"Wahnsinn, einen Brexit zu riskieren"

Londons Finanzbranche diskutiert auf der Cityweek über das EU-Referendum

"Wahnsinn, einen Brexit zu riskieren"

Von Andreas Hippin, LondonBefürworter und Gegner einer weiteren EU-Mitgliedschaft Großbritanniens haben sich auf der Londoner Cityweek unversöhnlich gegenübergestanden. “Wer für eine der großen Investmentbanken arbeitet, ist verständlicherweise für den Verbleib”, sagte der konservative Oberhausabgeordnete Howard Flight, der unter anderem als Director von Investec Asset Management und Metro Bank tätig ist. Kleinere Firmen und Unternehmensgründer seien dagegen eher für den Austritt.Ins alternde Cricket-Stadion The Oval im Stadtteil Kennigton, wo die Konferenz stattfand, waren dieser Logik folgend wenige davon gekommen, denn eine übergroße Mehrheit beantwortete die Frage, ob Londons Stellung als internationales Finanzzentrum durch einen Brexit beeinträchtigt würde, mit Ja. EZB-Vizepräsident Vítor Constâncio sagte, den Prognosen der Zentralbank liege die Annahme zugrunde, dass es nicht zum Brexit kommen wird. “Die Konsequenzen für Europa wären negativ”, sagte er nach seinem Redebeitrag auf der Konferenz. “Das könnte zu einer Anpassung unserer Annahmen nach unten führen.”Philipp Hildebrand, Vice Chairman des Vermögensverwalters BlackRock, warnte, ein Austritt aus der EU würde die Zukunftsaussichten der britischen Finanzbranche stark beeinträchtigen. Der ehemalige Präsident der Schweizerischen Nationalbank verwies auf die Erfahrungen der Eidgenossen, die zehn Jahre mit Brüssel verhandelt und dabei keine Übereinkunft zu Finanzdienstleistungen erzielt hätten. “Für die City wäre es verheerend, keine Übereinkunft zu Finanzdienstleistungen zu haben”, sagte das Mitglied der Group of 30. Die Schweiz habe es geschafft, damit klarzukommen. Es habe sich gezeigt, dass die EU auf Gleichwertigkeit von Regulierung und Aufsicht Wert lege sowie auf eine angemessene Zusammenarbeit der Aufsichtsbehörden. Es sei unwahrscheinlich, dass dies von Großbritannien nicht gefordert würde, sollte es zum Brexit kommen. Es sei also “einfach eine Illusion”, zu glauben, man könne die Brüsseler Vorgaben durch einen EU-Austritt umschiffen. Wer die Schweiz als Modell betrachte, lebe in einer Traumwelt. “Wir sind nicht in der Lage gewesen, den Zustrom von Arbeitskräften aus der EU zu begrenzen”, sagte Hildebrand mit Blick auf eine der Hauptforderungen der Brexit-Befürworter: die Rückgewinnung der Kontrolle über die eigenen Grenzen.”Wir wollen gar keinen Deal, wie ihn die Schweiz oder Norwegen haben”, sagte dagegen Roger Bootle, Executive Chairman von Capital Economics. Er wolle ja gar nicht bestreiten, dass das sogenannte Passporting ein wesentliches Problem darstelle. Es ermöglicht Finanzdienstleistern, ihre Dienste in anderen EU-Mitgliedstaaten ohne aufwendige Genehmigungsverfahren anbieten zu können. Es werde also Geschäft nach Frankfurt oder an andere Orte abwandern. Die Frage sei nur, wie viel. Es gehe bei dem Referendum am 23. Juni aber nicht um Passporting. “Die Frage ist: Was wird die EU noch alles mit uns machen?” Bootle verwies auf den Bonideckel und die geplante gemeinsame europäische Finanztransaktionssteuer. Man solle doch nicht denken, dass Brüssel nett zu einem sein werde, wenn man sich für den Verbleib ausspreche.”Viele Politiker und Beamte in der EU hassen, fürchten und verachten die Finanzdienstleistungsbranche”, sagte Bootle. Zudem nehme die Bedeutung Europas in der Welt ab. “Die EU ist eine Idee, deren Zeit abgelaufen ist”, sagte Flight. Der ehemalige HSBC-Banker wurde von einem ungnädigen Publikum stellenweise ausgelacht.Der Autor Sebastian Mallaby, der gerade an einer Biografie von Alan Greenspan arbeitet, wies darauf hin, dass die Krise in Europa zwar für große Empörung über die Finanzbranche gesorgt habe, aber bis auf den Bonideckel wenige praktische Konsequenzen gezeitigt habe. Hildebrand betonte, Regulierung sei ein dynamischer Prozess, wie sich an Mifid II und Solvency II zeige.”Es ist nicht unmöglich, dass London einen Brexit überleben wird”, räumte Mallaby ein. Angesichts der Risiken sei es aber “Wahnsinn, einen Brexit zu riskieren”. Es sei “wenig plausibel” anzunehmen, dass die City nur ein paar Messing-Firmenschilder in Luxemburg aufhängen müsse, um einfach so weitermachen zu können wie zuvor. “Wir werden den Zugang zum wichtigsten Exportmarkt der City verlieren”, sagte Mallaby. Wolle man die regulatorischen Lasten mindern, sei es besser, in der EU zu bleiben und dagegen anzugehen. Er erinnerte daran, dass die Forderung der EZB, das Clearing von Euro-Transaktionen müsse in der Eurozone stattfinden, ausgerechnet vom Europäischen Gerichtshof niedergeschlagen wurde, den die Brexit-Befürworter so vehement kritisieren. Auch die Hedgefonds-Regulierung sehe mittlerweile ganz anders aus als ursprünglich angedacht.Knapp sechs Wochen vor der Wahl liegen Freunde und Feinde Brüssels in den Meinungsumfragen in etwa gleichauf. Die nach wie vor hohe Zahl der Unentschlossenen dürfte für eine heiße Schlussphase der Kampagnen sorgen.