Versicherer im Klimawandel
Tun Versicherer genug gegen den Klimawandel? Machen sie überhaupt etwas? Die Antworten fallen naturgemäß unterschiedlich aus, je nachdem, ob man Umweltschützer oder die Versicherer (im Folgenden nur Erstversicherer in Deutschland) selbst fragt.
Speziell mit der Assekuranz beschäftigt sich die globale Initiative „Insure our Future“, die von 24 Nichtregierungsorganisationen und sozialen Bewegungen aus 14 Ländern gegründet wurde. Sie wolle, heißt es in einer Selbstbeschreibung, „die globale Versicherungsbranche für ihre Rolle in der Klimakrise zur Verantwortung ziehen“. Versicherer sollen ab sofort keine fossile Expansion mehr versichern und die Unterstützung für bestehende Kohle-, Öl- und Gasprojekte mit Blick auf das 1,5-Grad-Ziel auslaufen lassen, so die zentrale Forderung. Wie die Versicherer aus Sicht der Initiative beim Ausstieg aus der Kohle-, Öl- und Gasindustrie sowohl im eigentlichen Versicherungsgeschäft als auch bei der Kapitalanlage abschneiden, geht aus der jährlich erscheinenden Scorecard hervor.
Allianz liegt an der Spitze
In der bisher letzten Ausgabe vom Oktober 2022 hat die Allianz weltweit unter den Erst- und Rückversicherern am besten abgeschnitten (s. Tabelle). Das gilt allerdings nur für das Versicherungsgeschäft (Underwriting) und liegt in erster Linie an einer vorbildlichen Kohlepolitik. Allerdings schreibt die Allianz selbst, dass sie sich (erst) bis 2040 vollständig aus dem Kohlesegment zurückziehen will. Aktuell gilt noch laut Homepage, dass sie in Unternehmen investieren kann, die weniger als 30% ihres Umsatzes aus Kohlebergbau bzw. weniger als 30% ihres Stroms aus Kohle generieren und die Kohlekraftwerke nur in dem Maß bauen, dass das 1,5-Grad-Celsius-Ziel nicht gefährdet wird.
Sowohl bei Öl und Gas als auch in der Anlagepolitik liegen die Münchener nur auf Platz 4. Im Frühjahr 2022 kündigte der Versicherer eine Verschärfung seiner Investitions- und Underwriting-Strategie für die Öl- und Gasindustrie an. Künftig sollen keine neuen Einzelstandorte gezeichnet werden. Öl- und Gasrisiken sowie den meisten Formen der „unkonventionellen Öl- und Gasproduktion“ nur mit Einschränkungen. Ab 1.Januar 2025 wird den weltweit größten Öl- und Gasunternehmen weiterer Versicherungsschutz nur dann gewährt, wenn sie über eine Klimastrategie verfügen, die auf das 1,5-Grad-Ziel ausgerichtet ist. Grundsätzlich hat sich die Allianz dazu verpflichtet, ihre Kapitalanlagen bis 2050 klimaneutral zu strukturieren.
Dieses Ziel verfolgt auch der französische Versicherer Axa. Dort heißt es, man habe sich verpflichtet, die CO2-Emissionen in den Kapitalanlageportfolien bis 2050 auf netto null zu reduzieren. Die Kundenbeiträge sollen ab 2050 in Unternehmen und Projekte investiert werden, die in Summe kein CO2 mehr ausstoßen. Bis 2025 ist vorgesehen, den CO2-Fußabdruck für die wichtigsten Anlageklassen im Portfolio der Kundengelder um 20% verglichen mit 2019 zu reduzieren. Axa nimmt für sich in Anspruch, 2015 als erstes Versicherungsunternehmen entschieden zu haben, alle Investments in Unternehmen mit Schwerpunkt im Kohlegeschäft zu verkaufen. Darüber seien Investments in „große Teile“ der Förderung von Öl und Gas ausgeschlossen.
In Bezug auf das Versicherungsgeschäft teilt Axa mit, dass bereits 2012 Zeichnungsbeschränkungen für die Kohle- und Ölsandindustrie sowie für die Öl- und Gasindustrie eingeführt worden seien – ohne hier spezifischer zu werden. Umweltschutzorganisationen wie Urgewald, dem deutschen Mitglied von „Insure our Future“, kritisieren hier wie in anderen Fällen, dass die Regelungen zu viele Schlupflöcher ließen, die dann doch weiter Vertragsbeziehungen und damit lukratives Geschäft zuließen.
Deutliche Kritik übt Urgewald an einem der führenden Industrieversicherer Deutschlands. „Talanx möchte zu den Guten im Klimabereich gehören, ist aber mit seiner Tochter HDI Global immer noch groß im Gasgeschäft. Höchste Zeit, sich mit diesem Bereich auseinanderzusetzen und ihn aus Klimasicht aufzuräumen“, fordert Regine Richter, Versicherungscampaignerin bei Urgewald. Auch beim Abschied vom Kohlegeschäft liegt der Konzern laut Scorecard nur im Mittelfeld. Der Versicherungskonzern selbst ist allerdings der Meinung, „dass ein Kohleausstieg verantwortungsvoll nur mittel- bis langfristig erfolgen kann“. Deshalb soll sich ab 2038 keine Thermalkohle-Infrastruktur mehr im Versicherungsbestand befinden. Als Thermalkohle-Infrastruktur gelten Bergwerke, kohlebetriebene Kraftwerke sowie Hafen- und Schienenbetriebe, die ausschließlich der Kohleindustrie zuzuordnen sind und deren Umsatzanteil über 30% liegt. Seit April 2019 versichern die Talanx-Gesellschaften keine neu geplanten Thermalkohle-Infrastruktureinrichtungen mehr. Dadurch habe der Konzern die Anzahl der Kohlerisiken in seinem Versicherungsportfolio im Vergleich zu 2018 um 20 % reduziert (Stand 2021). Allerdings werden Ausnahmen zugelassen. Sprich: es kommt doch zu Versicherungsabschlüssen. Das gilt für Risiken in Staaten, in denen der Anteil von Kohle im Energiemix besonders hoch ist und in denen kein ausreichender Zugang zu alternativen Energiequellen besteht. In Bezug auf umweltschädliche Öl- und Teersande heißt es in Hannover, diese Risiken würden bis 2038 vollständig reduziert. Seit 2022 sind neue Öl- und Gasbohrprojekte in der Arktis („Greenfield Arctic Drilling“) auf Einzelrisikobasis ausgeschlossen.
Dieser Ausschluss gilt auch für die Kapitalanlage. Talanx investiere grundsätzlich nicht mehr in Unternehmen, deren Umsatz und Erzeugungsanteil zu mehr als 25% auf Thermalkohle basiert. Bis 2038 soll der vollständige Ausstieg aus Thermalkohle geschafft sein. Auf dieses Jahr werden die Laufzeiten bestehender Investments begrenzt. Außerdem schließe der unternehmenseigene Filterkatalog auch klima- und umweltschädliche Öl- und Teersande aus.
Im Talanx-Konzern bestehen aber durchaus bedeutende Unterschiede. So verfügt Hannover Rück, die mehrheitlich zu Talanx gehört, laut Urgewald zusammen mit Aviva im Wettbewerbsvergleich über die stärkste Öl- und Gasrichtlinie. Beide sind allerdings keine großen Akteure im Versicherungsgeschäft mit der Öl- und Gasindustrie. Im Gegensatz zur Hannover Rück habe Talanx-HDI Global noch keine Öl- und Gasversicherungsrichtlinie eingeführt, so Urgewald.
Auch die R+V Versicherung in Wiesbaden bekennt sich zu dem Ziel, Treibhausgasemissionen (gemessen in CO2-Äquivalenten) bis 2050 auf netto null zu reduzieren. Deshalb würden Einzelinvestments auch auf ihre Vereinbarkeit mit dem R+V-Klimaziel überprüft. Eine vollständige Klimaneutralität ihres Portfolios hält die R+V kurzfristig für nicht umsetzbar. Deshalb enthalte das Anlageportfolio Investitionen in Unternehmen, die Umsätze in der fossilen Wirtschaft (Wertschöpfungsketten des Öl- und Gassektors) generieren (vor allem große Energieversorger). Diese Anteile werden sich aber entlang des CO2-Reduktionspfades der betreffenden Unternehmen und der R+V-Kapitalanlagen im Zeitverlauf reduzieren, teilt der Versicherer etwas unspezifisch mit.
In Bezug auf Kohle heißt es, die R+V investiere seit 2018 nicht mehr in Unternehmen, die 30% oder mehr ihres Umsatzes aus der Förderung oder der Aufbereitung und Verwendung dieses fossilen Brennstoffs generieren.
Zum möglichen Ausschluss von bestimmten Kundengruppen bei Vertragsbeziehungen macht die R+V keine Angaben. Allerdings ist sie auch weit überwiegend im nationalen Privatkundengeschäft aktiv.
Kundenhandeln beeinflussen
Das direkte oder indirekte Unterlassen von klimaschädlichen Aktivitäten ist aber nur eine Seite der Medaille. Auf der anderen Seite stehen Aktivitäten, die den Klimawandel bekämpfen, zum Beispiel indem klimafreundliches Handeln der Kunden gefördert wird. Das schreiben sich fast alle Versicherer auf ihre Fahnen. Bei der R+V erhalten Fahrer von Elektro- und Hybridfahrzeugen einen deutlich erweiterten Versicherungsschutz. Seit 2021 werden Fahrern von Pkw mit niedrigem CO2-Ausstoß Nachlässe auf den Versicherungsbeitrag gewährt. Auch die Allianz bietet spezielle Elektrotarife mit einem Nachlass von bis zu 20% auf reine E-Fahrzeuge und bis zu 10% für Hybrid-Fahrzeuge. Die Münchener zahlen bei einem Kfz-Kasko-Totalschaden 2500 Euro Prämie (bei Anspruch auf Neupreisentschädigung), wenn von einem Pkw mit Verbrennungsmotor oder Hybridantrieb auf ein rein elektrisch betriebenes Fahrzeug umgestiegen wird.
Die Axa streicht die nachhaltige Schadensanierung heraus – sei es bei Leitungswasser- oder Brandschäden am Haus oder bei Kfz-Schäden, wo der Grundsatz „Instandsetzen vor Erneuern“ herrsche und damit erhebliche Mengen an CO2 eingespart werden können. Es bleibt die Frage: Reicht das? Tun Versicherer genug gegen den Klimawandel? Sicherlich nicht. Da muss noch mehr kommen. Den meisten Versicherern ist das auch bewusst.