GASTBEITRAG

Versicherer sehen sich für die Krise gut aufgestellt

Börsen-Zeitung, 29.9.2020 Nach einem für die Weltwirtschaft außergewöhnlich guten Jahr 2019, in dem sich auch die Aktienmärkte sehr positiv entwickelten, waren für unsere neunte globale Studie über das Assetmanagement bei Versicherungsgesellschaften...

Versicherer sehen sich für die Krise gut aufgestellt

Nach einem für die Weltwirtschaft außergewöhnlich guten Jahr 2019, in dem sich auch die Aktienmärkte sehr positiv entwickelten, waren für unsere neunte globale Studie über das Assetmanagement bei Versicherungsgesellschaften zu Beginn dieses Jahres zunächst zwei Faktoren prägend: einerseits Bedenken mit Blick auf den möglicherweise übermäßig verlängerten Konjunkturzyklus sowie andererseits ein grundsätzlicher Marktoptimismus.Doch schon Mitte Januar hatte Covid-19 begonnen, unsere Erwartungen für das vor uns liegende Jahr obsolet erscheinen zu lassen. Seither ist das Leben von der Pandemie geprägt und beschleunigt. Zentralbanken und Regierungen mussten in noch nie da gewesenem Umfang Maßnahmen ergreifen – schneller denn je. Welche Auswirkungen das auf die Gesellschaft, die öffentliche Gesundheit, auf Volkswirtschaften und den Investmentausblick hat, zeigt sich erst nach und nach.Wie begegneten globale Versicherungsgesellschaften der neuen Dynamik? Sie hielten während der Hochphase der Krise – trotz Marktvolatilität und Ungewissheiten – an ihrer langfristigen Investmentstrategie fest, während sie kurzfristige Chancen nutzten. Im Rahmen risikoreduzierender Maßnahmen hatten viele von ihnen ihre Investmentportfolios in den vergangenen Jahren bereits Schritt für Schritt defensiver ausgerichtet, weil sie erkannt hatten, dass der Kreditzyklus in seine Spätphase kommt. Relative-Value-ChancenWährend die strategische Asset-Allokation weitgehend unverändert blieb, gelang es den CIOs, Relative-Value-Chancen zu nutzen, die durch Marktverwerfungen entstanden. Dabei wurde in hochwertige Unternehmensanleihen investiert oder im Vorfeld von Zentralbankmaßnahmen kurzfristige Liquidität in Barmitteln und Commercial Paper umgeschichtet. Zahlreiche Versicherer nutzten zudem ihren globalen Investmentansatz, um im März und April von der Renditedifferenz zwischen US- und europäischen Märkten zu profitieren.Anfänglich bestand die Antwort von Versicherungsgesellschaften auf die Krise darin, ihre Kreditallokationen zu überprüfen und die potenziellen Auswirkungen von Covid-19 auf verschiedene Sektoren, Unternehmen und geografische Regionen in Modellen abzubilden. Während sich Versicherer auf ihre bestehenden Zinsabsicherungen und Aktien-Overlays verließen, um die Auswirkungen von Marktschocks auf ihre Bilanzen abzufedern, suchten sie gleichzeitig nach Möglichkeiten, Marktverwerfungen gezielt zu nutzen.Obwohl sich kurzfristige taktische Gelegenheiten ergeben angesichts der Aussicht auf ein länger anhaltendes Niedrigzinsumfeld, betrachten Versicherungs-CIOs liquide gehandelte Anleihen nach wie vor als Grundpfeiler ihrer langfristigen Portfolios. Innerhalb dieser Portfolios hat die Krise gezeigt, wie wichtig es ist, flexibel und agil zu handeln: Durch die Rotation von Anleiheportfolios zwischen den wichtigsten Währungsmärkten und die Fähigkeit, Liquidität zwischen Barmitteln und Kurzläufern umzuschichten, sowie den geschickten Einsatz von Derivaten konnten Versicherer im März und April eine enorme Wertschöpfung erzielen.Nach Ansicht vieler Befragter wird der mehrjährige Trend von Public zu Private Markets anhalten. Zugleich besteht die Angst, dass kleine bis mittelständige Unternehmen, die einen Großteil des privaten Anlageuniversums ausmachen, durch die Krise massiv beeinträchtigt werden. Angesichts der Aussicht auf niedrige Renditen zählen die Illiquiditätsprämie, Diversifikationsvorteile und finanzielle Repression an den Anleihemärkten zu den Hauptfaktoren, die das Interesse von langfristig orientierten Anlegern an alternativen Ertrags- und Renditequellen nachhaltig stützen. Versicherer nutzen bei ihrer Anlagestrategie für Private Markets beispielsweise direkt originierte, also unmittelbar zwischen Geber und Nehmer verhandelte Unternehmenskredite, die mehr als 150 Basispunkte an Mehrrendite gegenüber vergleichbaren, liquide gehandelten Anleihen abwerfen können.Was die Umsetzung angeht, nutzt die Mehrzahl der globalen Versicherer ETFs für einen Teil ihrer Aktien- und/oder Anleiheallokationen, wobei das Wachstum im letzten Jahr überwiegend durch das Interesse in Europa geschürt wurde. Versicherungsgesellschaften, die in Fixed-Income-ETFs investieren, nutzen die Allokationen meist für ihr kurzfristiges taktisches Engagement – aus Gründen der operativen Effizienz oder auch für das Liquiditätsmanagement. Die Vielseitigkeit der ETFs hat sich während der aktuellen Volatilität sicherlich als besonders vorteilhaft erwiesen. ESG-StrategienTrotz der Unsicherheit bleiben längerfristige Trends, wie die Umsetzung von ESG-Strategien, bestehen. Die Reduzierung des Portfoliorisikos ist nach wie vor der wichtigste Grund für Versicherer, weltweit ESG- und Impact-Investing-Strategien zu integrieren, was die Überzeugung unterstreicht, dass die Kreditwürdigkeit und der zukünftige Wert eines Vermögenswerts direkt von ESG-Faktoren beeinflusst werden. Dennoch müssen Versicherungsgesellschaften weltweit feststellen, dass der Zugang zu verlässlichen, standardisierten Daten die größte Hürde für die Umsetzung von ESG-Strategien darstellt. Trotz einer Fülle neuer ESG-Fonds am Markt kommt hinzu, dass für die meisten Versicherer die Verfügbarkeit von Produkten, die ihren Anlagezielen entsprechen, ein wichtiges Hindernis bei der effektiven Umsetzung von ESG-Strategien ist.Klimarisikoanalysen gehören in Europa und Asien bei fast allen Versicherungs-CIOs, in den USA immerhin bei der Mehrheit mittlerweile zum Investmentprozess. Fast alle globalen Versicherungs-CIOs bekunden Interesse an Klima-Stresstests oder -Szenarioanalysen. So lässt sich messen, inwieweit ihre Portfolios zukünftigen Klimarisiken ausgesetzt sind. In Europa nutzt ein Viertel der Versicherungs-CIOs diese Analyse als wichtiges Beurteilungsinstrument in ihrem Investmentprozess.Nach wie vor trüben mehrere Unbekannte den Investmentausblick. Zahlreiche CIOs sind sich einig, dass angesichts des beispiellosen Ausmaßes der Pandemie noch nicht alle Investmentrisiken berücksichtigt wurden. Die bleibenden Auswirkungen auf Aktien, Kreditspreads und Zahlungsausfälle müssen sich erst noch vollständig abzeichnen. W-förmige ErholungMit dem Einsatz unzähliger neuer Kennzahlen und Daten zum besseren Verständnis der strukturellen Auswirkungen von Covid-19 wird klar, dass diese Erholung länger dauern könnte. Neben dem Basisszenario einer V-förmigen Erholung erscheint es vor dem Hintergrund der Nachrichten über eine sich fortsetzende Ausbreitung des Virus wahrscheinlicher, dass die langsame und stetige Rückkehr durch Volatilitätsepisoden unterbrochen werden könnte. Dies würde zu einer W-förmigen Erholung führen.Die CIOs sind trotz aller Risiken nach wie vor der Überzeugung, die kurzfristigen Herausforderungen an den Kapitalmärkten im Rahmen einer langfristigen und auf nachhaltige Renditen ausgerichteten Anlagestrategie überwinden zu können. Volker Anger, Leiter Bereich Insurance Asset Management DACH, Goldman Sachs AM