Vom Universitätsmechanikus zum Global Player
Florenz Sartorius war 1870 ein junger Gründer in einer naturwissenschaftlich ereignisreichen Zeit. Im Alter von 24 Jahren machte er sich mit seiner “Feinmechanischen Werkstatt F. Sartorius” selbstständig. Es war kein Zufall, dass dies in der Universitätsstadt Göttingen geschah, damals ein Zentrum der sich rasant entwickelnden Chemie und Physik. Als Mechanikus an der Georgia Augusta erlebte er, wie komplizierte und langwierige Wägevorgänge den Wissenschaftlern zu schaffen machten. Gemeinsam mit den Forschern revolutionierte Florenz Sartorius das Wägen durch eine bahnbrechende Erfindung: Seine “kurzarmige Analysenwaage” lieferte präzise Ergebnisse in nur einem Zehntel der zuvor benötigten Zeit. Die neue Waage wurde begeistert aufgegriffen, weiterentwickelt, ermöglichte eine neue Art des Experimentierens und avancierte in kurzer Zeit zum internationalen Standard. Generationenwechsel klapptUnterstützt von seiner geschäftstüchtigen Ehefrau Luise Sartorius diversifizierte Florenz Sartorius das Produktportfolio und expandierte in weitere Märkte. Die Übergabe des Geschäfts in die zweite Generation gelang, ebenso in die dritte Generation. Auch die Globalisierung des Geschäfts wurde zu einem frühen Zeitpunkt vorangetrieben. Bereits in den 1960er Jahren etablierte der Enkel des Gründers Vertriebstöchter in Europa, gründete Anfang der 80er Jahre die erste Produktionsgesellschaft in Nordamerika. Vor gut 20 Jahren folgte dann der Sprung nach Asien mit Gründung von Produktions- und Vertriebsgesellschaften zunächst in China, dann in Indien.Die drei Eckpfeiler des Erfolgs – Offenheit, Freude und Nachhaltigkeit – bilden auch heute noch die Unternehmenswerte. Erstens: Offenheit. Sartorius war und ist meist dann besonders erfolgreich, wenn Produkte gemeinsam mit Kunden, Wissenschaftlern oder anderen Partnern entwickelt werden. Zweitens: Freude. Sartorius zog und zieht Mitarbeiter an, die Freiraum wertschätzen, sich persönlich und professionell entwickeln möchten, Herzblut in ihre Arbeit legen. Drittens: Nachhaltigkeit. Ziel war und ist es, den Wert des Unternehmens in allen Bereichen kontinuierlich und nachhaltig zu steigern. Die Basis dafür bilden vertrauensvolle Beziehungen zu Kunden, Mitarbeitern und seit dem Börsengang 1990 auch zu Investoren. Weltweit aktivHeute erzielt Sartorius fast 1 Mrd. Euro Umsatz, beschäftigt über 6 000 Mitarbeiter und ist mit mehr als 50 Konzerngesellschaften weltweit aktiv. Sein Geschäft hat der Konzern in zwei Kernsparten gebündelt.Die Sparte Lab Products & Servi-ces, die für rund ein Drittel des Konzernumsatzes steht, zielt auf Laborkunden und schließt damit unmittelbar an die Aktivitäten von Gründer Florenz Sartorius an – allerdings mit einem viel breiteren Produktportfolio. Im Fokus stehen Premium-Instrumente wie Laborwaagen, Pipetten oder Reinstwassersysteme sowie Laborverbrauchsartikel, die unverzichtbar sind in der Probenentnahme und -analyse der täglichen Laborroutine. Eingesetzt werden die Produkte in der Forschung genauso wie in der Qualitätssicherung verschiedener Industrien, vor allem Pharma, Lebensmittel und Chemie sowie der akademischen Forschung.Wie schon zu Zeiten von Florenz Sartorius geht es heute im Labor um Präzision und Schnelligkeit, wenn auch auf einem anderen Niveau als 1870. Steigender Produktivitätsdruck und wachsende Qualitätsansprüche zählen zu den Kernherausforderungen der modernen Laborarbeit. Neben Präzision und Schnelligkeit werden zudem Parameter wie Ergonomie und Benutzerfreundlichkeit immer wichtiger. Die physische Arbeitsbelastung für Laboranten ist hoch, gut durchdachtes Equipment schützt vor den typischen Berufserkrankungen an Muskeln und Gelenken. Unverzichtbar ist inzwischen auch spezielle Labor-Software zur Auswertung und Weiterverarbeitung der gewonnenen Daten, ebenso wie in die Instrumente integrierte intelligente Assistenzsysteme, die den Laboranten fehlerfrei durch vorab definierte Arbeitsabläufe führen. Die Laborarbeit zu vereinfachen und produktiver zu machen, so lässt sich die Labor-Philosophie von Sartorius zusammenfassen.Mit der zweiten Sparte, Bioprocess Solutions, die in den letzten Jahren zweistellig gewachsen ist und inzwischen gut 60 % zum Konzernumsatz beiträgt, beliefern wir die Pharmaindustrie. Sartorius ist ein weltweit gefragter Partner, wenn es um die Produktion von biotechnologischen Medikamenten geht, zum Beispiel von Antikörpern zur Therapie von Krebs, Multipler Sklerose oder Rheuma. So liefert Sartorius Bioreaktoren, in denen die benötigten Zellen gezüchtet werden, Nährmedien, Reinigungs- und Trennsysteme sowie Einwegbehälter, in denen die Biopharmazeutika transportiert und gelagert werden. Während noch vor gut 15 Jahren in diesem Segment lediglich Filter im Angebot waren, deckt Sartorius heute den kompletten Biopharma-Fertigungsprozess ab. Über Zukäufe, Kooperationen und eigene Neuentwicklungen wurde das Portfolio stark erweitert, wobei der Schwerpunkt auf innovativen und flexiblen Einwegtechnologien lag.Technologisches Leitbild der Sparte ist dabei die “single-use factory”, in der alle Produkte, mit denen der Wirkstoff in Berührung kommt, vorsterilisiert sind und nach jeder Produktionscharge ausgetauscht werden. Auf diese Weise können biotechnologische Wirkstoffe wesentlich sicherer, schneller und günstiger hergestellt werden als mit herkömmlichen Systemen aus Edelstahl. Auch ist die Produktion mit Einwegtechnologien – entgegen erster Intuition – das ressourcenschonendere Verfahren, da aufwendige Reinigungsschritte mit hohem Wasser- und Energieverbrauch entfallen. Standort mit ChancenWie zur Zeit der Unternehmensgründung vor 144 Jahren ist Göttingen heute die internationale Zentrale und Herz, Kopf und Motor des Konzerns. Obwohl nur knapp 15 % des Umsatzes in Deutschland erzielt werden, arbeiten gut 40 % der Mitarbeiter in Deutschland, davon die meisten am Standort Göttingen. Am stärksten vertreten sind neben der Administration vor allem Schrittmacherfunktionen wie Marketing, Produktmanagement und Forschung & Entwicklung, aber auch große Produktionswerke.Die eigene Nachwuchsentwicklung spielt eine wichtige Rolle, so lernen rund 150 Auszubildende und dual Studierende bei Sartorius 20 verschiedene Berufe, vom Maschinenführer bis zum Bioverfahrenstechniker. Trotz der Konkurrenz mit Ballungszentren wie München, Hamburg oder Berlin ist es für uns im letzten Jahrzehnt teilweise sogar einfacher geworden, Spezialisten und Talente anzuziehen und in die südniedersächsische Provinz zu locken. Innovation, Marktführerschaft, eine hohe Veränderungsdynamik sind starke Argumente für starke Bewerber. Auch die ambitionierten Wachstumsziele, den Konzernumsatz bis 2020 auf 2 Mrd. Euro mehr als verdoppeln zu wollen, sind attraktiv. Nicht zuletzt erleichtert die Tatsache, dass Hannover in einer halben ICE-Stunde zu erreichen ist, Frankfurt und Hamburg in weniger als zwei, Berlin in knapp drei und München in vier Stunden, die Entscheidung für Göttingen.Um sich für die nächste Phase der Unternehmensentwicklung zu rüsten, baut das Unternehmen zurzeit seinen Göttinger Campus aus. Die beiden bestehenden Werke werden an einem Standort zusammengeführt und erheblich erweitert. Zusätzliche F & E-Kapazitäten entstehen, neue Bürokonzepte werden Kreativität und Kommunikation weiter fördern. Etwa 500 Mill. Euro wird Sartorius im Zeitraum 2012 bis 2020 in seine Zentrale investiert haben. Diese Investitionen erhöhen unsere Attraktivität, sie wirken aber auch darüber hinaus auf Göttingen und Südniedersachsen. Als größter privater Arbeitgeber mit mehr als 2 000 Mitarbeitern vor Ort sind die ökonomischen und sozialen Wechselwirkungen zwischen Standort und Unternehmen beträchtlich. Entsprechend sieht sich Sartorius nicht in einer Erwartungshaltung, sondern in einer aktiven Rolle, wenn es darum geht, Göttingen als junge, kreative, internationale und lebenswerte Stadt weiterzuentwickeln und zu positionieren.—Von Joachim Kreuzburg, Vorsitzender des Vorstands von Sartorius