IM BLICKFELD

Vergleich der Deutschen Bank mit Kirch in neuem Licht

Von Michael Flämig, München Börsen-Zeitung, 27.9.2016 Wer 925 Mill. Euro spendiert, der muss nicht nur viel Geld, sondern gute Gründe für derlei Freigiebigkeit haben. Diese Schlussfolgerung gilt um so mehr, wenn die Überweisung nicht an einen...

Vergleich der Deutschen Bank mit Kirch in neuem Licht

Von Michael Flämig, MünchenWer 925 Mill. Euro spendiert, der muss nicht nur viel Geld, sondern gute Gründe für derlei Freigiebigkeit haben. Diese Schlussfolgerung gilt um so mehr, wenn die Überweisung nicht an einen Freund, sondern einen Intimfeind geht. Insofern galt es in der breiten Öffentlichkeit als ausgemacht, dass die Deutsche Bank falsch gespielt hat, als ihr Kreditkunde Leo Kirch 2002 in die Insolvenz ging. Warum sonst hätte das Kreditinstitut den Rechtsnachfolgern des Medienunternehmers zwölf Jahre später eben jene 925 Mill. Euro überweisen sollen?Diese Frage stellt sich neu, seitdem das Landgericht München die Causa Kirch ein Jahr lang unter die Lupe genommen hat und in seiner schriftlichen Urteilsbegründung zu anderen Schlussfolgerungen kommt als das Oberlandesgericht München unter Richter Guido Kotschy im Jahr 2012. Beide Senate untersuchten, ob der damalige Bank-Chef Rolf Breuer die Kirch-Gruppe mittels eines TV-Interviews im Februar 2002 gezielt unter Druck gesetzt hatte, um ein Beratungs- oder Investmentmandat von Kirch zu bekommen.Nach dem Zivilprozess lautete das Urteil von Kotschy: Zwar sei Kirch vor dem Interview faktisch zahlungsunfähig gewesen. Doch sei Breuer vorzuwerfen, durch das Interview “die Möglichkeit einer Sanierung ohne Annahme des eigenen Angebots (eines Beratungsmandats, d. Red.) ausgeschlossen und dadurch bewusst und gewollt einen Wertverlust von Vermögensgegenständen” herbeigeführt zu haben. Kurz: Ein Schadenersatzanspruch besteht.In dem Strafprozess, der gegen fünf ehemalige Vorstände und Aufsichtsräte der Bank geführt wurde, kommt Richter Peter Noll – der eigentlich einen Betrugsvorwurf klären wollte – zu einem völlig anderen Fazit. Die OLG-These habe sich nicht bestätigt, sie sei “unzutreffend” und die “scheinbaren Verdachtsmomente” hätten sich als “nicht beweiskräftig” erwiesen (vgl. BZ vom 22. September). Doch nicht nur inhaltlich erhält der Kotschy-Senat eine schallende Ohrfeige. Noll rügt auch das Procedere der Kollegen. Sie hätten ein “zivilrechtlich bedeutungsloses” Detail zum Dreh- und Angelpunkt der Beweiswürdigung gemacht. Breuer contra AckermannBreuer ist damit zumindest strafrechtlich rehabilitiert. Der Vergleich, der auf dem Zivilprozess fußt, bleibt aber bestehen. Um dies zu ändern, müsse man nachweisen, dass die Kirch-Vertreter ihre Vergleich-Verhandlungspartner zum intensiven Alkoholkonsum verleitet hätten, wird auf juristischer Seite abgewunken.Trotzdem werfen die Zeugenaussagen und die Stellungnahmen der Angeklagten in dem einjährigen Strafprozess ein neues Licht auf den Vergleichsschluss. Erstens: Innerhalb der Bank existierten Meinungsunterschiede. Zweitens: Es gab sehr viele Verhandlungsrunden. Drittens: Es steht der Verdacht im Raum, dass die Staatsanwaltschaft die Bank zu dem Vergleich gedrängt hat.Erstens: Breuer war zumindest zeitweise kein Fan eines Vergleichs. Er habe seinen Kollegen einmal generell gefragt, ob man sich um eine vergleichsweise Beilegung bemühen sollte, sagte der ehemalige Rechtsvorstand Tessen von Heydebreck vor Gericht: “Dr. Breuer wollte dies meiner Erinnerung nach nicht.” Ganz anders der ehemalige Vorstandsvorsitzende Joe Ackermann. Er hält den Vergleich nach eigener Aussage für “eine richtige Entscheidung” und diagnostizierte früh hohe Reputationsrisiken: “Dies wollte ich von Anfang an im Interesse der Bank vermeiden.” Der Vergleich sei aus kaufmännischer Sicht geboten, aber keine Anerkenntnis des Klageanspruchs.Die Vergleichsdiskussionen starteten – zweitens – sehr früh. Bei seinem Treffen mit Leo Kirch im Frühjahr 2002 und damit kurz nach dem Interview seien 100 Mill. Euro im Gespräch gewesen, sagte Ackermann vor Gericht. Kirch sei es eher um eine Geste seitens der Bank gegangen. Die Rechtsabteilung der Bank habe aber abgeraten. Kirchs führender Manager Dieter Hahn sieht einen ersten systematischen Versuch 2006/2007. Der ehemalige HVB-Chef Albrecht Schmidt sei auf Bitten von Deutsche-Bank-Aufsichtsratschef Clemens Börsig eingestiegen. Informell habe man den Schaden auf rund 1,3 Mrd. Euro beziffert. Schmidt erklärte, er sei wegen des Reputationsschadens für das Gewerbe aktiv geworden. Die Gespräche scheiterten.Gut vier Jahre später habe Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer neue Verhandlungen initiiert, erklärte Ackermann vor Gericht. Nach seinem Treffen mit Seehofer und Kirch hätten der frühere bayerische Wirtschaftsminister Otto Wiesheu für die Kirch-Seite und der Hengeler-Mueller-Anwalt Michael Hoffmann-Becking für die Bank verhandelt. Druck der Staatsanwälte?Am 25. Februar 2011 lehnte der Vorstand auch diesen Vergleich ab. Entscheidend seien zwei Aspekte gewesen, berichtete Ex-Bankchef Jürgen Fitschen. Erstens seien Kirch-Ansprüche in einem anderen Prozess abgewiesen worden. Zweitens habe sich das finanzielle Risiko laut Experten erblich reduziert durch die OLG-Fokussierung auf den Aspekt sittenwidrige vorsätzliche Schädigung.Dies erwies sich als Irrtum. Nachdem Kotschy im März 2011 einen Vergleichsvorschlag über 775 Mill. Euro plus Kosten unterbreitete, der inklusive der Zinsen im wesentlichen der späteren Vergleichshöhe entsprach, hielt das Thema den Vorstand zunehmend in Atem. Beispielsweise wurde es allein im Februar 2012 in mindestens vier Sitzungen diskutiert, nachdem Ackermann am 12. Februar mit der Ehefrau des mittlerweile verstorbenen Leo Kirch, Ruth Kirch, verhandelt hatte. Am 29. Februar lehnte der Vorstand einen Vergleich erneut ab, das gleiche Bild im August des Jahres. Anfang Dezember 2012 billigte der Vorstand einen Kapitalbedarf von 300 Mill. Euro für den Kirch-Komplex. Am 14. Dezember folgte das OLG-Urteil.Warum schloss die Bank am 20. Februar 2014 den Vergleich, obwohl sie die materiellen Ansprüche immer bestritten hatte? Abwendung eines Reputationsschadens, lautet unisono die Antwort aus der Managerriege. Das weitere Prozessrisiko wertet das Landgericht München in seinem Urteil als Motiv. Die Erklärung von Breuer-Anwalt Norbert Scharf im Prozess lautete dagegen: Die Ankläger hätten im Frühjahr 2014 auf den Vergleichsschluss eingewirkt. Er spricht von einem “unzulässigen Druck der Staatsanwaltschaft”. Folge man dem Inhalt einer Präsentation für die Vorstandssitzung am 4. Februar 2014, hätten die Staatsanwälte Handlungsanweisungen gegeben, “bei deren Befolgung die Deutsche Bank eine Ausweitung des Ermittlungsverfahrens vermeiden kann” – hinaus über die Vorstandsmitglieder, die vor dem OLG ausgesagt hatten, auf alle aktiven Vorstände.Was bleibt? Man habe sich die Aufgabe nicht leicht gemacht, betonte Fitschen vor Gericht: “Denn wenn wir leichtfertig gesagt hätten, wir zahlen den Preis, hätte es nicht lange gedauert, bis jemand gesagt hätte: ,Warum eigentlich?”`