Von einer Überhitzung kann keine Rede sein

Preisanstiege am Wohnungsmarkt lassen sich durchaus rechtfertigen - Keine Auswüchse zu erkennen

Von einer Überhitzung kann keine Rede sein

Alles scheint in der Wirtschaft einem Zyklus zu unterliegen – so offensichtlich auch das Thema “Immobilienblase” oder in der abgeschwächten Form “Überhitzung”. Zumindest erhält man diesen Eindruck, wenn man sich die Artikel mit den jeweiligen Überschriften in der Fach-, aber auch der Wirtschaftspresse in den letzten Wochen anschaut. Die meisten Beiträge stellen die Blasendiskussion rational sachlich, ergebnisoffen dar, andere nutzen das Fragezeichen in der Überschrift und kommen zu dem Ergebnis, dass “man es weiter beobachten müsse”. Lediglich einige nutzen den kategorischen Imperativ und kommen zur Erkenntnis, dass “wir schon inmitten einer Blase sind”. Gemeinsamer Tenor: Man will schon rechtzeitig warnen, aber es ist eben die Geldpolitik von Herrn Draghi und der Europäischen Zentralbank (EZB), die diese Entwicklung forciert, wenn nicht sogar weiter anfacht – und es gibt so gut wie keine Anlagealternative.Gleichzeitig verläuft das Erscheinen dieser Beiträge und Kommentare zyklisch mit den Monats- beziehungsweise Quartalsberichten der Bundesbank, des IWF oder der OECD. Tenor: Die Kaufpreise haben sich von den sogenannten Fundamentalwerten teilweise abgekoppelt. Hinzu kommt das gefühlte Sentiment bei Wohnungssuchenden, dass zwar viel gebaut wird, aber eben nur im High-End-Bereich. Angefeuert durch Horrorgeschichten bei der Wohnraumsuche in den Innenstädten, die “unverschämten” Kaufpreise bei Neubauten, die “nicht mehr normal sind”, aber auch den gefühlten Vermögenszuwachs und das gute Gefühl, “alles richtig gemacht, die Wohnung oder das Haus 2011 gekauft zu haben”. Optisch manifestiert schließlich noch durch die Entwicklung neuer trendiger Wohnviertel und “neue” Objekttypen wie Hochhauswohnen oder Mikroappartements, die den Preisvergleich und damit die Steigerung nicht wirklich leichter machen.Nehmen wir den Fall an, dass es sich aktuell tatsächlich um eine Blase oder besser um einen aufgepumpten Markt handelt, in welchem Fehlallokationen von Kapital sichtbar sind: Welche Rolle spielen dabei die jeweiligen Regierungen beziehungsweise Finanzaufsichten, die sich geschworen hatten, die Blasenentwicklung, wie zuletzt zwischen 2004 und 2008, nicht mehr zuzulassen? Obergrenze für Hauskredite, Reduzierung der 100 %-Finanzierungen, Absicherung, Risikomanagement und Scoringmodelle zuhauf – jede Menge Papier und Selbstauskünfte. Taktisch irgendwo angesiedelt als antizyklischer Kapitalpuffer, also das Absichern des Hypothekengeschäfts mit mehr Eigenkapital oder der Mindesttilgung in der Kreditlaufzeit. Haben diese ganzen Sicherungsmechanismen bisher versagt?Nähert man sich dem Wohnungssektor jedoch aus rein analytischer Perspektive, wird dieser durch zwei maßgebliche Phänomene geprägt, die die Grundlage für eine Phase bilden, die man eher als Superzyklus denn als Blase bezeichnen kann: eine steigende Liquidität und eine fast schon dramatisch schnell voranschreitende Urbanisierung. Und beides hält sich seit fast zehn Jahren, nicht nur in Deutschland. Diese Entwicklung mündet heute in eine Situation, in der eine hohe reale Nachfrage auf ein vergleichsweise langsam wachsendes Angebot trifft. Ergebnis: Preissteigerungen. Diese Konstellation entfaltet ihre Wirkung nahezu synchron in Berlin, Frankfurt am Main, Düsseldorf oder München. Mehr noch: Wohnimmobilien sind aus Anlagesicht aktuell offensichtlich Outperformer in Zeiten eines Nullzinsumfelds. Der Preis dieser Entwicklung ist nichts anderes als eine Funktion aus den Elementen “Wohnen in der Stadt” und “Einkommenselastizität”. Jetzt noch einsteigen?Nachdem auch nach der Sommerpause 2016 die Frage nach dem “Überbewertungstatbestand” wieder die Runde macht, werden Investoren mit dem Blick auf eine vermietete Eigentumswohnung oder ein sogenanntes Zinshaus, also die sogenannten privaten Investoren, nicht wirklich schlauer. Dies ist umso bedauerlicher, da diese Investorenklientel mit rund 23 Millionen Wohneinheiten in Deutschland die größte Investorengruppe schlechthin bildet und damit marktbestimmend wirkt. Zum Vergleich: Selbst die Branchengröße Vonovia bringt es aktuell gerade einmal auf rund 380 000 Einheiten. Doch die Signale aus Presse, Funk und Fernsehen zeigen zumindest, dass die Mieten seit Jahren im Steigen sind, sich Engpässe im mittleren Wohnungssegment ausmachen lassen, und auch das Thema energetische Sanierung trägt zur Unsicherheit der Investition bei.Die sogenannte Flucht ins Betongold und Antizipation künftiger Inflation scheint über allen Investoren heute zu stehen. Der Blick auf die Preisentwicklung mag deshalb eine erste Einschätzung geben, ob es nicht schon zu spät ist, eine Wohnung zu kaufen. Festzuhalten ist, dass nicht jede Preiserhöhung auf die Bildung einer Spekulationsblase hinweist. Starke preisliche Anstiege können auch auf reale Knappheiten hinweisen, etwa weil das Angebot der Nachfrage nicht folgen kann. Genau dies ist aktuell der Fall – immer vorausgesetzt, dass es sich nicht um Stadtrandlagen oder gar Liebhaberobjekte aus den Tiefen der deutschen Provinz handelt.Daten von verschiedenen Internetportalen für private Immobilientransaktionen signalisieren bei den abgebildeten Angebotspreisen zum Beispiel im Falle Münchens, dass der Preisanstieg tatsächlich auf einen Angebotsmangel zurückzuführen ist. In München ist die Zahl der Inserate deutlich zurückgegangen, gleichzeitig haben sich die Suchanfragen jedoch spürbar erhöht. In Berlin dagegen wächst das Angebot an Neubauwohnungen zur Miete aktuell stark und befindet sich im Gleichlauf mit den Nachfragen.Steigende Preise sind trotz zunehmender Leerstandsquoten immer ein deutliches Indiz für eine Immobilienblase. Offensichtlich steht dann nicht mehr der aktuelle Ertrag in Form der Mieten im Mittelpunkt, sondern lediglich die Erwartung, dass das der künftige Verkaufspreis den gegenwärtigen Preis deutlich überragt und sich hohe Gewinne realisieren lassen. Findet das aktuell statt? Nein.Aber: Die typischen spekulativen traditionellen Verhaltensmuster für eine Blase auf dem Markt für Wohnimmobilieninvestments sind aktuell in den Metropolregionen zu erkennen. Bei Betrachtung der fundamentalen makroökonomischen Preisdeterminanten lassen sich die Preisanstiege aber durchaus rechtfertigen. Zur Analyse gehört aber auch, dass aktuell Sachwertinvestments als sehr interessant gelten, da es an renditeträchtigen Alternativinvestments mangelt. Der Blick auf die sinnstiftende Rendite gerät bei alledem oftmals leicht aus dem Fokus – in München, aber auch in Berlin. Premium Living, Luxuary Living oder Urban Design Living sind denn eher Attribute, um eine Zielkundschaft zu erreichen, und weniger um die langfristige Wirtschaftlichkeit von 140-qm-Wohnungen in den Vordergrund zu stellen. Politik und RenditeDie politischen Reaktionen sind mit den Stichworten Mietpreisbremse 2015, Mietreform 2016, Vorgaben zur energetischen Sanierung ENEV 2016 und anhaltende Reform im Baugesetzbuch, um Genehmigungsverfahren zu beschleunigen, zu umschreiben. Gleichzeitig erfordert diese Diagnose eine Lösung in der immer drängender werdenden Diskussion nach dem sogenannten Stadtumbau. Mit dem Konzept der Nachverdichtung wird nur ein Teil der Forderung nach bezahlbarem Wohnraum erfüllt. Weiterhin gibt es keine Anzeichen, dass sich diese Zuzüge in die Innenstädte auf absehbare Zeit strukturell verändern – Stichwort Zuwanderung nach Deutschland. Eine Gemengelage, die vor allem Investoren mit einem “Growth-Ansatz” in die Hände spielt.In einigen deutschen Ballungszentren, allen voran Berlin, ist es durchaus zu Preisen gekommen, die merklich über dem langjährigen Durchschnitt liegen. Hier sollte immer mit temporären Korrekturen gerechnet werden. Gleichwohl sind die Preissteigerungen gemessen an längerfristigen demografischen und ökonomischen Faktoren – trotz gefühltem “teuer” – immer noch sehr moderat. Ferner bilden die hohen Eigenkapitalanteile bei der Finanzierung von Wohnraum keinesfalls die Basis dessen, was eine Kreditblase ausmacht. Auswüchse sind nicht erkennbar. Jedwede öffentliche Verbreitung von Vorhersagen zur Immobilienblase oder auch die Warnhinweise zur selben kann zu erwünschten oder unerwünschten Änderungen in den Verhaltensweisen der Empfänger dieser Informationen führen, die selbst den prognostischen Gehalt dieser Informationen verstärken oder reduzieren. Bisher scheinen sich diese davon aber noch nicht beeindrucken zu lassen. Und das ist gut so.—Thomas Beyerle, Managing Director bei der Catella Property Valuation GmbH