Wachstum in herausfordernden Zeiten
Fragt man nach den weltweit wichtigsten Wirtschaftszweigen, so denken die wenigsten Menschen an den Tourismus. Dabei schafft unsere Industrie weltweit siebenmal mehr Arbeitsplätze als beispielsweise die Automobilbranche – einer von elf Arbeitsplätzen auf der Welt hängt direkt vom Tourismus ab, und 10 % der weltweiten Wirtschaftsleistung gehen auf den Tourismus zurück. Unsere Industrie ist für mich der am stärksten unterschätzte Wirtschaftszweig.Insbesondere für Menschen in Regionen der Erde, die nicht industriell geprägt sind, bietet der Tourismus wertvolle Beschäftigungsperspektiven und spielt damit eine zentrale Rolle beim Transfer von Wohlstand. Auch gesellschaftlich ist er von zentraler Bedeutung: Er trägt in wenig entwickelten Ländern der Erde zu einem höheren Bildungsniveau und zur Schaffung von Mittelschichten bei. Beides ist für die Stabilisierung von jungen Gesellschaften von hoher Bedeutung. Und der Tourismus bringt Menschen zueinander, er schafft persönlichen Austausch, fördert die interkulturelle Verständigung und hilft dabei Barrieren abzubauen – auch in den Köpfen der Menschen.Es ist gut, sich dessen bewusst zu sein, wenn man über die Entwicklungen der letzten Zeit nachdenkt. Natürlich kann man nicht ausblenden, wie sich Europa und auch die Welt in letzter Zeit verändert haben. Es ist unruhiger geworden. Von Tunesien und Ägypten bis nach Paris, Ankara und Brüssel haben schreckliche Anschläge Opfer gefordert und ein latentes Unsicherheitsgefühl befördert. Dieses latente Gefühl der Unsicherheit ist in unseren Alltag gekrochen, es macht sich beim Einsteigen in die U-Bahn in Berlin ebenso bemerkbar wie beim Besuch des Fußballspiels in Paris. Und es bleibt natürlich auch bei der Urlaubsreise nicht ohne Wirkung, auch nicht bei mir.Doch eines ist ebenso festzustellen: die Menschen wollen sich ihre Freiheit nicht nehmen lassen, sie verzichten insbesondere nicht auf ihren Urlaub. Die Menschen wollen reisen. Daran besteht kein Zweifel, und es ist eine gute Nachricht.Jedoch verändern sich die präferierten Reiseziele. Einige Destinationen auf der touristischen Landkarte sind im Lichte der Ereignisse der letzten Zeit für Urlauber weniger attraktiv geworden, andere werden hingegen deutlich stärker nachgefragt als in den Vorjahren. Momentan sehen wir, wie die Nachfrage vom östlichen Mittelmeer in das westliche Mittelmeer wandert. Die Balearen und Kanaren sind für die Sommerzeit in diesem Jahr quasi ausgebucht. Deutliche Buchungszuwächse sehen wir auch auf der Fernstrecke. Die USA, die Karibik oder Mexiko stehen bei unseren Gästen dabei besonders hoch im Kurs.Die TUI operiert in 180 Destinationen, davon in über 100 Ländern mit insgesamt 76 000 eigenen Mitarbeitern. Wir sind also in allen wichtigen Zielgebieten der Erde vertreten. Herausforderungen im östlichen Mittelmeerraum werden so zu Chancen in unseren wichtigen Destinationen Spanien und Griechenland. Dies unterstreicht, dass sich nicht der Tourismussektor in einer herausfordernden Lage befindet – vielmehr sind es einzelne Destinationen, die Schwierigkeiten haben, an die Besucherzahlen der Vergangenheit anzuschließen. 2015 bisher bestes JahrFür die TUI Group war 2015 trotz aller geopolitischen Entwicklungen das beste Jahr der Unternehmensgeschichte. Und auch für das aktuelle Geschäftsjahr verzeichnen wir für die Sommersaison einen Buchungszuwachs von 2 %. Wir sind daher zuversichtlich, über die nächsten drei Jahre ein durchschnittliches Ergebniswachstum von 10 % zu erzielen. Dies schaffen wir, da wir uns kurzfristig an das veränderte Reiseverhalten der Urlauber anpassen.Diese Anpassung lässt sich nicht ohne Weiteres bewerkstelligen. Schon gar nicht in der Dimension, in der wir dieses Geschäft betreiben. Um zu verstehen, warum die TUI so gut mit solchen Verschiebungen der Nachfrage umgehen kann, lohnt ein Blick auf unser Unternehmen und unsere strategische Aufstellung. Die TUI Group ist der führende integrierte Touristikkonzern der Welt. Integriert bedeutet dabei, dass wir auf allen Wertschöpfungsstufen des Tourismus aktiv sind, vom Vertrieb über den Flug bis hin zur Unterkunft. Zu uns gehören international führende Veranstaltermarken, 1 800 Reisebüros in Europa, sechs europäische Fluggesellschaften mit mehr als 130 modernen Mittel- und Langstrecken-Flugzeugen und über 300 eigene Hotels und Resorts mit Premium-Marken wie RIU und Robinson. Darüber hinaus besitzen wir 13 Kreuzfahrtschiffe von der MS Europa und der MS Europa 2 in der Luxusklasse bis zu der “Mein Schiff”-Flotte von TUI Cruises und Kreuzfahrtschiffen bei Thomson Cruises in England.Unser integrierter Managementansatz der gesamten touristischen Wertschöpfungskette hilft uns enorm, wenn sich Dinge um uns herum verändern. Als zum Beispiel nach dem Flugzeugabsturz in Ägypten im vergangenen Jahr ein deutlicher Urlaubsrückgang auf der Sinai-Halbinsel zu erwarten war, haben wir umgehend reagiert. Innerhalb von nur 24 Stunden haben wir für 26 Mill. Euro zusätzliche Bettenkapazität in Spanien gekauft. Anschließend haben wir neue Flugpläne erstellt und unsere Vertriebe auf diese Ziele hin neu ausgerichtet. Dies geht natürlich nur, wenn sie auf alle Bausteine direkten Zugriff haben. Robustes GeschäftsmodellWie unsere positive wirtschaftliche Entwicklung in den letzten 18 Monaten gezeigt hat, ist unser Geschäftsmodell trotz der geopolitischen Herausforderungen robust. Doch unser Ziel ist es natürlich nicht, Krisen bestmöglich abzufedern, sondern unser Geschäft weiter auszubauen und zu wachsen. Dafür investieren wir allein in diesem Jahr 750 Mill. Euro.Eine der interessantesten Wachstumssparten ist die der Kreuzfahrten. Die entscheidende Frage ist hier, wie lange das Wachstum der letzten Jahre anhalten wird, zumal sich der Markt historisch recht zyklisch entwickelt hat. Nach unserer Bewertung haben wir im Kreuzfahrt-Geschäft noch viele gute Jahre vor uns. Dafür gibt es mehrere Gründe.1. In Deutschland reisen im Verhältnis zu anderen Märkten immer noch wenige Menschen mit einem Kreuzfahrtschiff. Die Deutschen haben die Kreuzfahrt erst spät für sich entdeckt. Haupttreiber sind Wohlstand sowie die verfügbare Zeit.Diese Treiber sprechen für die positive Entwicklung des Kreuzfahrtgeschäfts in Deutschland. Und auch die Altersstruktur der deutschen Bevölkerung stützt die positive Entwicklung im Kreuzfahrtgeschäft. Jedoch erkennen auch immer mehr Familien und junge Menschen die Vorteile der Kreuzfahrt: Der Komfort eines Hotels auf See, umfassende Sport-, Wellness- und Freizeitangebote sowie die Vielzahl verschiedener Städte, die in einem Urlaub erkundet werden können. Die Kreuzfahrt spricht also inzwischen eine breite Zielgruppe an und ist in der Mitte unserer Gesellschaft angekommen.2. Wir besitzen eine enorme Vertriebsstärke – auch im Kreuzfahrtmarkt Großbritannien. Im britischen Markt ersetzen wir unsere bisherige Flotte sukzessive durch attraktive neue Schiffe. Die Buchungen für die in diesem Monat auslaufende TUI Discovery sind ausgesprochen positiv und versprechen mit unseren britischen Gästen einen ähnlichen kommerziellen Erfolg, wie wir ihn mit der TUI-Cruises-Flotte in Deutschland in den letzten Jahren erlebt haben. Derzeit erzielen wir bei TUI Cruises bei insgesamt vier Schiffen eine Auslastung von 101 %. Im Juli kommt die Mein Schiff 5 zur Flotte hinzu und ist bereits jetzt nahezu ausgebucht.3. Es gibt bei den weltweit noch vier geeigneten Werften nur eine begrenzte Kapazität für den Bau neuer großer Kreuzfahrtschiffe. Dies macht es wahrscheinlich, dass wir auch in den nächsten Jahren weiter einen anbietergetriebenen Markt sehen werden. Durch unsere vorausschauende Flottenplanung, die in den kommenden drei Jahren eine Erweiterung und Erneuerung unserer Flotte um drei Schiffe vorsieht, sind wir bestens aufgestellt. Karibik im FokusEin zweiter Schwerpunkt unserer Wachstumsstrategie sind unsere Hotels und Resorts. Die Kapitalrendite in diesem Sektor ist besonders gut in Ländern mit 365 Tagen Sonne. Deshalb errichten wir unsere eigenen Hotels vermehrt in Regionen, die das ganze Jahr über attraktiv für unsere Gäste sind. Ein Fokus unserer Investitionen liegt dabei in der Karibik – ein Ganzjahresziel, das sowohl von Gästen aus Europa als auch den USA frequentiert wird. Zum einen können unsere Boeing Dreamliner die Karibik ohne Zwischenstopp anfliegen und bieten unseren Gästen hohen Komfort. Und das zu relativ günstigen Kosten, die uns erlauben, einen Urlaub in der Karibik nahezu zu jenen Aufwendungen zu produzieren wie auf den Kanaren. Zum anderen wächst der Bedarf in der Karibik jedes Jahr zweistellig, ohne dass es die entsprechenden Hotelkapazitäten geben würde. Also investieren wir dort selbst in neue Hotels und können davon ausgehen, dass jedes Haus eine Kapitalrendite von bis zu 20 % erzielt.Der globale Tourismussektor ist ein von hoher Dynamik und robustem Wachstum gekennzeichneter Wirtschaftszweig. Er wird meiner festen Überzeugung nach in seiner wirtschaftlichen sowie gesellschaftlichen Bedeutung weiter zunehmen. Als weltweit führender Touristikkonzern wird die TUI Group von dieser Entwicklung profitieren. Mit unseren attraktiven Kreuzfahrtschiffen und populären Hotelmarken auf der einen und der hohen Vertriebsstärke unserer Reiseveranstalter auf der anderen Seite sind wir strategisch bestens aufgestellt, um unsere Wachstumsziele in den nächsten Jahren zu erreichen – auch in herausfordernden Zeiten.—Horst Baier, Finanzvorstand der TUI Group