EDITORIAL

Verehrte Leserinnen und Leser,

der Zustand der Bankenlandschaft in Europa ist besorgniserregend. Galt in der Krise 2008 das Hauptaugenmerk der Liquidität der Banken, so steht jetzt ihre Profitabilität im Fokus. Zwar wurden Event-Risiken wie die Brexit-Entscheidung vorerst noch...

Verehrte Leserinnen und Leser,

der Zustand der Bankenlandschaft in Europa ist besorgniserregend. Galt in der Krise 2008 das Hauptaugenmerk der Liquidität der Banken, so steht jetzt ihre Profitabilität im Fokus. Zwar wurden Event-Risiken wie die Brexit-Entscheidung vorerst noch recht gut verdaut. Dennoch hinterlässt die turboexpansive Geldpolitik der EZB mit der Aussicht auf Jahre anhaltende Negativzinsen deutliche Spuren in den Gewinn-und-Verlust-Rechnungen der Banken. Negativzins zusammen mit der überbordenden Regulatorik ergeben einen Cocktail, der schwer bekömmlich ist.Dabei mangelt es nicht an deutlichen, sich klar artikulierenden Stimmen, die vor den Nebenwirkungen dieses Cocktails warnen. Doch diesen wird, zumindest bisher, kräftig widersprochen, mit Hinweis auf das Schaffen von Voraussetzungen für nachhaltiges Wachstum in Europa und die zunehmende Sicherung der Stabilität des Finanzdienstleistungssektors. Eine geordnete Diskussion über den mangelnden Grenznutzen der geldpolitischen Maßnahmen der EZB findet nur bedingt statt. Ich möchte hier nicht missverstanden werden: Es geht mir nicht um erneutes Anprangern, sondern um einen Aufruf, Maßnahmen aufzusetzen, wie man aus dieser Situation wieder geordnet herausgelangt. Nicht nur Zentralbanken, sondern alle Marktteilnehmer werden dabei gefragt sein, ihren Beitrag zu Methodenkompetenz und Finanzmarktanalytik zu leisten. Der Cocktail aus Negativzinspolitik und Regulatorik wird in einer Zeit verabreicht, in der es gilt, den größten Wandel zu gestalten, den unser Sektor in Bezug auf die Interaktion mit Kunden und damit auf den Marktzugang je erfahren hat. Die Notwendigkeit, jetzt massiv in Digitalisierung zu investieren, ist inzwischen unstrittig. Doch viele Häuser können unter den heutigen Rahmenbedingungen keine hinreichende Eigenkapitalverzinsung mehr erzielen und sind daher händeringend auf der Suche nach einem Geschäftsmodell. Die Deka-Gruppe hat dank der tiefen Integration in die Sparkassenfinanzgruppe und der einhergehenden Positionierung als das Wertpapierhaus der Sparkassen ein tragfähiges Geschäftsmodell. Gleichwohl sind wir integraler Bestandteil des Sektors und spüren deshalb genauso den Verdrängungseffekt von Zukunftsinvestitionen durch Regulatorikprojekte und erhöhte Eigenkapitalanforderungen. Um die Zukunft gestalten zu können, muss den Finanzinstitutionen noch ausreichend Luft zum Atmen bleiben.Deutschland braucht einen stabilen und starken Finanzdienstleistungssektor. Es ist gut und von allgemeinem Interesse, dass die Politik infolge der Brexit-Entscheidung in Großbritannien den Finanzstandort Deutschland wiederentdeckt hat. Dass gleichzeitig diskutiert wird, mit den Bonitätsanleihen eine ganze Anlageklasse zu verbieten, konterkariert diese Bemühungen. Die gesellschaftliche Akzeptanz der heimischen Banken ist ein wesentliches Standortargument für die heute noch in London ansässigen Institute. Ich erhoffe mir daher, dass dieses von außen kommende Signal, diese Chance für den Finanzstandort Deutschland, Startschuss ist für eine neue Form des Dialogs zwischen Politik, Gesellschaft und Finanzbranche. Zu reden sein wird dabei auch über die Wertpapierkultur. Niedrig- und Negativzins nagen unaufhörlich am Portemonnaie der Sparer. Es ist an der Zeit, den Schalter umzulegen. Eine Steuersenkungsdebatte vor dem Wahlkampf hat da mehr den Effekt eines lindernden Placebos, die Langfristwirkung des unbekömmlichen Cocktails wird nicht beseitigt. Solange Wirtschaft in der Schule keine Rolle spielt und Börsen, Aktien, Zertifikate per Definition suspekt sind, erreichen wir nur eins: Die Schere zwischen Arm und Reich geht in Deutschland auseinander.Michael RüdigerVorsitzender des Vorstands der DekaBank