IM BLICKFELD

Von einem Hype zum nächsten in der Autoversicherung

Von Antje Kullrich, Düsseldorf Börsen-Zeitung, 13.9.2016 Steht die Revolution vor der Tür? Ist die nahe Zukunft von disruptiven Veränderungen geprägt? Die aufgeregte Debatte um die wichtigste Sparte der deutschen Schadenversicherung, die...

Von einem Hype zum nächsten in der Autoversicherung

Von Antje Kullrich, DüsseldorfSteht die Revolution vor der Tür? Ist die nahe Zukunft von disruptiven Veränderungen geprägt? Die aufgeregte Debatte um die wichtigste Sparte der deutschen Schadenversicherung, die Autoversicherung, legt diesen Schluss nahe. Telematik, autonomes Fahren, Carsharing, Zinstief und Insurtechs – die Themen, über die heiß diskutiert wird, sind breit gefächert. Doch wird sich die Branche in den kommenden Jahren wirklich so tiefgreifend verändern, wie manch einer prophezeit? Hier sind Zweifel angebracht.Beispiel Telematik: Ob mit kleiner Box oder Stecker im Auto oder via App auf dem Smartphone – Autoversicherer wollen das Fahrverhalten ihrer Kunden messen und in die Prämienkalkulation einfließen lassen. Wer defensiv fährt, soll weniger zahlen, lautet das Versprechen. Unausgegorene IdeenDoch das Geschäftsmodell ist noch unausgegoren, es wird viel experimentiert, und zentrale Fragen sind unbeantwortet. Zum Beispiel diese: Machen Telematik-Tarife betriebswirtschaftlich überhaupt Sinn? Der Spielraum für Preissenkungen ist beim Gros der Kunden relativ klein. Die Tarifierung der deutschen Autoversicherer ist bereits sehr ausgefeilt und differenzierter als in anderen Ländern. In puncto Erträge ist die Luft dünn. Erst seit zwei Jahren verdient die in Preiskämpfe verstrickte Branche versicherungstechnisch wieder Geld. Und Telematik-Hardware wie Stecker oder Box, die im Auto montiert werden müssen, kosten Geld. Geld, das die Versicherer kaum auf ihre Kunden abwälzen können. Für den Telematikpionier im deutschen Markt, die kleine Sparkassen-Direktversicherung S-Direkt, hat sich der Versuch nicht gerechnet. Sie ließ den Tarif wegen zu hoher Kosten auslaufen. Relevanz fehlt (noch)Beispiel Allianz: Der Branchenprimus hat sein Telematikangebot für junge Fahrer im Frühjahr mit viel Marketing-Tamtam eingeführt und kürzlich eine Zwischenbilanz gezogen. 8 000 Kunden zählt der Konzern bis dato. Das ist sage und schreibe ein Promille der gesamten Autoversicherungsverträge der Allianz. Binnen eines Jahres werden gut 25 000 Kunden erwartet. Relevant ist das Geschäft also überhaupt noch nicht. Die Gehversuche der Allianz und anderer zeigen: Es braucht Zeit. In irgendeiner Form werden Versicherer die Telematikmöglichkeiten mittel- bis langfristig nutzen, doch die Entwicklung wird dauern.Das autonome Fahren ist nach Ansicht von Brancheninsidern noch mehr Zukunftsmusik. Es bleibt viel Zeit, die damit verbundenen Haftungsfragen zu diskutieren und zu regeln. Ohnehin dürfte die Entwicklung stufenweise verlaufen. Die immer mehr um sich greifenden Fahrerassistenzsysteme sind der Einstieg in das automatisierte Fahren. Von ihnen erhofft sich die Branche Positives: Durch Abstandsregler oder Notbremssysteme seien etwa 12 % der Unfälle vermeidbar, lauten Schätzungen. Ob das tatsächlich zu insgesamt sinkendem Schadenaufwand bei den Versicherern führt, ist aber nicht klar. Denn die Unfälle, die passieren, werden durch die Masse an eingebauter Elektronik immer teurer.Einen schnelleren Einfluss auf die Kfz-Versicherer könnte der Trend zum Carsharing nehmen. In urbanen Bereichen könnten vor allem mittelständische Assekuranzen, denen Kooperationen mit den Carsharing anbietenden Autoherstellern fehlen, zu den Verlierern zählen. Ihre Stückzahlen an versicherten Pkw könnten etwas zurückgehen. Überhaupt dürften die Autoversicherer den unaufhaltsamen Trend bei den Autoherstellern, sich zum lebenslangen Mobilitätsbegleiter zu wandeln, äußerst aufmerksam verfolgen.In einem anderen Punkt hat sich die Aufregung wieder etwas gelegt. Der befürchtete fanfarenartige Markteintritt von mächtigen Internetkonzernen zeichnet sich aktuell nicht ab. Google ist mit ihrem Vergleichsportal Google Compare im Frühjahr dieses Jahres gescheitert und hat das Angebot in den USA und Großbritannien eingestellt. In Deutschland war es erst gar nicht gestartet. Auch die jungen hungrigen Insurtechs können noch nicht richtig zubeißen. Sie zielen derzeit noch vor allem auf den Vertrieb und die Schnittstellen zum Kunden. In den Kernkompetenzbereich der Versicherer – Risikobeurteilung und -kalkulation – dringen sie (noch) nicht vor.Wie sieht es mit den Ergebnissen der Autoversicherer aus? Obwohl der Zinsdruck beileibe nicht mit den Lebensversicherern vergleichbar ist, wird die Wohlfühlzone für die Autoversicherer kleiner. Kapitalanlageergebnisse könnten immer weniger Absacker im versicherungstechnischen Ergebnis ausgleichen. Die Zeiten, in denen sich Versicherer rühmten, auch bei einer Schaden-Kosten-Quote von 115 % angesichts sprudelnder Zins- und Dividendeneinnahmen noch ruhig schlafen zu können, sind lange vorbei.Und wie geht es kurzfristig weiter? Die jährliche traditionelle Wechselrunde steht vor der Tür. Für das Gros der Kunden gilt: Wer seinen Versicherer wechseln will, muss bis 30. November seine alte Police kündigen. Die spannende Frage lautet, ob der Stabilisierungstrend der vergangenen zwei Jahre aufweicht und der Preisdruck im Markt sich erneut verschärft. Sehr viele Beobachter rechnen nicht damit. Da könnte aber auch die Hoffnung mitschwingen, dass das Beschwören von Selbstdisziplin zur Self-fulfilling Prophecy wird.