Versicherer basteln an Pandemiekonzept
Die Versicherungswirtschaft erarbeitet gerade ein privatstaatliches Konzept für künftigen Pandemieschutz. Die Branche erwägt den Vorschlag einer Pflichtversicherung und will einen Teil des Risikos mit Pandemiebonds an den Kapitalmarkt transferieren. Auch international läuft die Diskussion.Von Antje Kullrich, KölnDer Plan für eine öffentlich-private Partnerschaft zur künftigen Deckung von Pandemierisiken gewinnt an Kontur. Beim Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) beschäftigt sich eine Arbeitsgruppe unter der Leitung von Jörg Asmussen mit dem Thema. “Wir sind dabei, ein Konzeptpapier zu erarbeiten”, sagte Asmussen im Gespräch mit der Börsen-Zeitung. Der ehemalige Staatssekretär und Ex-EZB-Direktoriumsmitglied ist seit April Mitglied der Geschäftsführung des GDV. Der Arbeitsgruppe beim Verband gehören Vorstände von Versicherern und GDV-Experten an. Das Konzept soll noch in diesem Monat von den Gremien des GDV verabschiedet werden. Die Branche will dann in die Diskussion mit der Politik gehen.Der Vorschlag der Arbeitsgruppe sieht eine Absicherung von Pandemierisiken in vier Schichten, im Versicherungsdeutsch “Layer”, vor. Die ersten Deckungsabschnitte übernehmen Erst- und Rückversicherer, dann folgt eine Kapitalmarktkomponente und am Ende springt der Staat ein.Neu ist die Kapitalmarktkomponente. Im bisher einzigen staatlich-privat organisierten Deckungskonzept zu Terrorrisiken, für das der Gemeinschaftsversicherer Extremus 2002 gegründet worden war, ist die direkte Einbeziehung des Kapitalmarktes nicht enthalten.Der Transfer von Pandemierisiken an den Kapitalmarkt steckt noch in einer ganz frühen Phase. Die Weltbank hatte 2017 als Reaktion auf den Ebola-Ausbruch in Westafrika drei Jahre zuvor eine Anleihe im Volumen von 320 Mill. Dollar aufgelegt, um Entwicklungsländern im Pandemiefall eine schnelle Auszahlung von Hilfen zu ermöglichen. Die Struktur des Bonds hatten Munich Re und Swiss Re erarbeitet. Die Coronakrise hat den Bond getroffen. Bereits im April berichtete das Branchenportal Artemis, dass die risikoreichere B-Tranche der Anleihe komplett ausfalle und die A-Tranche zu 16,7 % betroffen sei.Einige andere Papiere am Cat-Bond-Markt haben indirekt bzw. nicht nur mit Pandemien zu tun. Sie sichern Lebensversicherer gegen das Risiko einer höheren Sterblichkeit (“extreme mortality”) ab. Doch auch hier gibt es bisher nur wenige Emissionen. Asmussen zeigt sich jedoch zuversichtlich, was die Akzeptanz von Pandemiebonds angeht: “Wir glauben nach Marktbefragungen, dass es Investorenappetit gibt”, sagte er. “Aber der ist nicht unbegrenzt.” Darum sei die staatliche Komponente angesichts der Kumulrisiken entscheidend. Unter ReputationsdruckDie Versicherungswirtschaft steht in Sachen Pandemieschutz unter einem gewissen Druck. Der Ausschluss von Pandemien in den meisten Betriebsschließungsversicherungen, die häufig von Hotels und Gaststätten abgeschlossen wurden, war den meisten Kunden nicht klar und nicht deutlich kommuniziert worden. Eine Diskussion darüber tobt bereits seit Wochen. Mit den bisherigen Zugeständnissen der Versicherer, meist auf Kulanzbasis, sind viele betroffene Kunden nicht zufrieden. Das Thema ist damit zu einem Reputationsrisiko für die Branche geworden.Außerdem dürfte die Nachfrage nach einer künftigen Deckung groß sein. Denn die meisten Unternehmen wollen sich gegen existenzgefährdende Risiken möglichst absichern. Führende Branchenvertreter wie Allianz-Chef Oliver Bäte hatten sich bereits für eine Kooperation von Privatwirtschaft und öffentlicher Hand ausgesprochen.Da Pandemien ein flächendeckendes Risiko sind und nicht nur einzelne Versicherungsnehmer oder Kunden in bestimmten Regionen treffen, wird im GDV eine Pflichtversicherung erwogen. Asmussen formulierte das so: “Es gibt eine Präferenz für eine Pflichtlösung, aber noch keinen endgültigen Beschluss.” Politisch dürfte ein solcher Vorschlag Brisanz haben. Eine Diskussion um Pflichtversicherungen war vor allem nach den Hochwasserkatastrophen der vergangenen zwei Jahrzehnte -zuletzt 2013 – hochgekocht. Beim Schutz vor Naturgefahren hatte sich der GDV gegen eine Pflichtversicherung ausgesprochen. Die sieben Gründe, die der Verband in einem Papier vom Juni 2016 dagegen anführt, sind allerdings fast alle auf eine mögliche Pandemiedeckung so nicht übertragbar. Großkonzerne außen vorAnders als beim Terrorversicherer Extremus sollen große Konzerne nicht zur Zielgruppe der privat-staatlichen Pandemiedeckung gehören. “Es gibt eine Tendenz, das Konzept auf kleine und mittlere Unternehmen zu beschränken”, sagte Asmussen.Mit dem Konzept, das nach seinen Worten eher fünf als 25 Seiten umfassen wird, steckt der GDV eher einen groben strategischen Rahmen ab, als ins Detail zu gehen. So kann Asmussen nach eigenen Angaben zu den Kosten des Pandemieschutzes für die Unternehmen noch nichts sagen. Ebenso verhält es sich mit dem Kreis der Versicherer, die später eine solche Deckung tragen würden. “Organisatorisch brauchen wir, wie bei Extremus, eine eigene juristische Einheit”, betonte Asmussen.Wann die Deckung eingeführt werden könne, hängt laut Asmussen stark davon ab, wie hoch die Dringlichkeit in der Politik eingeschätzt werde. Ein privat-staatlicher Pandemieschutz müsse ein Gesetzgebungsverfahren durchlaufen. In Frankreich beispielsweise lautete das Ziel, die Pandemiedeckung Anfang 2021 in Kraft treten zu lassen.Die Diskussion um eine staatliche Pandemieversicherung wird derzeit in zahlreichen Ländern geführt. Asmussen sagte, man beobachte vor allem die Entwicklung in Frankreich, Italien, Großbritannien und der Schweiz. Auch auf Ebene von Insurance Europe, der Dachorganisation der europäischen Versichererverbände, sei eine Arbeitsgruppe zu dem Thema installiert. Sie werde von der Nummer zwei der Generali Group, Frédéric de Courtois, geleitet. Derzeit, so Asmussen, würden überall nationale Konzepte erarbeitet. Ob sich das in einem zweiten Schritt europäisch vernetzen lasse, müsse man sehen. Eine solche Zusammenarbeit würde er sehr begrüßen.In den USA hatte vor wenigen Tagen die demokratische Abgeordnete Carolyn B. Maloney den Pandemic Risk Insurance Act in den Kongress eingebracht. Er sieht vor, dass der Staat mit einer Beteiligung von 95 % einspringt, wenn die versicherten Schäden 250 Mill. Dollar übersteigen.