Studie kritisiert Auswahlverfahren

Vier von zehn Top-Aufsehern stammen aus Finanzbranche

Das Wirtschaftsforschungsinstitut IWH kritisiert personelle Verbindungen zwischen Finanzbranche und Aufsicht – und vermutet Risiken für die Finanzstabilität. Das Institut fordert transparentere Auswahlverfahren.

Vier von zehn Top-Aufsehern stammen aus Finanzbranche

Reger Wechsel von Banken zur Aufsicht

IWH-Studie: Vier von zehn Top-Aufsehern stammen aus Finanzindustrie

wbr Frankfurt

In der Finanzaufsicht stammen viele Führungskräfte aus der Kredit- oder Versicherungswirtschaft. Fast vier von zehn Vorstandsmitgliedern von nationalen Regulatoren haben zuvor in der Finanzindustrie gearbeitet. Das zeigt eine Studie des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH).

Die Forscher vermuten, dass diese Nähe einer „laxen Regulierung den Weg ebnen” könnte. „Zumindest scheinen sich Anleger eine nachsichtige Kontrolle der fraglichen Banken zu erhoffen”, heißt es in einer Mitteilung des IWH. Denn nach Beobachtung des Instituts erzielen Banken Überrenditen am Aktienmarkt, wenn ihre Top-Manager in die Finanzaufsichtsbehörde wechseln.

Vom Alumnus zum Aufseher

Ein weiteres Phänomen hat das IWH zumindest für die Zeit vor der Bankenunion nachgewiesen: Kreditinstitute, deren Alumni zu Aufsehern ernannt worden sind, halten weniger Eigenkapital und wachsen schneller.

„Die Nähe zwischen Banken und Aufsicht birgt mögliche Risiken für die Finanzstabilität”, sagt Michael Koetter, Vizepräsident des IWH. „Allein der Verdacht, als Aufseher könnten ehemalige Banker ihre früheren Arbeitgeber begünstigen, kann das Vertrauen in die Institutionen belasten. Die Politik sollte die Bankenaufsicht verbessern, um das Finanz- und Wirtschaftssystem in Deutschland und Europa zeitgemäß zu sichern.”

Auswahlprozesse verbessern

Die Forscher schlagen vor, den Auswahlprozess für Führungsposten in der Aufsicht offener und komplexer zu gestalten. Erstrebenswert sei ein Auswahlgremium, in dem Politik, Finanzindustrie, Realwirtschaft und Zivilgesellschaft in einem öffentlichen Verfahren mit mehreren Stufen die beste Person für einen Posten finden. Bislang entscheide allein die Politik in geheimer Abstimmung über die Spitzenpersonalien.

In der Studie wird zudem empfohlen, dass Bankbeschäftigte vor einem Wechsel zur Aufsicht eine Wartezeit von mindestens zwei Jahren durchlaufen sollten. Bislang sei ein Wechsel praktisch nahtlos möglich. Das IWH regt zudem an, ein europäisches Transparenzregister für Banken und ihre Aufseher zu schaffen. Dank solcher Daten würden Fondsgesellschaften, Versicherungen und weitere Anleger mehr Klarheit gewinnen über mögliche personelle Netzwerke. Somit könnten Anleger Chancen und Risiken ihrer Investitionen besser abwägen. Der Markt würde damit zur Disziplinierung der Banken beitragen.

13 Aufsichtsbehörden untersucht

Für die Studie haben die Ökonomen Daten zu 185 europäischen Führungskräften gesammelt und ausgewertet, die zwischen 2002 und 2019 in 13 Aufsichtsbehörden in 10 Ländern gearbeitet haben. Die Analyse ergab, dass 38,6% der Führungskräfte von Regulierungsbehörden zuvor in der Finanzbranche tätig waren.

In Deutschland haben die Forscher die BaFin unter die Lupe genommen. Die Aufsicht wollte die Studie nicht kommentieren. Mitglieder des Direktoriums werden auf Vorschlag der Bundesregierung ernannt. Für die BaFin zuständig ist das Finanzministerium. Die jüngste Top-Personalie bei der BaFin war die Berufung von Julia Wiens als Chefaufseherin für Versicherungen. Sie kam von der Baloise Deutschland, wo sie als Vorständin Lebensversicherung tätig war. Als Karriereübergang beziehungsweise berufliche Auszeit zwischen dem Ausscheiden und dem Start bei der BaFin Anfang 2024 werden zwei Monate genannt.

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