Verkannter Schweinezyklus
In vielen, sogar sehr vielen Märkten reagiert das Angebot zeitversetzt auf die jeweilige Nachfrage – ein Phänomen, das oft als Schweinezyklus bezeichnet wird. Abgeleitet ist der Begriff aus der Agrarwissenschaft: Der Preis für Schweinefleisch steigt, daraufhin wird die Produktion angekurbelt. Aufzucht und Mast nehmen jedoch naturbedingt einige Zeit in Anspruch, so dass das Schweinefleisch erst zeitverzögert auf den Markt kommt. Dabei ist nicht auszuschließen, dass der Preis bereits wieder gesunken ist, oder aber in solchen Fällen, in denen viele Produzenten ähnlich (zyklisch) agieren, das massenweise zusätzliche Angebot den Preis fortan sinken lässt. Daraufhin wird die Produktion wiederum reduziert. Zeitversetzt kommt es zu einer Verknappung des Angebots. Das Spiel beginnt von vorne. Altbekannte FalleSicherlich ist diese Darstellung stark vereinfacht. Und doch mehr oder weniger genauso zu beobachten. In der jüngeren Vergangenheit bei der Hühnereiproduktion in Frankreich beispielsweise. Oder auch abseits der Agrarindustrie, nehmen wir den Arbeitsmarkt als Beispiel. Hat ein Beruf Hochkonjunktur, zieht er viele Auszubildende, Studenten oder Umschüler an. Sie treten dann – bedingt durch die Dauer der jeweiligen Qualifikation – entsprechend zeitversetzt in den Arbeitsmarkt ein. Und auch der Immobilienwirtschaft ist das Phänomen nicht fremd. Zwar weisen Immobilien offensichtliche Unterschiede zum Schweinefleisch oder zum Hühnerei auf. Sie sind langlebige, in hohem Maße individuelle Investitionsgüter, während Schweinefleisch oder das Ei mehr oder weniger standardisierte Konsumgüter sind.Aber: Auch bei Immobilien ist der Zeitraum von der Entscheidung, zusätzliches Angebot zu schaffen, bis zu dem Zeitpunkt, zu dem eine Immobilie auf den Markt kommt, in der Regel lang. Je nachdem, wie schwierig sich die Baurechtschaffung darstellt, zählt die Entwicklungsdauer durchaus einige Jahre. Viele Immobilienentwickler, die zyklisch agieren und in Boomzeiten neue Projekte anschieben, geraten mit der Fertigstellung in eine Phase des Abschwungs. Das ist – wie in anderen Branchen auch – beileibe keine überraschende Beobachtung. Und doch tappen Immobilienentwickler immer wieder in die Schweinezyklusfalle. Das Thema ist bekannt, wird aber oft verkannt. Aktuelles Beispiel WarschauAktuell ist dies beispielsweise auf dem Büroflächenmarkt in Warschau zu beobachten. Dort wird gegenwärtig enorm viel gebaut, deutlich mehr als in jeder anderen Stadt Europas. Und keineswegs alle neuen Flächen haben bereits ihren künftigen Mieter gefunden. Viele Projektentwickler wurden durch die vergleichsweise gute Konjunkturlage der vergangenen Jahre ermutigt, mehr und auch spekulativ in Warschau zu bauen. Hinzu kommt, dass durch den beachtlichen Ausbau der Verkehrsinfrastruktur die Außenbezirke heute deutlich attraktiver sind als früher. Auch solche Lageaufwertungen riefen viele Immobilienentwickler auf den Plan.Abnehmer der Flächen – eben die Nutzer von Büroimmobilien – sind jedoch zunehmend zögerlich in der Wahl neuer oder bei der Expansion bestehender Standorte. Denn die Konjunkturaussichten für Polen haben sich eingetrübt. Auch auf einer weiteren Abnehmerebene, nämlich institutionelle Investoren, die vermietete Büroimmobilien als Anlageobjekte erwerben, sieht es nicht mehr so positiv aus wie noch vor kurzem. Zwar war und ist die Investorennachfrage hoch. Polen schaffte den Aufstieg in die Prime League der Investitionsländer. Doch viele institutionelle Investoren sind sicherheitsorientiert. Sie fragen, wie angedeutet, vermietete und keine leeren Büros nach. Wettbewerb wird härterWir erwarten jedoch einen Anstieg der Leerstände. Der Wettbewerb um bestehende und potenzielle Mieter wird in Warschau härter werden; wir dürften künftig mehr Incentives sehen, also Zugeständnisse wie mietfreie Zeiten oder Zuschüsse zu Umbauten, um die wichtigsten Mieter zu halten. Oft ist dies reine Kosmetik, um die Angebotsmieten optisch stabil zu halten – auf dem Papier steht eine Miete, mit der ein Käufer kalkuliert, faktisch (mietfreie Zeiten eingerechnet) ist die Miete über die Gesamtlaufzeit geringer.Weitere mögliche Probleme: Die Vermarktungszeiten dürften länger werden. Die gute Nachricht ist, dass Polen endgültig in den hoch entwickelten (saturierten) Büroimmobilienmärkten angekommen sein dürfte. Der Aufholprozess ist abgeschlossen. Die weniger gute Nachricht ist: Die Immobilienwirtschaft macht – unabhängig vom Beispiel Polen – immer wieder die gleichen Fehler. Unterstellt man den Akteuren Lernfähigkeit, würden Entwickler, Investoren und Finanzierer Rückschlüsse aus der Periodizität ziehen und zumindest bedingt antizyklisch agieren.Sicherlich erfordert es ein gewisses Standing, in Krisenzeiten Projekte zu initiieren und in Boomzeiten dem Trend nicht hinterherzulaufen. Und: Es erfordert ein fundiertes Research. Denn die Immobilienmarktzyklen ließen sich in der Vergangenheit nicht immer gut prognostizieren. Immer wieder haben externe Faktoren, je nach Heftigkeit auch Schocks, die Märkte verzerrt. Die Finanzkrise, davor der Niedergang der New Economy um das Jahr 2000 herum, wieder davor (zumindest in Deutschland) die Immobilienblase in den neunziger Jahren als Folge der Sonder-AfA. Die früher recht weit verbreitete Annahme, dass jeder Immobilienzyklus eine ähnlich lange Dauer hat und durchaus eine Dekade umspannen kann, bis es zum Umschwung kommt, dürfte sich in Wohlgefallen aufgelöst haben. Die Immobilienmärkte sind global und zudem in hohem Maße mit den Kapitalmärkten verwoben, die Märkte sind schnelllebiger geworden. Und schwerer zu prognostizieren. Bessere DatenAndererseits wird die Datengrundlage immer besser, zumindest auf den etablierten Immobilienmärkten. Je nach Markt sind die Datenreihen mehrere Dekaden lang, Transparenz ist für viele Unternehmen heute das Gebot der Stunde, man scheut sich nicht mehr, Transaktionsdaten zu kommunizieren. Ein fundiertes Research sollte zumindest bei solch offensichtlichen Fällen wie Warschau die Zyklen frühzeitig erkennen können. Allerdings stellt sich die Frage: Nehmen die Akteure auf den Märkten die Vorboten einer zyklischen Veränderung dann auch ernst genug? So, wie es den sogenannten “Me too”-Effekt gibt (man will dabei sein), scheint es auch einen “Anyone but me”-Effekt zu geben (man weiß, worauf der Markt zusteuert, aber es wird nur die anderen treffen). Hinweise ernst nehmenAus den Fehlern der Vergangenheit lernen – das scheint nicht in jedem Fall in der Immobilienwirtschaft gegeben zu sein. Zwar ist die Prognose durch zunehmende Schnelllebigkeit auf den Immobilienmärkten schwerer geworden. Ein professionelles Research vorausgesetzt sollten sich sich ankündigende Umbrüche in einem “normalen” Marktumfeld aber durchaus weiterhin erkennen lassen. Dennoch tappen viele Akteure weiter in die Schweinezyklusfalle. Sie agieren zyklisch und kommen mit ihren Produkten zeitversetzt (zu einem ungünstigen Zeitpunkt) auf den Markt. Wichtig ist aus unserer Sicht, die entsprechenden Hinweise aus dem Research ernst zu nehmen.—Von Marcus Cieleback, Leiter Research bei Patrizia Immobilien