DIE FOLGEN DES BREXIT

US-Banken stellen ihren London-Fokus in Frage

Vorstandschefs warten auf Details der Austrittsverhandlungen und beginnen Umzugsplanungen

US-Banken stellen ihren London-Fokus in Frage

Von Sebastian Schmid, New York”Am Ende wird es wie bei Schottland ein Votum für einen knappen Verbleib Großbritanniens in der EU geben”, orakelte ein S & P-Mitarbeiter am Rande einer Abendveranstaltung in Manhattan noch vor Tagen und erntete Kopfnicken in der Runde. Nun ist das Referendum durch, Großbritannien hat gegen einen Verbleib gestimmt und Standard & Poor’s dem Land das “AAA”-Rating gestrichen.Die US-Reaktionen ließen nicht lange auf sich warten. J.P. Morgans CEO Jamie Dimon erklärte am Freitag, die Bank werde ihre europäische Struktur möglicherweise anpassen und Mitarbeiter umsiedeln müssen. Er versicherte aber, eine große Präsenz in Großbritannien behalten zu wollen. Einige Tage vor dem Referendum hatte er angedeutet, eventuell müsse bis zu einem Viertel der 16 000 Angestellten von der Insel aufs Festland umziehen.Goldman Sachs “hat eine lange Geschichte der Anpassung an Wandel” und habe sich auf beide Ausgänge des Referendums seit vielen Monaten vorbereitet, sagte CEO Lloyd Blankfein am Freitag. “Wir werden mit den zuständigen Behörden zusammenarbeiten, sobald die Bedingungen des Austritts klarer werden”, kündigte er an. Auch Rivale Morgan Stanley erklärte, die Signifikanz der Entscheidung werde sich erst in einer gewissen Zeit zeigen. Die Nachrichtenagentur Reuters will aus informierten Kreisen erfahren haben, dass etwa 1 000 der 6 000 Mitarbeiter der Investmentbank aus Großbritannien abgezogen werden könnten. Viele AlternativenWohin es geht, ist dabei noch unklar. Im Gespräch befinden sich angeblich zahlreiche Städte wie Amsterdam, Dublin, Frankfurt, Paris oder auch Warschau. Im Privaten wurde an der Wall Street allerdings bereits vor Wochen erzählt, einige US-Großbanken hätten ihre Mitarbeiter in London darauf vorbereitet, dass bestimmte Bereiche im Fall eines Brexit-Votums nach Frankfurt verlegt werden müssten.Citigroup, die rund 9 000 Mitarbeiter in Großbritannien zählt, hat laut US-Medien in einer internen Mitteilung derweil zwar ebenfalls eine neue Austarierung ihres Personals in Europa angekündigt, sollte es zum Brexit kommen. Bis dahin dürfte es aber noch eine Weile dauern. Citigroup-CEO Mike Corbat kündigte am Freitag an, er erwarte, in den “mindestens zwei Jahren” bis zum Austritt aus der EU die Geschäfte normal fortführen zu können. Einen unmittelbaren Effekt des Referendums für die Mitarbeiter seines Instituts gebe es nicht.”In den kommenden Monaten werden wir klarer sehen, welche Implikationen dies für unser Geschäft hat und welche Entscheidungen wir treffen müssen, bevor der Austritt vollzogen ist”, erklärte auch Alex Wilmot-Sitwell, der das Europa-Geschäft von Bank of America leitet, in einem Memo an die Mitarbeiter. Wie Blankfein betont Wilmot-Sitwell die langjährige Erfahrung des Finanzdienstleisters aus Charlotte (North Carolina), mit Veränderungen klarzukommen – “seien sie regulatorisch, markt- oder strategiegetrieben”. Neuer Angelpunkt für AIGDie US-Versicherer erwägen ebenso personelle Umschichtungen. AIG-Chef Peter Hancock hatte bereits vor dem Votum gemutmaßt, bei einem Austritt benötige die bislang auf London fokussierte AIG wohl einen neuen Angelpunkt für ihr EU-Geschäft. Aon, der Versicherer der 2012 von Chicago nach London umgezogen ist, erwägt derweil dem Vernehmen nach sogar eine neue Firmenzentrale. Insgesamt ist die Einschätzung der US-Finanzindustrie recht eindeutig. London wird für sie an Bedeutung verlieren – wie viel, hänge an den Bedingungen des EU-Austritts.