Vorstände und Aufsichtsräte im Dschungel zunehmender Regulierung

Instrumente für die Compliance müssen nachgeschärft und weiterentwickelt werden

Vorstände und Aufsichtsräte im Dschungel zunehmender Regulierung

Die Organe von Aktiengesellschaften sehen sich bei der Unternehmensführung mit einem Regelungsdickicht konfrontiert, das ohne juristischen Beistand kaum mehr zu verstehen, geschweige denn vollständig zu beherrschen ist. Die rechtlichen Anforderungen an die ordnungsgemäße Unternehmensleitung werden immer höher. Dies führt unweigerlich dazu, dass Organe von Aktiengesellschaften manche unternehmerische Entscheidung nicht mehr ohne vorherige Rechtsberatung durchführen.Da ist zunächst das Thema Compliance. Compliance, also die Einhaltung von rechtlichen und ethischen Standards, ist nicht durch Rechtsprechung oder Gesetzgebung entstanden, sondern durch ein verändertes Bewusstsein, was allgemein unter einer guten Unternehmensführung zu verstehen ist. Die Unternehmen selbst entwickeln Systeme und stellen Regeln auf, die einem Gesetzesverstoß vorbeugen und Orientierung bieten sollen. Compliance ist zunächst also Selbstregulierung der Unternehmen, und jedes Unternehmen ist aufgerufen, sich eine individuell passende Compliance-Organisation zu geben.Aber auch die Rechtsprechung fordert von Geschäftsleitern die Errichtung eines ordnungsgemäßen Compliance-Systems. Für Aufsehen sorgte in diesem Zusammenhang eine noch nicht rechtskräftige Entscheidung des LG München I, wonach ein Vorstand seiner Organisationspflicht im Unternehmen nur dann genügt, wenn er dafür Sorge trägt, dass im Unternehmen ein wirksames Compliance-System zur Erkennung und Vermeidung von Gesetzesverstößen eingerichtet und überwacht wird. Compliance ist also originäre Vorstandspflicht.Das LG München hat in der genannten Entscheidung festgelegt, dass ein Vorstand die zentrale Aufgabe der Compliance-Organisation nicht auf unterhalb des Vorstands angesiedelte Mitarbeiter (Bereichsvorstände) delegieren kann. Unterlässt ein Vorstand die Einrichtung oder Überwachung von Organisationsstrukturen für ein ordnungsgemäßes Compliance-System oder ist diese Überwachung unzureichend, kann er persönlich schadenersatzpflichtig sein. Dabei muss jedes einzelne Vorstandsmitglied darauf hinwirken, dass ein funktionierendes Compliance-System vom Gesamtvorstand beschlossen wird. Geschieht dies nicht, begeht das Vorstandsmitglied eine Pflichtverletzung mit der Folge des Risikos, Schadenersatz leisten zu müssen.Entlastend wirkt dabei für das Vorstandsmitglied nach Auffassung des LG München nicht, dass das betreffende Vorstandsmitglied nicht für das Ressort “Compliance” innerhalb des Gesamtvorstandes zuständig ist. Erschwerend kommt hinzu, dass das Vorstandsmitglied darzulegen und zu beweisen hat, dass es seine Pflichten nicht verletzt oder jedenfalls nicht schuldlos gehandelt hat oder dass der Schaden auch bei einer ordnungsgemäßen Compliance-Organisation eingetreten wäre.Eine weitere Gerichtsentscheidung hat kürzlich für Aufmerksamkeit gesorgt: Der BGH hatte über die Frage zu urteilen, ob der Aufsichtsrat einer Aktiengesellschaft beschließen kann, eine etwaige Geldstrafe gegen ein Vorstandsmitglied des Unternehmens durch die Gesellschaft übernehmen zu lassen. Der BGH hat entschieden, dass die Hauptversammlung und nicht der Aufsichtsrat das zuständige Organ für eine solche Zahlungsübernahme ist, wenn das betreffende Vorstandsmitglied durch eine Handlung, die Gegenstand eines Ermittlungs oder Strafverfahrens ist, gleichzeitig seine Pflichten als Vorstand verletzt hat.Problematisch für den Aufsichtsrat sind somit in Zukunft insbesondere Fälle, bei denen das Ermittlungsverfahren noch läuft, also noch nicht klar ist, ob der Vorstand Pflichten verletzt oder Gesetzesverstöße begangen hat. Hierbei fällt dem Aufsichtsrat in Zukunft die schwierige Beurteilung zu, ob das betroffene Vorstandsmitglied die ihm zur Last gelegte Tat tatsächlich begangen hat und ob hierin ein Pflichtverstoß gegenüber der Aktiengesellschaft zu sehen ist. Nur wenn das zu verneinen ist, kann der Aufsichtsrat entscheiden, dass die Gesellschaft die beispielsweise im Rahmen einer Einstellung nach § 153a StPO zu zahlende Geldauflage übernimmt.Bei dieser Entscheidung wird sich der Aufsichtsrat in der Praxis regelmäßig anwaltlich beraten lassen müssen, um seinerseits nicht durch eine voreilige Zusage der Zahlungsübernahme seine Pflichten zu verletzen. Auch mit einem externen Rechtsrat dürfte die Beurteilung in laufenden Verfahren alles andere als einfach sein. Es ist allerdings rechtlich zulässig, dass dem Vorstand zunächst ein Vorschuss oder ein Darlehen unter dem Vorbehalt der Rückforderung nach erfolgter abschließender Prüfung gewährt wird. Soll die Zahlung vorbehaltlos übernommen werden, ist dafür die Hauptversammlung zuständig, und die Sache gerät zwangsläufig in die Öffentlichkeit, selbst wenn das Ermittlungs- oder Strafverfahren noch läuft.Auch vom Gesetzgeber droht weiteres Ungemach für die Führung eines Unternehmens. Das Justizministerium Nordrhein-Westfalen hat einen Gesetzesentwurf vorgelegt, wonach auch das Unternehmen strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden kann, wenn seine Mitarbeiter oder Organmitglieder Gesetze verletzen. Ob die Einführung eines Unternehmensstrafrechts für alle Unternehmen und Verbände in Deutschland – wie in dem Entwurf des Landesjustizministers Kutschaty vorgesehen – erforderlich ist, ist mehr als zweifelhaft. Die in den letzten Jahren geschaffene regulatorische Dichte, beispielsweise im Gesellschaftsrecht, im Kapitalmarktrecht, im Wettbewerbsrecht, im Umweltrecht sowie im Arbeits- und im Datenschutzrecht, ist enorm und bietet präventiv hinreichenden Schutz vor Straftaten.Gleichwohl ist zu befürchten, dass zumindest für große Konzerne ein Unternehmensstrafrecht eingeführt wird, denn dieses Ziel war schon im Koalitionsvertrag der regierenden Parteien CDU, CSU und SPD vom Dezember 2013 niedergelegt. Die in dem Gesetzesentwurf von Herrn Kutschaty vorgeschlagenen Sanktionen sind drastisch und reichen von saftigen Geldstrafen für das Unternehmen über die Möglichkeit der öffentlichen Bekanntmachung der Verurteilung und den Ausschluss von Subventionen im Worst Case bis hin zur Auflösung des Unternehmens bei besonders gravierenden Straftaten.Auch Europa bringt kapitalmarktorientierten Unternehmen härtere Regelungen. Ab Mitte 2016 gilt eine neue EU-Verordnung (Marktmissbrauchsverordnung) über Insider-Geschäfte und Marktmanipulationen. Die neue Marktmissbrauchsverordnung wird in weiten Teilen das Wertpapierhandelsgesetz ersetzen. Neu ist zum Beispiel, dass die Ad-hoc-Pflicht in Zukunft auch außerhalb des regulierten Kapitalmarkts (zum Beispiel im Freiverkehr) gilt. Wie bisher müssen Führungskräfte und ihnen nahestehende Personen Eigengeschäfte in Aktien des eigenen Unternehmens mitteilen.Die Mitteilungspflicht erstreckt sich in Zukunft allerdings auch auf Geschäfte in Schuldtiteln wie etwa Anleihen. Meldefristen werden verkürzt. Darüber hinaus haben Führungskräfte und ihnen nahestehende Personen in Zukunft auch ein generelles Handelsverbot zu beachten, das für einen Zeitraum von 30 Tagen vor Ankündigung eines Zwischen-/Jahresabschlusses gilt.Die Marktmissbrauchsverordnung erweitert auch die Ermittlungs- und Sanktionsrechte der Aufsichtsbehörden. Der Bußgeldrahmen wird erheblich verschärft. Bei schweren Verstößen kann die Geldbuße für Unternehmen bis zu 15 Mill. Euro oder 15% des Konzernjahresumsatzes und für Führungskräfte sogar bis zu 5 Mill. Euro betragen. Ergangene Bußgeldentscheidungen unter Benennung der betroffenen Person muss das Unternehmen auf seiner Internetseite veröffentlichen, auch das ist neu.Alles in allem wird der Wind für die Leitungsorgane der Unternehmen rauer. Insbesondere kapitalmarktorientierte Unternehmen müssen die Instrumente für ihre Compliance nachschärfen und weiterentwickeln. Der Rechtsberatungsbedarf wird jedenfalls erheblich zunehmen, wenn Vorstände und Aufsichtsräte nicht Gefahr laufen wollen, ihre Pflichten zu verletzen und persönlich in die Haftung zu geraten.——Dr. Andreas Zanner, Partner, CMS Hasche Sigle