Nach Bankenkrise

US-Finanzbranche wehrt sich gegen härtere Kapitalvorgaben

Nach wochenlangen Spekulationen haben US-Regulatoren Pläne zu härteren Kapitalvorgaben für Banken offiziell vorgestellt. Die Branche wehrt sich gegen die aus ihrer Sicht unmäßigen Vorschriften – und auch innerhalb der Behörden herrscht Uneinigkeit.

US-Finanzbranche wehrt sich gegen härtere Kapitalvorgaben

US-Banken wehren sich gegen härtere Kapitalvorgaben

Geldhäusern drohen Aufschläge von 20 Prozent – Branche kritisiert Regeln als unmäßig und konjunkturschädlich – Abweichung von Basel-III-Standardwerk

US-Regulatoren haben Pläne zu härteren Kapitalvorgaben für Banken vorgestellt. Großen Geldhäusern drohen Aufschläge von bis zu 20% auf die Eigenmittelquoten. Die Branche wehrt sich gegen die aus ihrer Sicht unmäßigen Vorschriften – und auch innerhalb der Behörden herrscht Uneinigkeit.

xaw New York

In der US-Finanzbranche stoßen Pläne zu härteren Kapitalvorgaben auf Widerstand. Eine Gruppe aus Regulatoren um die Federal Reserve hat am Donnerstag nach wochenlangen Spekulationen offiziell neue Regeln vorgeschlagen, in deren Folge der vorgeschriebene Mindestwert für die harten Kernkapitalquoten (CET1) amerikanischer Bankholdings um aggregiert 16% steigen soll. Betroffen sind Geldhäuser mit einer Bilanzsumme ab 100 Mrd. Dollar, wobei Instituten mit Assets von bis zu 250 Mrd. Dollar mitunter wohl lediglich Aufschläge von 5% drohen. Auf die größten und komplexesten Banken rollen unterdessen Mehranforderungen von bis zu 20% zu.

Die Fed, der staatliche Einlagensicherungsfonds FDIC und die für die Überwachung des nationalen Kreditwesens zuständige OCC räumen Marktteilnehmern nun bis zum 30. November die Möglichkeit ein, sich im Rahmen einer Konsultation zu den Plänen zu äußern. Anschließend stimmen die Behörden erneut über die angepeilten Regeländerungen ab. Doch schon jetzt kritisieren Lobbyorganisationen wie das in der Hauptstadt Washington ansässige Bank Policy Institute die avisierte Straffung der Kapitalvorgaben als unnötigen Schritt. Nach Darstellung der Branche drohen eine zögerliche Kreditvergabe sowie höhere Kosten für Verbraucher und kleinere Unternehmen, und das mitten in einer ohnehin schwierigen konjunkturellen Phase.

Druck am Hypothekenmarkt

Gerade härtere Anforderungen für die Besicherung von Hypothekenkrediten dürften laut Branchenverbänden die Verfügbarkeit von Baudarlehen für Antragssteller mit niedrigem Einkommen erodieren lassen. Zugleich fürchten Industriegruppen, dass die Vorgaben die Konkurrenzfähigkeit etablierter US-Banken gegenüber Intermediären ohne Einlagengeschäft sowie europäischen Konkurrenten schwächen werden. Denn die Pläne sind zwar Teil der Umsetzung des globalen Bankenpakets Basel III in den Vereinigten Staaten, nach Ansicht der Branche weichen sie aber unangemessen von den Standards ab, auf die sich internationale Aufseher 2017 verständigt hatten.

Besonderen Anstoß erregen zusätzliche Regeln, die stark gebührenbasierte Geschäftsmodelle von US-Banken als Quelle operationeller Risiken einstufen würden. In der Folge dürften laut Analysten gerade die Kapitalvorgaben für Investmentbanken wie Morgan Stanley steigen, die sich stark auf das Wealth Management fokussiert haben. Die Vermögensverwaltung und Anlageberatung für sehr wohlhabende Kunden gilt als lukrativ, weil sie stabilere Erträge bietet als das klassische Kapitalmarktgeschäft. Neben Morgan Stanley arbeiten auch Konkurrenten wie J.P. Morgan und Goldman Sachs daran, ihre Präsenz im Wealth Management auszubauen. Kritiker sehen wenig Sinn darin, gerade gegen dieses seit der Finanzkrise 2008 erfolgreiche Segment des Finanzsektors vorzugehen.

Großbanken robust

Die sechs größten US-Banken – zu denen neben den genannten auch Bank of America, Citgroup und Wells Fargo gehören – haben im jüngsten Fed-Bankenstress robust abgeschnitten. Ihre harten Kernkapitalquoten blieben auch im schärfsten Stressszenario deutlich oberhalb der bisher gültigen regulatorischen Mindestschwelle von 4,5%, zu der noch bankspezifische Aufschläge hinzukommen. Gemeinsam sitzen die führenden Institute laut dem Analysedienstleister Bloomberg Intelligence auf überschüssigem harten Kernkapital von 118 Mrd. Dollar. Diese Polster könnten fast vollständig schwinden, wenn die neuen Vorgaben tatsächlich eingeführt werden. Analysten befürchten zudem, dass die Regeln eine Reduktion von Aktienrückkaufprogrammen nötig machen dürften.

Laut dem FDIC-Vorsitzenden Martin Gruenberg sind fünf große Bankholdings unterdessen nicht ausreichend mit Kapital ausgestattet, um die angepeilten Regeln zu erfüllen. Diese Institute sollen nach Angaben des Einlagensicherungsfonds und des für Aufsicht zuständigen Fed-Vize Michael Barr zwar in der Lage sein, binnen zwei Jahren über ihre Gewinne ausreichende Mittel aufzubauen und dabei noch Dividenden auszuzahlen. Dem liegt aber die Annahme zugrunde, dass sich die Profitentwicklung im Finanzsektor wie in den vergangenen Jahren fortsetzt. Analysten warnen indes davor, dass an anderer Stelle liquide Mittel für wichtige Investitionsausgaben fehlen könnten.

Regulierer uneins

Auch innerhalb der Regulierungsbehörden herrscht mitnichten Einigkeit. Die beiden republikanischen Mitglieder des fünfköpfigen FDIC-Direktoriums stimmten gegen die Vorschläge. Einer der beiden Abweichler, Jonathan McKernan, bezeichnete die Entscheidungen zur konkreten Ausgestaltung der Pläne als “fragwürdig”.

Auch Fed-Gouverneurin Michelle Bowman äußerte sich kritisch. “Meiner Ansicht nach gibt es keine ausreichenden Beweise dafür, dass die Vorteile dieses Vorschlags die Kosten rechtfertigen”, sagte sie am Donnerstag. Die zur Konsultation gestellten Überarbeitungen seien weder durch den Kongress angewiesen noch durch eine neue Entwicklung oder identifizierte Schwäche im Bankensystem getrieben. Die US-Banken seien deutlich besser kapitalisiert und wesentlich liquider als nach der Finanzkrise 2008. Angesichts der zahlreichen Abweichungen des Vorschlags vom globalen Basel-III-Standardwerk sei zudem nicht ersichtlich, dass die avisierten Änderungen die Kapitalvorgaben für große Banken international einheitlicher machen würden.

Bowman stimmte als eines von zwei Mitgliedern des Gouverneursrates gegen die avisierte Verschärfung, vier votierten dafür. Der Fed-Vorsitzende Jerome Powell unterstützte die maßgeblich von seinem Vize Barr vorangetriebenen Vorschläge zwar, setzte hinter einige der neuen Vorgaben aber Fragezeichen. Er sei sehr daran interessiert, öffentliche Rückmeldungen zur Kalibrierung des Regelwerks zu erhalten – etwa dazu, in welchem Ausmaß der Markt höhere Kapitalvorgaben für Banken mit großvolumigen Trading-Aktivitäten oder die Neueinstufung operationeller Risiken als sinnvoll erachte.

Powell fordert Ausgewogenheit

Die Vorgaben für Großbanken seien im Nachgang der globalen Finanzkrise bereits deutlich gestiegen. “Während noch höhere Kapitalquoten Vorteile haben könnten, müssen wir wie immer auch die potenziellen Kosten berücksichtigen”, sagte Powell. Es komme darauf an, ein gesundes Gleichgewicht zu erreichen. Dafür seien umfassende Beratungen nötig.

Zugleich betonte Powell aber, dass die jüngsten Ereignisse im Markt die Notwendigkeit einer stärkeren Aufsicht und Regulierung von Geldhäusern mit Assets von 100 bis 250 Mrd. Dollar deutlich gemacht hätten. Damit spielte der Fed-Chef auf die Turbulenzen unter Regionalbanken an, die zwischen März und Mai Schockwellen durch die Finanzmärkte sandten. In diesem Zeitraum kollabierten die Silicon Valley Bank, die Signature Bank und die First Republic Bank, womit es binnen weniger als zwei Monaten zu drei der vier größten Bankzusammenbrüche der US-Geschichte kam. Die Regulierung und Aufsicht mittelschwerer Geldhäuser soll laut Powell “die Größe und das Risikoprofil der einzelnen Institutionen reflektieren”. Dies sei essenziell, damit Banken mit unterschiedlichen Ausrichtungen gedeihen könnten und das Finanzsystem seine Diversität erhalte.

Notenbank-Vize unter Zugzwang

An der Wall Street werden seit Wochen Stimmen laut, wonach sich Fed-Vize Barr und führende FDIC-Vertreter durch die massive Kritik an ihren Behörden während der Bankenkrise unter Zugzwang gesehen und die bereits zuvor auf den Weg gebrachten Regeländerungen ausgeweitet hätten. Barr dringt nun nicht nur auf eine „schnellere, agilere und schlagkräftigere“ Aufsicht sowie härtere Stresstests, sondern will auch einen einheitlichen Standard zum Reporting von Kredit-, Betriebs- und Trading-Risiken einführen. 

Die Pläne der Regulierer sehen zudem vor, dass künftig auch Banken ab einer Bilanzsumme von 100 Mrd. Dollar nicht realisierte Gewinne und Verluste aus bestimmten Positionen innerhalb ihrer Wertpapierportfolios in die Berechnung ihrer Kapitalquoten einfließen lassen müssen. In der Vergangenheit konnten mittelgroße Institute Verluste maskieren, indem sie erklärten, einen Teil ihrer Wertpapiere bis zur Fälligkeit halten zu wollen.

Höhere Transparenz nötig

Die Silicon Valley Bank war Anfang März nach einem Einlagenschwund gezwungen, auch solche Positionen unter hohen Verlusten abzustoßen, was eine Panik unter Investoren sowie Sparern zur Folge hatte und zu weiteren massiven Mittelabflüssen führte. Neue Regeln sollen nun dazu beitragen, wachsende Verluste in den Portfolios transparenter zu machen. Zudem sollen mittelgroße Geldhäuser stärker als bisher gezwungen werden, in Zeiten eines hohen Kreditwachstums größere Kapitalpuffer aufzubauen.

Stimmen Fed, FDIC und OCC Ende November für die Regeln, dürften diese zwischen 2025 und Juni 2028 in mehreren Stufen eingeführt werden. Die Struktur des Bankenmarktes könnte sich damit deutlich verändern. Analysten erwarten, dass sich Geldhäuser dann aus riskanteren Assets zurückziehen und sich aus einigen Geschäftsbereichen verabschieden.

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