % gesenkt werden.Damit dürfte der ehemalig Mitarbeiter des IWF gerade auch in den Augen ausländischer Investoren ein Garant dafür sein, dass der Wechselkurs der Landeswährung Rupie stabil bleibt. Der Nettozufluss ausländischer Portfoliogelder belief sich im Vormonat auf 2,7 Mrd. Dollar. Parteiübergreifendes Vertrauen genießt Patel in Indien nicht nur, weil er vor drei Jahren noch vom damaligen Premierminister Manmohan Singh zum stellvertretenden RBI-Gouverneur ernannt worden war. Singh gehört der jetzt in der Opposition sitzenden Kongresspartei an.Patel genießt in Fachkreisen vor allem auch deshalb einen guten Ruf, weil er Anfang der neunziger Jahre frisch von der Universität kommend in der Südasien-Abteilung des IWF inmitten einer Zahlungsbilanzkrise maßgeblich an der wirtschaftlichen Öffnung Indiens mitarbeitete. Das bildete die Grundlage eines wirtschaftlichen Wachstums von in diesem Finanzjahr wahrscheinlich mehr als 7 %.Allerdings ist im Zuge der RBI-Reform der Einfluss des Gouverneurs deutlich eingeschränkt worden. Neu setzt nicht er allein den Zinssatz fest, sondern ein sechsköpfiges Gremium, dem neben zwei anderen RBI-Vertretern auch der Gouverneur angehört. Die drei anderen Mitglieder werden von der Regierung ernannt.Der Gouverneur kann im Falle eines Stimmenpatts allerdings das dann entscheidende Votum abgeben. Patels Einfluss in diesem Gremium könnte dabei bald schon getestet werden. Die Regierung hat wiederholt niedrigere Zinsen gefordert, um damit das Wachstum anzukurbeln. Jüngst hat die Inflation aber deutlich an Fahrt gewonnen. Die Frage, ob die RBI der Preisstabilität auch unter der Führung Patels größere Bedeutung beimisst als dem Wachstum, wird also schon bald beantwortet werden.