Versicherer halten sich bei Immobilien zurück
Versicherer zögern bei Immobilien
Immobilienquote erreicht mit 13 Prozent historischen Rekord – ESG wird zum dominierenden Thema
tl Frankfurt
Von Thomas List, Frankfurt
Die deutschen Versicherer wollen den Anteil ihrer Kapitalanlagen, der auf Immobilien entfällt, zukünftig konstant halten. Der geografische Schwerpunkt ihrer Neuanlagen verlagert sich auf die USA. Die energetische Ertüchtigung der Immobilien ist für die Versicherer aktuell das wichtigste Thema.
Die Immobilienquote der deutschen Versicherer hat in diesem Jahr mit 13% einen historischen Höchststand erreicht, heißt es im „Trendbarometer Immobilienanlagen der Assekuranz“ von EY Real Estate. Rund zwei Drittel der befragten Unternehmen (Lebens- und Rückversicherer sowie Pensionskassen) wollen diesen Anteil nicht weiter erhöhen. Planten im Vorjahr noch die Hälfte, ihr Engagement auszuweiten, waren es in der im Mai und Juni 2023 durchgeführten Befragung nur noch 14%.
Dazu passt die Aussage von Norbert Rollinger, Chef der R+V Versicherung im Interview der Börsen-Zeitung vom 18. Juli, nach der sich der Versicherer mit seiner Immobilienquote von 8% sehr wohl fühlt. Der bei EY Real Estate für die Studie verantwortliche Manager Christoph Haub begründete die Trendumkehr mit verminderten Renditeerwartungen und der damit einhergehenden deutlich verringerten Differenz zu am Kapitalmarkt erzielbaren Renditen für risikolose Anlagen.
Nordamerika steht noch stärker als im Vorjahr im Fokus der Immobilienentscheider in den 32 Versicherern, auch wenn auf Deutschland nach wie vor der größte Teil der Immobilienanlagen entfällt. Das liegt laut Haub weniger an höheren erzielbaren Renditen, sondern an der Einschätzung, dass der Marktzyklus in den USA bereits weiter fortgeschritten ist und damit bei einem Investment Renditevorteile realisierbar sind. In Deutschland und Europa lassen sich aktuell keine Wertsteigerungen mehr erreichen, so die allgemeine Einschätzung. Es kommt vielmehr zu negativen Wertentwicklungen. Dadurch sinken die Renditeerwartungen für die kommenden Monate – bei den Direktanlagen um 70 Basispunkte auf 3,8% und bei den indirekten um 130 Basispunkte auf 4,2%. Ihre Immobilien hält die Assekuranz etwa hälftig direkt bzw. indirekt (also insbesondere über Spezialfonds).
Energie sparen im Zentrum
Beherrschendes Thema für die Anlageverantwortlichen ist die energetische Ertüchtigung ihrer Objekte. „Viele Versicherer haben schon eine Bestandsanalyse durchgeführt und wissen auch, welche Maßnahmen sie durchführen müssen, um die Immobilien auf einen ESG-konformen Standard zu bringen“, so Haub. Als erstaunlich bezeichnet er die Absicht der Unternehmen, die immerhin erheblichen Investitionen selbst durchzuführen und sie nicht über Verkäufe anderen zu überlassen. „Die Versicherer gehen davon aus, dass sie überproportionale Abschläge hinnehmen müssten, würden sie die unsanierten Objekte jetzt an den Markt geben.“ Die Renditeeinbußen infolge der Eigensanierung nähmen sie in Kauf.
Mangelhafte Datenqualität
Bei indirekt und im Ausland gehaltenen Immobilien erhalten die Versicherer die für eine ESG-konforme Sanierung erforderlichen Daten häufig nicht schnell genug und in der nötigen Granularität. Versicherer investieren zwar weiterhin gerne in Immobilien, stellt Haub mit Blick auf die Befragungsergebnisse fest. „Allerdings mit deutlich reduziertem Volumen und mit einer verminderten Risikoneigung.“ Wer zuvor Core-plus-Investments gemacht hat, ist jetzt auf Core umgeschwenkt, und wer opportunistisch unterwegs war, interessiert sich jetzt vor allem für Value-add-Anlagen. Für den Analysten ist es überraschend, dass keine komplette Trendumkehr in das risikoarme Segment festzustellen ist. Vielmehr bleibe es bei dem Grundstock an sehr risikoarmen Investments, die zur Renditeoptimierung um etwas risikoreichere Anlagen ergänzt werden.
In Europa liegen die Anlageschwerpunkte in West- und Nordeuropa (Osteuropa hat seit Ausbruch des Ukraine-Kriegs an Attraktivität verloren), treten aber insgesamt hinter den weiter erstarkten USA (und eingeschränkt Kanada) zurück. Asien (und Australien/Neuseeland) bleibt in der Bedeutung unverändert, während Afrika sowie Mittel- und Südamerika als Investitionsziele praktisch keine Rolle spielen. „Unter Versicherungen dominiert die Perspektive, dass der deutsche und europäische Markt noch nicht ausreichend adäquate Ankaufsmöglichkeiten bereithält. Das liegt unter anderem an den langen Bewertungszyklen, die eine schnellere Marktanpassung und damit Preisfindung erschweren“, sagt Haub.
„Versicherungen haben mit Blick auf Immobilien einen sehr langfristigen Anlagehorizont und stützen mit ihrer Eigenkapitalstärke den derzeit fragilen Markt. Obwohl sie sinkende Gesamtrenditen antizipieren, sehen sie nach wie vor von Desinvestitionen im großen Stil ab und kaufen teils selektiv zu“, sagt Jan Ohligs, Partner bei EY Real Estate und ebenfalls Studienautor. „Es werden zwar viele Opportunitäten angeschaut und analysiert, aber dann nur ganz wenige Transaktionen durchgeführt“, ergänzt Haub. „Dadurch nehmen die Versicherer eine vorsichtige Bereinigung ihrer Portfolien vor.“
Bei den Nutzungsarten ist Wohnen weiterhin beliebt, allerdings deutlich weniger als im Vorjahr. 68 (i.V. 95)% der Befragten haben dieses Segment jetzt in ihrem Anlagefokus. Damit stehen in diesem Jahr Logistikimmobilien an der Spitze der Beliebtheitsskala, auch wenn sie ebenso wie Büros etwas verloren haben. Infrastruktur und erneuerbare Energien finden schon seit einigen Jahren eine immer größere Nachfrage. Allerdings ist unklar, welche Volumina dahinter stehen, da EY das nicht abfragt. Mit Blick auf den Gesamtmarkt dürften sie aber überschaubar sein. Hotels und Einzelhandel liegen zwar noch in den Portfolien, stehen aber angesichts der vergleichsweise hohen Risiken nicht im Fokus für das Neugeschäft.
Finanzierung wird schwieriger
Nach ESG als zweitwichtigstes Thema wurden in der Befragung die verschlechterten Finanzierungsbedingungen genannt. „Banken vergeben Kredite restriktiver, das heißt, wo früher noch ein Loan to Value von 70 oder 80% akzeptiert wurde, sind es heute nur noch 50 oder 60%.“ Das betrifft die indirekt gehaltenen Immobilien, da dort meist mit Leverage gearbeitet wurde, um Renditevorteile zu erzielen. „Dort verlangen die Banken jetzt häufig Eigenkapitalnachschüsse, sprich die Versicherer müssen den Anlagevehikeln Liquidität zur Verfügung stellen.“ Einen angesichts gestiegener Zinsen negativen Leverageeffekt versuchen die Versicherer durch einen höheren Eigenkapitalanteil zu verhindern. Viele Versicherer vergeben auch private und gewerbliche Immobilienkredite. Dieses Geschäft wollen 44% weiter ausbauen – etwas weniger als im Vorjahr.
Die deutschen Versicherer wollen den Anteil ihrer Kapitalanlagen, der auf Immobilien entfällt, zukünftig konstant halten. Der geografische Schwerpunkt ihrer Neuanlagen verlagert sich auf die USA. Die energetische Ertüchtigung der Immobilien ist für die Versicherer aktuell das wichtigste Thema.