VOR DEM BREXIT-VOTUM

Versicherer warnen vor gravierenden Konsequenzen

"Bedeutende" Zahl der vielen Zehntausend Arbeitsplätze wäre in Gefahr - Moody's: Folgen verkraftbar

Versicherer warnen vor gravierenden Konsequenzen

Von Thomas List, FrankfurtEin Brexit hätte erhebliche Auswirkungen auf die britische Versicherungswirtschaft. Insgesamt wären sie aber verkraftbar, meint die Ratingagentur Moody’s. Skeptischer zeigt sich die Branche selbst, wie aus einer gemeinsamen Stellungnahme der Vereinigung der Versicherer am Londoner Markt außerhalb von Lloyd’s (International Underwriting Association of London, IUA), von Lloyd’s und des (Rück-)Versicherers Fidelis Insurance hervorgeht. Danach ist eine “bedeutende” Zahl der 34 000 Arbeitsplätze, die direkt bei gewerblichen Versicherern in London bestehen, und die vielen Zehntausend, die indirekt von ihnen abhängen, in Gefahr.Moody’s verweist in einer Sektoranalyse vom 12. Mai dieses Jahres als Folge eines Brexit zuerst auf die erhöhte Volatilität an den Finanzmärkten, die die Kapitalisierung insbesondere der britischen Lebensversicherer belasten würde. Operativ wäre das Ausscheiden aus dem EU-Binnenmarkt zu bewältigen, meint die Ratingagentur, da die meisten britischen Versicherer auf dem Kontinent über Tochtergesellschaften aktiv seien. Störender und teurer wären die Konsequenzen für Versicherer ohne lokale Tochtergesellschaften, doch “immer noch überschaubar”, da sie durch die vermutlich länger dauernden Austrittsverhandlungen genügend Zeit hätten, sich umzustellen.Die negativen Auswirkungen eines Brexits auf die einheimische Volkswirtschaft würden nach Ansicht von Moody’s die Fundamentaldaten der Versicherer relativ wenig beeinflussen. Schließlich würden sich bei einem Brexit die regulatorischen Standards der EU einerseits und Großbritannien andererseits verschieden entwickeln. Folgen der Doppelaufsicht und der unterschiedlichen Standards wären steigende Unsicherheiten und Belastungen sowohl für Tochtergesellschaften in der EU als auch in Großbritannien.Deutlicher als die Ratingagentur wird die Branche selbst. In der gemeinsamen Stellungnahme warnt sie vor dem Verlust an Einfluss auf die Regulierung. Die britische Aufsicht Prudential Regulatory Authority (PRU) habe großen Einfluss auf die Ausgestaltung von Solvency II genommen. Dies wäre nach dem Brexit anders. “Wir müssten zwar der EU-Regulierung folgen, könnten sie aber kaum beeinflussen”, warnt IUA-CEO Dave Matchem. “Das könnte unsere Wettbewerbsfähigkeit auf den europäischen Märkten beschneiden.” EU-Geschäft, das bisher in London abgeschlossen werde, könnte an eine Gesellschaft mit Sitz in der EU verloren gehen, befürchten IUA, Lloyd’s und Fidelis. Immerhin kämen 16 % des Londoner Geschäftes aus der EU ohne Großbritannien. Das sind 9,6 Mrd. Pfund. Zur Fortsetzung des Handels müssten mit allen anderen Ländern neue Verträge ausgehandelt werden. Das könne viele Jahre dauern. Ausländische Versicherer, die London als Sprungbrett für die restliche EU verwenden wollten, könnten sich in einem (anderen) EU-Land niederlassen.