IM INTERVIEW: CARL-LUDWIG THIELE

"Von einer Anwendung noch weit entfernt"

Die Bundesbank testet die Blockchain und will "vor der Kurve" sein - Bitcoin "ein Nischenphänomen"

"Von einer Anwendung noch weit entfernt"

– Herr Thiele, die Bundesbank hat sich eingehend mit der Blockchain beschäftigt. Welche Einsatzmöglichkeiten sehen Sie Stand heute?Wir haben gemeinsam mit der Deutschen Börse einen Prototyp entwickelt, um die Technologie in dem Anwendungsfall Geld-gegen-Wertpapiere überhaupt zu verstehen. Von einer Anwendung sind wir noch weit entfernt, wollen aber zeigen, dass wir uns frühzeitig damit beschäftigen, und damit als Notenbank Deutschlands bei der weiteren Entwicklung vor der Kurve sein.- Glauben Sie, dass sich in der Wertpapierabwicklung mit Einsatz der Blockchain etwas ändern wird, also Intermediäre herausfallen?Das kann heute noch niemand verlässlich beurteilen. Mit unserem Prototyp sind wir von einer Massenanwendung weit entfernt. In einem nächsten Schritt werden wir testen, inwieweit bestehende Probleme der Blockchain-Technik, zum Beispiel mangelnde Skalierbarkeit, gelöst werden können. Wir haben für diesen Prototyp das derzeitige regulatorische Umfeld als gesetzt angesehen. Das heißt, wir schaffen keinen Prototyp, der nur bei einer Rechtsänderung Realität werden könnte.- Wird der Prototyp nach weiteren Schritten perspektivisch in T2S eingebunden?Nein, die Technik wird noch lange nicht in Target2Securities (T2S) eingebunden. So weit sind wir noch nicht. T2S ist ein großes Massensystem, welches bereits 40 % des geplanten Volumens verarbeitet. Und mit der Teilnahme von Clearstream verdoppelt sich das tägliche Volumen Anfang 2017 auf 80 %. Derzeit haben wir 600 Mrd. Euro an Wertpapieren, die täglich auf T2S abgewickelt werden. Mit der Migration von Clearstream auf T2S kommen wir auf über 1 000 Mrd. Euro täglich. Das ist weit davon entfernt, wie wir mit so einem Prototyp arbeiten können. Aber wir werden uns auch als Regulatoren mit dem Thema auseinandersetzen. Denn Dritte werden Fragen an uns stellen, und dafür wollen wir als großer Finanzmarktinfrastrukturbetreiber praktische Erkenntnisse gewinnen.- Die Banken streben an, mit dem von der UBS entwickelten Settlement Coin direkten Zugang zu den Realtime-Settlement-Systemen der Zentralbanken zu gewinnen. Was würde aus den Clearinghäusern beziehungsweise dem Modell des zentralen Kontrahenten?Das, was dort aufgesetzt wird, ist für mich eher ein Modell, das auf die Abschaffung von Zentralverwahrern in ihrer Funktion als Depotführer zielt. Dass das Netting von Derivatepositionen betroffen ist, können wir als Bundesbank zurzeit noch nicht erkennen.- Die Kryptowährung Bitcoin wird von der EU noch als nicht systemrelevant betrachtet. Teilen Sie diese Einschätzung?Ja, das sehe ich genauso. Allein in Deutschland werden mehr als 78 Millionen Überweisungen und Lastschriften im Volumen von täglich rund 226 Mrd. Euro abgewickelt. Das ist eine andere Dimension. Bitcoin hat global ein Transaktionsvolumen von rund 280 000 Stück am Tag. Aus Sicht der Bundesbank ist Bitcoin deshalb ein Nischenphänomen. Außerdem ist Bitcoin keine wertstabile Einheit und eignet sich eher zur Spekulation als zur Wertaufbewahrung. Das zeigt auch die Volatilität des Kurses.—-Das Interview führte Björn Godenrath.