NOTIERT IN FRANKFURT

Vom Niedergang des Kulturstricks

Jetzt auch noch die Sparkassen! Bei der Haspa, dem größten der 390 Häuser, ist neuerdings "Business Casual" angesagt, und sogar der Chef macht mit. Der Zeitgeist sei so, "dass man das mal ausprobieren muss", meint Harald Vogelsang - und hat wie 90 %...

Vom Niedergang des Kulturstricks

Jetzt auch noch die Sparkassen! Bei der Haspa, dem größten der 390 Häuser, ist neuerdings “Business Casual” angesagt, und sogar der Chef macht mit. Der Zeitgeist sei so, “dass man das mal ausprobieren muss”, meint Harald Vogelsang – und hat wie 90 % seiner männlichen Mitarbeiter die Krawatte abgelegt (vgl. BZ vom 6. Juli). Die neue Lockerheit findet er “großartig”, die allermeisten Kunden sehen es erkennbar genauso. Wie es aussieht, ist damit eine der letzten Bastionen gefallen. Die Hamburger fühlten sich zwar auch als Sparkasse schon immer etwas freier, aber die S-Finanzgruppe insgesamt hatte den sparkassenroten Binder bis zuletzt mit Zähnen und Klauen verteidigt. Allenfalls für einen Fototermin bei einem Hackathon oder zu einem anderen Anlass in einer hippen Digitalfabrik traute man sich, vom traditionellen Banker- und Sparkässler-Dresscode abzuweichen und auf lässig zu machen. Im privaten Teil der Branche waren dann schon im Frühjahr Erosionserscheinungen nicht mehr zu übersehen. Am sonst strunzbiederen Finanzplatz Frankfurt erschien der Vorstand der ING-DiBa gar “oben ohne” zur Bilanzpressekonferenz.Der Kulturverfall scheint unaufhaltsam zu sein. Der wirtschaftliche Niedergang der Krawatte und ihrer Hersteller folgerichtig ebenfalls – der Inlandsumsatz inklusive Fliegen soll 2015 gerade noch 15 Mill. Euro betragen haben.Mit der Mode stehen freilich auch beschlipste Würdenträger der Wirtschaft ein wenig auf Kriegsfuß. Nimmt man etwa die Auszeichnung “Krawattenmann des Jahres” als Benchmark, muss man schon bis ins Jahr 1990 zurückblättern, um mit dem damaligen Bundesbankpräsidenten Karl Otto Pöhl einen Preisträger zu finden, der am Finanzplatz Rang und Namen hatte. Danach driftete der Preis dann, einmal abgesehen von der 2003 geehrten ersten und einzigen Krawattenmannschaft Borussia Mönchengladbach, stark ab in Richtung Michel Friedman, Claus Kleber und Hape Kerkeling. Irgendein CEO eines Dax-Unternehmens oder ein Sparkassenpräsident? Fehlanzeige.Aber jenseits von Modefragen: Wer den Kulturstrick im Schrank lässt oder wie der Autor schon vor vielen Jahren sämtliche Exemplare im Altkleidercontainer entsorgt hat, verhält sich gesundheitsbewusst und schützt obendrein das Klima. So hat die Techniker Krankenkasse bereits 2004 auf eine Studie der New Yorker Augenklinik hingewiesen, wonach gerade notorische Krawattenträger wegen eines erhöhten Augeninnendrucks Gefahr laufen, am Grünen Star zu erkranken oder gar zu erblinden. Der Binder, zumal wenn er zu eng geschnürt werde, berichtete damals die Fachpresse, könne die großen Halsvenen so stark einengen, dass der Abfluss des Kammerwassers aus dem Auge gestört sei.Und der Zusammenhang zwischen Krawatte und Klima? Auch der ist evident. Nicht von ungefähr rief die japanische Regierung unter Ministerpräsident Junichiro Koizumi im Rahmen der “Cool Biz”-Kampagne 2005 die Büroangestellten dazu auf, Sakkos und Krawatten zu Hause zu lassen, um in legerer Kleidung die umweltschädlichen Klimaanlagen herunterfahren zu können. Auch insofern sind Haspa & Co. eindeutig auf dem richtigen Weg.