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Visa ist wertvoller als J.P. Morgan

Von Stefan Paravicini, New York Börsen-Zeitung, 13.8.2019 Etwas mehr als zehn Jahre ist es her, dass Visa, der Betreiber des größten US-Kreditkartennetzwerks, den bis dahin größten US-Börsengang mit einem Volumen von knapp 18 Mrd. Dollar hinlegte....

Visa ist wertvoller als J.P. Morgan

Von Stefan Paravicini, New YorkEtwas mehr als zehn Jahre ist es her, dass Visa, der Betreiber des größten US-Kreditkartennetzwerks, den bis dahin größten US-Börsengang mit einem Volumen von knapp 18 Mrd. Dollar hinlegte. Zu den Gewinnern des IPO im März 2008 zählten Großbanken wie J.P. Morgan, Bank of America und Citi, die zusammen mit insgesamt 13 000 Finanzdienstleistern das Konsortium bildeten, das Visa kontrollierte. Ihnen flossen im Rahmen des Börsenganges mehr als 10 Mrd. Dollar zu, was auf dem Höhepunkt der Finanz- und Wirtschaftskrise sehr willkommen war. Profiteur von E-CommerceEine Dekade später dürften die meisten US-Institute, die nach mehr als zehn Jahren Aufschwung in den USA vor Kraft kaum laufen können, wehmütig auf den Verkauf von Visa zurückblicken. Denn das Kreditkartennetzwerk gehörte seit dem Börsengang zu den großen Profiteuren von E-Commerce und des damit verbundenen Wachstums im Online-Zahlungsverkehr.Der Umsatz des Konzerns mit Sitz in der Nähe von San Francisco hat sich seit 2008 mehr als verdreifacht und im vergangenen Jahr die Schwelle von 20 Mrd. Dollar überschritten. Der Gewinn ist im gleichen Zeitraum auf mehr als das Zehnfache gestiegen und lag 2018 zum ersten Mal oberhalb von 10 Mrd. Dollar. Die Aktie hat nach Angaben von Bloomberg seit dem IPO fast 1500 % zugelegt, während der KBW Bank Index, der die Entwicklung von zwei Dutzend US-Banken abbildet, 15 % vorangekommen ist.In der vergangenen Woche hat Visa hinter ihren Siegeszug an der Börse das nächste Ausrufezeichen gesetzt und gemessen an ihrer Marktkapitalisierung zum ersten Mal auch die größte US-Bank J.P. Morgan hinter sich gelassen. Am Montag lag der Börsenwert von Visa bei knapp 400 Mrd. Dollar, während es J.P. Morgan auf etwas weniger als 350 Mrd. Dollar brachte.Visa ist damit das wertvollste börsennotierte Unternehmen aus der Finanzbranche, sieht man einmal von dem Versicherer Berkshire Hathaway ab. Das von Starinvestor Warren Buffett kontrollierte Konglomerat, zu dem neben Versicherungen allerdings auch Eisenbahnen, Energieversorger, Hersteller von Süßigkeiten und Industrieausrüster gehören, ist an der Börse rund 485 Mrd. Dollar wert.Die Marktkapitalisierung von Visa hat allein in diesem Jahr mehr als ein Drittel zugelegt. Noch besser hat sich der Konkurrent Mastercard geschlagen, der es mittlerweile auf eine Marktkapitalisierung von 275 Mrd. Dollar bringt. In der vergangenen Woche hat Mastercard in der bisher größten Übernahme der Firmengeschichte mehr als 3 Mrd. Dollar für die dänische Nets auf den Tisch gelegt. IPO als strategischer FehlerKen Chenault, der ehemalige Chef der Kreditkartenorganisation American Express, hat den Verkauf von Visa durch die US-Banken als einen der größten strategischen Fehler der vergangenen zwanzig Jahre bezeichnet. “Sie haben es billig hergegeben und jetzt sind die Rollen komplett vertauscht”, sagte er 2017 im Rückblick über den Ausstieg der Banken aus dem Kreditkartennetzwerk, dessen Wurzeln auf eine 1958 von Bank of America in Kalifornien eingeführte Kreditkarte zurückgehen.Der Rollentausch an der Börsenspitze der Finanzbranche in der vergangenen Woche ist nicht nur der Stärke von Visa, sondern auch der temporären Schwäche der US-Banken geschuldet, wo die Sorge vor den Auswirkungen des fortgesetzten Handelskonflikts zwischen den USA und China sowie die wachsenden Risiken für die US-Konjunktur zuletzt auf die Stimmung drücken. Die Wachablöse könnte dennoch von Dauer sein, denn die Wachstumsaussichten der Kartennetzwerke bleiben gestützt auf das ungebrochene Wachstum im Online-Handel ausgezeichnet. Goldman Sachs rechnet damit, dass das Volumen des online abgewickelten Zahlungsverkehrs bis 2026 auf mehr als 50 Bill. Dollar steigen wird und für die Branche jährlich 200 Mrd. Dollar Gebühren generieren könnte.Auch neue Herausforderer wie die geplante Kryptowährung von Facebook, an der Visa und Mastercard im Rahmen der sogenannten Libra Association mitwirken wollen, werden die Rolle der Kartennetzwerke nach Einschätzung von Marktbeobachtern nicht in Bedrängnis bringen. “Um eine Gefahr für Visa und Mastercard darzustellen, müsste Libra die ganze Welt erobern”, sagt Brett Horn von Morningstar. Visa und Mastercard, die gemeinsam mehr als fünf Milliarden Plastikkarten im Umlauf haben, ist das in den vergangenen Jahrzehnten fast gelungen, obwohl sie aus China de facto ausgesperrt bleiben, wo Unionpay den Markt dominiert. Facebook zählt derzeit etwas mehr als zwei Milliarden aktive Nutzer.