Viele Wege führen an die Börse

Es muss nicht immer die mit Abstand populärste und meistgewählte Variante des klassischen Initial Public Offering sein

Viele Wege führen an die Börse

Bulle, Bär und Börsenglocke: Das sind die Bilder, die viele vor Augen haben, wenn es um den Börsengang eines Unternehmens am Frankfurter Parkett geht. Weniger bekannt sind hingegen die verschiedenen Wege an die Börse – denn es muss nicht immer das klassische IPO sein.Und doch ist das Initial Public Offering, für das die drei Buchstaben IPO stehen, mit Abstand die bekannteste und meistgewählte Variante, wenn sich Unternehmen für den Gang an die Börse entscheiden. Dabei platziert ein bislang nicht börsennotiertes Unternehmen – entweder in der Rechtsform einer AG, KGaA oder SE – weltweit erstmals Aktien an einer Börse (Initial). In der Regel handelt es sich um Aktien der bisherigen Anteilseigner sowie um neue Aktien, die aus einer Kapitalerhöhung der Gesellschaft stammen.Die neuen Aktien werden vor dem ersten Handelstag an der Börse zunächst öffentlich zur Zeichnung angeboten (Public Offering). Die Erlöse fließen der Gesellschaft zu, um beispielsweise Wachstum langfristig zu finanzieren. Altaktionäre profitieren ebenfalls von der öffentlichen Platzierung der bestehenden Aktien – sie können ihre Anteile verkaufen, um Liquidität zu generieren, oder weiterhin halten, um an der künftigen Entwicklung zu partizipieren. Der klassische WegDiesen klassischen Weg wählte auch die Teamviewer AG. Das schwäbische Technologieunternehmen feierte im September vergangenen Jahres seinen Börsengang in Frankfurt. Im Zuge des IPO konnte der Finanzinvestor Permira, der 2014 in Teamviewer investiert hatte, die Monetarisierung seiner Anteile anstoßen. Das hat sich gelohnt: Binnen Jahresfrist hat die Aktie einen hohen zweistelligen Zuwachs verzeichnet. Zudem hat die Gesellschaft neues Kapital von rund 1 Mrd. Euro aufgenommen, unter anderem für weitere Akquisitionen.Beim Gang an die Börse müssen die Wertpapiere aber nicht zwingend öffentlich angeboten werden, auch gezielte Ansprachen sind möglich – im Rahmen einer Privatplatzierung (Private Placement). Bei dieser Sonderform des Börsengangs werden Wertpapiere nur einem ausgewählten Investorenkreis angeboten. Ein Beispiel lieferte der Technologie-Investor Brockhaus Capital Management (BCM) im Juli dieses Jahres. Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder, Mitarbeiter von BCM sowie Mitglieder der Geschäftsführung der Tochtergesellschaften beteiligten sich mit insgesamt 1 Mill. Euro an der Kapitalerhöhung.Der schwedische Musik-Streamingdienst Spotify hingegen entschied sich zum Börsendebüt in New York vor gut zwei Jahren für ein Direct Listing – eine Direktplatzierung. Beim Direct Listing werden lediglich bestehende Aktien des Unternehmens zum Börsenhandel zugelassen. Vor der Börseneinführung findet kein Bookbuildingverfahren statt, was den Listingprozess flexibler macht und die Kosten senkt. Einen vorab festgelegten Preis für den Erwerb der Aktien gibt es daher nicht und somit auch nicht das Risiko von Preis- und Bewertungsabschlägen. Der Preis wird am ersten Handelstag durch Angebot und Nachfrage ermittelt. Des Weiteren werden die Anteile der Gründer und Altaktionäre nicht verwässert, da keine neuen Aktien ausgegeben werden. Trotz des hohen Medieninteresses beim Börsengang von Spotify steht man in Europa erst ganz am Anfang eines möglichen Trends für Direct Listings. Beispiele hierzulande sind iQ International oder FCR Immobilien. Spacs boomen in den USAEine weitere Form, die derzeit besonders in den USA boomt, sind sogenannte Spacs (Special Purpose Acquisition Company). In diesem Jahr sind in New York mehr Spacs als klassische Unternehmen an die Börse gegangen – dort besteht bereits ein etablierter Markt mit ausreichend Liquidität. Eine Spac ist eine Mantelgesellschaft, die zunächst Kapital über einen Börsengang einsammelt, um das Kapital anschließend für die Übernahme eines noch nicht identifizierten, operativ tätigen Unternehmens zu verwenden – das wiederum nicht an der Börse notiert.Dazu definieren die Geldgeber und das Managementteam vorab einen Zeitraum zur geplanten Umsetzung. Kommt es dann nicht zum Vollzug, wird die Spac-Gesellschaft liquidiert und die Investoren erhalten ihr Kapital inklusive Zinsen zurück. Spacs eröffnen Retailinvestoren so die Möglichkeit, an der Entwicklung von nichtbörsennotierten Unternehmen zu partizipieren. Zudem erweisen sich Spacs als resistenter gegenüber Marktvolatilitäten, da sie nicht an ein enges Zeitfenster gebunden sind. Auch in Deutschland steigt das Interesse an dieser Struktur. Die Frankfurter Börse hat für Unternehmen die Rahmenbedingungen geschaffen, die ein Spac-Listing auch in Deutschland ermöglichen. Der Spin-off und Carve-outZwei weitere Optionen können gerade im Zuge einer Neuausrichtung von Unternehmen interessant sein: der Spin-off und der Carve-out. Beim Spin-off wird aus einem Unternehmen beziehungsweise einem Konzernverbund ein Tochterunternehmen oder eine Sparte ausgegliedert – und es entsteht ein neues, eigenständiges Unternehmen. Bei einer solchen Ausgründung verteilt die Muttergesellschaft die Anteile der ausgegliederten Tochtergesellschaft anteilig an ihre bisherigen Aktionäre in Form einer Sonderdividende. Vor kurzem fand in Frankfurt mit der Abspaltung der Siemens Energy vom Siemens-Konzern einer der größten Spin-offs in Europa statt.Eine ähnliche Variante bietet der Carve-out. Anders als beim Spin-off eines Tochterunternehmens behält die Muttergesellschaft allerdings die Mehrheit an dem Unternehmen. Der Carve-out dient also vor allem der Kapitalbeschaffung, ohne eine komplette Abspaltung des Geschäftsbereichs anzustreben. Erfolgreiche Beispiele dafür sind die Abspaltung der DWS Group von der Deutschen Bank oder die Abspaltung von Lanxess durch Bayer. Trotz unterschiedlicher Optionen bleibt das Motiv beim Gang an die Börse in aller Regel das gleiche: Es besteht ein langfristiger Finanzierungsbedarf, der meist nicht mehr allein aus dem eigenen Cash-flow oder einer klassischen Bankfinanzierung gedeckt werden kann – etwa infolge geschäftlicher Herausforderungen, internationaler Wachstumspläne, der Vergrößerung von Produktionskapazitäten, der Digitalisierung des Geschäftsmodells oder von Nachfolgeregelungen bei Familienunternehmen. Langfristige VorteileDer größte Vorteil der Eigenkapitalfinanzierung über die Börse liegt für viele Unternehmen in den wiederkehrenden Finanzierungsmöglichkeiten – einerseits durch Kapitalerhöhungen, andererseits durch die Option, Fremdkapital in Form von Anleihen aufzunehmen. Börsennotierte Unternehmen profitieren aber auch von einem höheren Bekanntheitsgrad in der Öffentlichkeit, bei Geschäftspartnern und Kunden. Und auch gegenüber den Arbeitnehmern kann sich die Börsennotierung auszahlen: Mitarbeiterbeteiligungen ermöglichen, die Belegschaft an das Unternehmen zu binden und gleichzeitig junge Talente sowie qualifiziertes Personal auf C-Level-Ebene mit attraktiven Benefits zu akquirieren. So entstehen innerhalb und außerhalb des Unternehmens langfristige Vorteile für börsennotierte Unternehmen. Renata Bandov, Head of Department Pre-IPO & Capital Markets der Deutsche Börse AG