Vor Blockchain-Revolution
Algorithmische Technologien wie Blockchain werden die Finanzbranche in den nächsten Jahren revolutionieren, ist Swift-Chef Gottfried Leibbrandt überzeugt. Als Herausforderung sieht er die Abwehr von Cyber-Angriffen, nachdem Swift-Kundensoftware erst im April Ziel von Hackerangriffen geworden war.- Herr Leibbrandt, der Bankensektor steht heute einer beispiellosen Konkurrenz gegenüber – wie kann er darauf reagieren?Der Bankensektor muss zunehmend mit branchenfremden Mitspielern konkurrieren – von Neulingen im Bereich Fintech bis hin zu etablierten Größen wie Apple und Google. Diese Unternehmen haben die Erwartungen der Kunden bereits auf anderen Gebieten erfolgreich geprägt und nehmen nun weitere Finanzdienstleistungsbereiche ins Visier. Beispielsweise im Massenzahlungsverkehr sind wir mit neuen Wettbewerbern konfrontiert, wie etwa mit Bitcoin beim internationalen Geldtransfer, der traditionell von Western Union dominiert wurde, und Paypal im E-Commerce als Konkurrent von Visa und Mastercard. Diese Entwicklungen bedeuten für die Branche Bedrohung und Chance zugleich. Die disruptiven neuen digitalen Technologien werden nicht ohne Folgen für die Branche bleiben. Banken müssen bereit sein, die besten dieser neuen Technologien für sich zu nutzen und ihre Geschäftsmodelle ebenso wie ihre Geschäftsangebote bei Bedarf anzupassen.- Und wie begegnet Swift diesen neuen Herausforderungen?Ohne Zweifel kommt einer verstärkten Innovation wegen der zunehmenden Digitalisierung eine immer größere Bedeutung zu. In fünf Jahren werden sich die in der Branche vorherrschenden Technologien und Geschäftsmodelle möglicherweise radikal verändert haben. Auch Swift als zentraler Anbieter von Finanzinfrastrukturen wird sich verändern, ohne dabei seine Kernaufgaben aus dem Blick zu verlieren. Standardisierung, Sicherheit, Glaubwürdigkeit, Zuverlässigkeit und Reichweite – all diese Faktoren werden in der digitalen Zukunft eine immer größere Rolle spielen. Wir glauben nicht an Innovation als Selbstzweck – wir können am meisten bewegen, wenn wir flexible branchenübergreifende Lösungen anbieten.- Fintechs machen immer mehr von sich reden. Findet Swift als wichtiger Dienstleister die sogenannte Fintech-Revolution besorgniserregend?Keinesfalls. Das Aufkommen neuer Technologien stellt alle Branchen vor Herausforderungen, und auch an der Finanzbranche geht das nicht spurlos vorüber. Neue Technologien ziehen neue, komplexe Fragestellungen nach sich und verändern die Kundenerwartungen, was sich wiederum auf bestehende Geschäftsmodelle auswirkt. Unternehmen, die Innovationen scheuen, laufen Gefahr, den Anschluss zu verlieren. Von Anfang an war Swift offen für disruptive Technologien und hat Innovationen im Finanzsektor vorangetrieben. Swift war schon im Fintech-Bereich tätig, lange bevor diese Bezeichnung überhaupt aufkam. Wir wissen jedoch, dass Innovationen nur dann erfolgreich sein können, wenn sie der Nachfrage entsprechen; daher arbeiten wir eng mit unseren Nutzern zusammen, um neue Lösungen in Bereichen zu entwickeln, in denen sie am stärksten profitieren können.- Mit besonderer Spannung wird in Fintech-Kreisen heutzutage die Blockchain- und Distributed-Ledger-Technologie (DLT) beobachtet. Wie groß werden Ihrer Meinung nach die Veränderungen sein, die Blockchain/DLT für die Finanzbranche mit sich bringt?Blockchain und DLT halten enorme Möglichkeiten für Finanzdienstleister bereit. Mithilfe dieser algorithmischen Technologien lassen sich Transaktionsregister in Werkzeuge zur Aufzeichnung, Abwicklung und Sicherung einer großen Bandbreite von Transaktionen verwandeln. Möglicherweise verleihen sie einer Fülle von Dienstleistungen eine ganz neue Glaubwürdigkeit. Ihre Anwendung ist bereits ein Schwerpunktthema in den Forschungs- und Entwicklungsteams vieler Finanzinstitute. Vielleicht werden wir Zeuge einer explosionsartigen Entfaltung von kreativem Potenzial, das erfahrungsgemäß den Nährboden für außergewöhnliche Innovationen bildet.- Wann wird DLT zum Einsatz kommen?DLT hat im Moment noch nicht den notwendigen Reifegrad erlangt, um den Anforderungen der Finanzwelt gerecht zu werden. Governance, Datenkontrolle, Standardisierung, Identitätssicherung und Compliance bei regulatorischen Auflagen sind nur einige wenige Beispiele für die Bereiche, an denen noch weiter gearbeitet werden muss, bevor DLT in der für die Finanzbranche erforderlichen Größenordnung angewendet werden könnte.- Cyber-Kriminalität ist eine sehr reale und stetig wachsende Bedrohung für die Finanzbranche. Über welche Schutzmaßnahmen müsste eine DLT-Lösung verfügen?Die Anzahl und Raffinesse der Cyber-Angriffe auf die Finanzbranche nehmen zweifellos immer mehr zu, und die Maßnahmen zur Cyber-Abwehr müssen unbedingt fortlaufend neu beurteilt, geprüft und verbessert werden. Sicherheit ist ebenso wichtig für neue, aufstrebende Technologien wie DLT. Dazu müssen noch die geeigneten Schutzmaßnahmen ermittelt werden. Doch zuvor muss die gesamte Branche ein umfassenderes Verständnis für das Erkennen und Verhindern von Cyber-Angriffen in einer DLT-Umgebung entwickeln. Bei Swift stand und steht die Sicherheit immer im Mittelpunkt unserer Tätigkeit. Die Maßnahmen zur Cyber-Abwehr, die wir für unser Netzwerk eingerichtet haben, sind in einem DLT-Kontext ebenso gültig, und wir arbeiten weiterhin an Ausbau und Stärkung unserer Sicherheitsfunktionen, um mit den neuen Technologien Schritt zu halten.- Ist Blockchain/DLT ein Thema für Swift?Ja, Blockchain/DLT ist unserer Meinung nach ein spannendes Feld, das wir ganz genau prüfen. Wir erforschen Anwendungsfälle in den Bereichen Wertpapiergeschäft, Zahlungsverkehr und dokumentäres Geschäft und entwickeln Machbarkeitsnachweise im “Innovation Lab” von Swift. Als Vorstandsmitglied des Hyperledger-Projekts der Linux Foundation arbeiten wir gemeinsam an einer branchenübergreifenden Initiative zur Entwicklung einer Open-Source-Blockchain-Technologie, um die Grundlage zur Implementierung einer einsatzfähigen DLT zu schaffen. Im Rahmen von Innotribe, der Innovationsplattform von Swift, stellen wir außerdem Verbindungen zwischen etablierten und alteingesessenen Fintech-Unternehmen, Wissenschaftlern und Branchenexperten her. Die DLT ist sicherlich vielversprechend; und selbst wenn sich die ganze Aufregung um diese Technologie noch als stark übertrieben erweist, dürfen wir die Hände nicht in den Schoß legen. Deshalb untersuchen wir Innovationen aller Art und ihre Anwendungsmöglichkeiten.—-Das Interview führte Sebastian Frick von Frankfurt Main Finance.