Versicherer brauchen mehr Kapital

Arbeiten für Solvency-II-Review laufen auf Hochtouren - Kritik und ein bisschen Lob von deutscher Seite

Versicherer brauchen mehr Kapital

Den deutschen Lebensversicherern drohen durch die Überarbeitung von Solvency II steigende Kapitalanforderungen. Der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft sieht sich durch die Ergebnisse einer Auswirkungsstudie in seiner Kritik an den geplanten Änderungen bestätigt.ak Köln – Die geplanten Änderungen am aufsichtsrechtlichen Regelwerk Solvency II könnten für die deutschen Lebensversicherer zu teilweise deutlich steigenden Kapitalanforderungen führen. “Bei einigen Unternehmen steigt der Bedarf im zweistelligen Prozentbereich”, sagte Götz Treber, Leiter der Abteilung Finanzregulierung beim Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV), der Börsen-Zeitung.Die Vorbereitungen für die erste umfassende Überarbeitung des vier Jahre alten Regelwerks, das die europäische Versicherungsaufsicht von Grund auf neu aufgestellt hatte, laufen auf vollen Touren. In einer Auswirkungsstudie (Holistic Impact Assessment) hat die europäische Aufsichtsbehörde EIOPA die vorgeschlagenen Änderungen getestet. Die europäischen Versicherer haben im ersten Halbjahr dieses Jahres gerechnet, welche Effekte die angedachten Änderungen auf ihre Bilanz und ihre Kapitalanforderungen haben. Da im Zentrum des Solvency-II-Reviews die Maßnahmen für langfristige Garantien stehen, lag der Schwerpunkt der Studie bei den Lebensversicherern. An dem Impact Assessment haben nach GDV-Angaben alle 83 deutschen Gesellschaften teilgenommen. Krux mit langen LaufzeitenZu tendenziell höheren Kapitalanforderungen führen vor allem zwei angedachte Änderungen – nämlich die andere Extrapolation der Zinsstrukturkurve sowie die neue Betrachtung des Zinsrisikos. Mit Hilfe der Zinsstrukturkurve bilden Versicherer mit sehr langfristigen Verbindlichkeiten – deutsche Lebensversicherer mit ihren äußerst langlaufenden Garantien sind hier besonders betroffen – ihre Rückstellungen für das Geschäft. Die Zinsstrukturkurve wird bisher ab dem Jahr 20 künstlich berechnet, weil es am Markt nicht ausreichend Papiere mit so langen Laufzeiten gibt. Künftig will EIOPA auch länger laufende Swaps einbeziehen. Diese jedoch sind rar und nicht repräsentativ für den Markt. Der GDV fürchtet deshalb erhöhte Volatilität am langen Ende der Zinsstrukturkurve, was bei den Lebensversicherern am Ende dazu führt, dass ihr Bedarf an Kapitalunterlegung steigt. Künftig negative ZinsenIn der künftigen Betrachtung des Zinsrisikos sollen im überarbeiteten Solvency-II-Modell auch negative Zinsen vorkommen. Bislang ist das nicht der Fall, obwohl negative Zinsen am Kapitalmarkt seit einigen Jahren Realität geworden sind. Auch das führt tendenziell zu steigendem Kapitalbedarf bei den Versicherern. Grundsätzlich, so betont GDV-Experte Treber, hält die Branche den Ansatz, negative Zinsen im Modell abzubilden, für richtig. Allerdings sei in der gewählten Methode ein technischer Webfehler enthalten.Ein wenig Lob hält der GDV auch bereit für die vorgeschlagenen Solvency-II-Änderungen: Bei der Risikomarge sei EIOPA auf dem richtigen Weg. Hier soll der Zuschlag auf Rückstellungen für Unternehmen mit langfristigen Garantien abgeschmolzen werden. “Es kompensiert aber bei Weitem nicht die Verschlechterungen, die vor allem die deutsche Branche treffen”, sagte Treber.Grundsätzliche Kritik äußerte der künftige Hauptgeschäftsführer des Verbands, Jörg Asmussen. Bei der Überarbeitung von Solvency II gehe es um mehr als technische Details. Politisch sieht er einiges von den Vorschlägen der europäischen Versicherungsaufseher auf dem falschen Weg. “Die EU-Kommission will das Aufsichtssystem eng mit übergeordneten Projekten wie Green Deal und Kapitalmarktunion verzahnen, damit Versicherer ihr volles Potenzial als Kapitalgeber einbringen können”, erläuterte er. “Wir stehen voll hinter dieser Idee – nur leider geben die bisherigen Vorschläge der EIOPA zu wenig Impulse für langfristige Investitionen oder machen diese sogar schwerer.”Der GDV macht das zum Beispiel an dem Instrument der Volatilitätsanpassung fest. Sie puffert bislang nur Spreadschwankungen bis zu einer Laufzeit von 20 Jahren ab und bricht danach ab. Investments mit 30 oder 40 Jahren Laufzeit würden dadurch für Versicherer uninteressanter, argumentiert der deutsche Branchenverband. Die EIOPA-Vorschläge sehen durchaus Anpassungen der Volatilitätsanpassung vor – diese jedoch sind aus Sicht des GDV wenig effektiv und machen die Sache nur komplizierter. Pandemie verzögert ProzessDie EIOPA wird Ende des Jahres ihre Empfehlungen für die Überarbeitung des europäischen Aufsichtsregimes an die EU-Kommission übermitteln. Der Zeitplan hat sich wegen der Pandemie um ein halbes Jahr verschoben. Vorschläge wird es dann nicht nur zu dem Berechnungsmodell für die Kapitalanforderungen geben, sondern auch zum Berichtswesen und dem umstrittenen Thema Proportionalität, bei dem sich die Branche und auch die deutsche Finanzaufsicht BaFin für Erleichterungen bei den Meldepflichten für kleinere Unternehmen einsetzen.Mitte 2021 dann will die EU-Kommission ihren Entwurf für die Überarbeitung von Solvency II vorlegen. Die geänderten Regeln werden nach Einschätzung des GDV frühestens 2022 in Kraft treten.