Wann erreichen ETFs ihre Grenzen?

Vor 25 Jahren startete die Erfolgsgeschichte börsengehandelter Investmentfonds - Blick auf US-Markt lässt Sättigungsgrad für passive Investments vermuten

Wann erreichen ETFs ihre Grenzen?

Im Jahr 2018 ist es 25 Jahre her, seit die offizielle Zeitrechnung für börsengehandelte Investmentfonds, kurz ETFs, mit einem Anlageprodukt auf den S & P 500 in den Vereinigten Staaten am 22. Januar 1993 begann. Auch wenn die Finanzindustrie den ersten ETF vier Jahre zuvor, nämlich 1989 in Kanada, erblickte. ETFs sind die logische Fortsetzung der 1971 mit einem Mandat der Firma Samsonite beginnenden Geschichte passiven Investierens. Seitdem hat sich viel getan. Nicht nur haben die verfügbaren Anlagethemen zugenommen – heute werden nahezu alle Anlageklassen von ETFs abgebildet -, sondern die in diesen Anlageinstrumenten verwalteten Gelder haben weltweit ein Volumen von nahezu 4 000 Mrd. Euro erreicht. In Europa liegt dieses Volumen bei circa 650 Mrd. Euro und ist in rund 1 600 ETFs angelegt. Die bereits von uns vor mehr als fünf Jahren getroffene Prognose, dass Ende dieses Jahrzehnts etwa 1 000 Mrd. Euro ETF-Volumen für Europa in den Büchern stehen, dürfte sich erfüllen. Institutionelle Investoren haben an dieser Entwicklung einen wesentlichen Anteil. Privatanleger steigern AnteilWaren in den Anfangsjahren des europäischen ETF-Marktes institutionelle Investoren fast ausschließlich unter sich, so hat sich dies in den letzten fünf Jahren deutlich verändert. Auch wenn es zur Größe des deutschen Markts nur Schätzungen gibt, sollte der Anteil der Privatanleger stetig zugenommen haben und heute bei 8 bis 10 % liegen. Besonders deutlich wird diese Entwicklung bei der stetig wachsenden Anzahl von Sparplänen mit ETFs, die insbesondere dem langfristigen Vermögensaufbau durch das nicht erforderliche ständige Abwägen des “richtigen” Einstiegszeitpunkts entgegenkommen. Natürlich fördert eine derart positive Wachstumsgeschichte auch kritische Töne. So liegt es in der Natur der Sache, nach den Grenzen von Exchange Traded Funds zu fragen. Gibt es zu viele ETFs?War es in der Vergangenheit vor allem Kritik an zu vielen ETFs auf einzelne Indizes, so fordert heute eher das Vordingen von ETFs in bisher als aktive Domäne verstandene Bereiche kontroverse Stimmen heraus. Der Ausgangspunkt: Börsengehandelte Investmentfonds sind passive Produkte – und sollten dies auch bleiben! Derlei Aussage beinhaltet jedoch mehrere Missverständnisse. Ein börsengehandelter Investmentfonds ist eine Mischung aus dem klassischen Sondervermögen und der Handelbarkeit an der Börse. Das Wort “Index” hat sich zwar landläufig eingeprägt, ist aber nicht zwingend. Mehr noch: Was heißt eigentlich passiv in diesem Zusammenhang? Ist passiv gleichzusetzen mit regelbasiert? Oder bedeutet passiv, “nur” einen Index nachzubilden? Was wiederum regelbasiert geschieht. Umgekehrt stellt sich die Frage, wo aktiv anfängt und somit passiv aufhört. Diese Diskussion wurde in den letzten Jahren vor allem immer wieder rund um das Thema “Smart Beta” geführt. Und wurde bereichert um die Frage, wie aktiv manche aktiven Anlagen wirklich sind. Ein Blick in die Statistik hilft übrigens, ETFs einzuordnen. Nach den Erhebungen des europäischen Dachverbandes (EFAMA) werden in Europa etwa 15 000 Mrd. Euro in Investmentfonds verwaltet. ETFs machen davon 650 Mrd. Euro aus, also gerade einmal 4,3 %. Und auch in Deutschland sieht es für aktive Manager weiterhin vielversprechend aus. Die im BVI organisierten Fondsgesellschaften betreuen ein Vermögen von etwa 2 500 Mrd. Euro. Werden etwa 150 Mrd. Euro als in Deutschland in ETFs investierte Gelder unterstellt, so liegt deren Anteil mit 6 % nicht wesentlich von den gesamteuropäischen Zahlen entfernt. Raum für ETFs bleibt also. Und selbst das Vordringen in vermeintlich aktive Gefilde wird dieses Potenzial von ETFs auf absehbare Zeit nicht mindern. Zu den bereits gelisteten 1600 ETFs können also durchaus noch einige hinzukommen. Der immer wieder angeführte Vergleich mit Zertifikaten hinkt bei dieser überschaubaren Anzahl an Produkten ohnehin. Einseitige Kurstreiber?Das Argument: Weil die überwiegende Mehrzahl der ETFs Indizes nachbildet, treiben sie besonders die Kurse ohnehin schon hoch kapitalisierter börsennotierter Unternehmen. In der Tat scheint die Kritik berechtigt, denn passive Anleger interessieren sich nur sehr wenig für fundamentale Daten. Entscheidend ist, was der abzubildende Index tut. Was von manchem Marktteilnehmer auch gerne als Trittbrettfahren beklagt wird. Andererseits eröffnen sich dadurch jedoch neue und attraktive Chancen, mit einem aktiven Management Mehrwert zu schaffen. Zudem hat in den letzten Jahren das Anlegen nach Marktkapitalisierungsgewichtung nicht zwangsläufig zugenommen. Aber, zugegeben, die Aussage, dass Indexfonds Markttrends verstärken können, ist nicht gänzlich von der Hand zu weisen. Allerdings gehen die Märkte im neunten Jahr des Aufschwungs durch eine Phase niedriger Volatilität und breiter, durch die Notenbanken zur Verfügung gestellter Liquidität. Was für vergangene Marktzyklen nicht typisch war. Insofern ist es schwer zu belegen, ob eine gewisse Einbahnstraßenrichtung an den Kapitalmärkten nicht eher dem Umfeld und weniger dem Wachstum von Indexfonds und ETFs zuzuschreiben ist. Möglicherweise kommt schon im Jahr 2018 die Nagelprobe, erwartet doch eine Vielzahl von Marktteilnehmern eine deutliche Zunahme der Schwankungen sowohl an den Aktien- als auch an den Rentenmärkten. Auslöser dürfte dafür neben geopolitischen Risiken ein weltweites Zurückgehen von Zentralbankinterventionen sein. Nicht nur traditionelle ETFsFunktionieren ETFs nur, solange Märkte steigen? Dieser Kritikpunkt betrifft die Tatsache, dass ETFs immer voll investiert sind, ja, sein müssen und dass sich im Falle von Marktrücksetzern Investoren in großem Umfang von ETF-Beständen trennen könnten. Dadurch wiederum soll es zu einer Verstärkung des Herdentriebs kommen. In der Tat liegt es im Wesen von ETFs, immer das zu tun, was die Regel sagt. Das Regelwerk wird durch den abzubildenden Index vorgegeben. Fallen nun Märkte kontinuierlich über einen gewissen Zeitraum, so können aktive Verwalter durch den Aufbau von Kasse oder den Einsatz von Absicherungsinstrumenten gegensteuern. Allerdings setzt dieses voraus, dass erstens der Abschwung richtig erkannt wird und dass zweitens der Kursrückgang sich auch fortsetzt, wenn dieser als solcher erkannt ist. Typischerweise fallen aber Märkte nicht wie Steine, sondern erholen sich zwischenzeitlich immer wieder. Ein solches Sägezahnmuster ist dann für die aktive Wertentwicklung durchaus hinderlich, denn oft hinken die Anlageentscheidungen den Bewegungen an den Märkten hinterher. Aber in der Tat können traditionelle ETFs eine scharfe Marktkorrektur nicht abfedern. Anders bei inversen oder Short-ETFs, die Chancen bei Abwärtsbewegungen eröffnen können oder kurzfristig als Absicherungsinstrument dienen können. Außerdem gibt es mittlerweile ETFs, die neben einem regelbasierten, passiven Kern eine aktive, marktabhängige Absicherungskomponente anbieten. Debatte über LiquiditätEin stark diskutiertes Thema ist immer wieder die Liquidität von ETFs. Gerade in Europa ist es oft schwierig, die tatsächliche Liquidität von ETFs von außen zu beurteilen, da außerbörsliche, sogenannte OTC-Geschäfte eine große Rolle spielen. Drei Argumente lassen sich hier jedoch zugunsten von ETFs anführen, die oft übersehen werden: Wie bereits dargestellt, ist der Anteil von ETFs am Marktvolumen mit etwa 4 bis 6 % je nach betrachteter Anlageregion noch vergleichsweise überschaubar. Zweitestens sind Anlegerpräferenzen und Markteinschätzungen selten homogen. Was der eine Anleger als Verkaufssignale für sich sieht, sind für einen anderen Investor eine Einstiegsgelegenheit. Und drittens kann der besondere Handelsmechanismus bei ETFs von Vorteil sein sind. Dieser Punkt unterscheidet ETFs ganz wesentlich von traditionellen Investmentfonds und wird in Diskussionen immer wieder übersehen. Zwischen dem ETF-Anbieter und dem Investor steht der Marketmaker, der für Liquidität sorgt und autonom entscheidet, ob und wann er ETFs, die er auf dem Buch hält, an die Fondsgesellschaft zurückgibt. Anders als bei klassischen Investmentfonds gibt es keinen unmittelbaren Handlungszwang. Hinzu kommt die bei vielen ETFs große Anzahl an Marketmakern, die im Markt agiert. Kein EigenlebenNatürlich bleibt zu bedenken, dass ETFs über längere Perioden immer nur so liquide sein können, und das gilt für alle anderen Anlageprodukte gleichermaßen, wie die zugrunde liegenden Basiswerte oder Wertpapiere.Aber wo erreichen ETFs nun ihre Grenzen? Zurückkehrend zu der Ausgangsfrage ist es noch einmal wichtig festzuhalten, dass es in diesem Beitrag allein um das landläufige Verständnis geht, dass ETFs nicht nur eine Verpackung sind, sondern in der überwiegenden Mehrheit passiv verwaltete Investmentfonds. Einzig als Produkthülle verstanden, gibt es vermutlich außer einem Kosten- und Mindestgrößenaspekt keine Grenzen, lässt sich doch jeder Investmentfonds als börsengehandelter Fonds anbieten. Kosten spielen insofern eine Rolle, als dass nicht jeder Investor eine ständige Handelbarkeit braucht und damit willens ist, Aufwendungen für ein Listing zu tragen. Ohnehin gehen in den zahlreichen Diskussionen die Anlegerpräferenzen oft unter. Passive Investmentfonds brauchen einen Basiswert, den sie nachbilden. Das Interesse an Indizes wiederum verändert sich im Laufe der Zeit, was in den letzten Jahren kontinuierlich zu beobachten ist. Auch wenn es einige Standardindizes geben wird, die auch in Zukunft immer gefragt sein werden. Und zwar sowohl von institutionellen als auch Privatanlegern. Bleibt die Frage, ob passive Anlagen und ETFs aktives Management tatsächlich gefährden können. Auch hier gilt es wiederum, ein allgemeines Missverständnis auszuräumen. ETFs führen kein Eigenleben. Grundlage einer erfolgreichen Investmentstrategie mit ETFs ist immer eine aktive Entscheidung für eine Anlageklasse, ein Land, eine Region oder ein Thema. Und daraus ergibt sich im Kern, was die Anlagerealität schon seit langem aufzeigt: ETFs sind Bausteine, die das aktive Management sinnvoll unterstützen und ergänzen. Wer eine überdurchschnittliche Wertentwicklung, also Outperformance will und braucht, bekommt diese nicht mit rein passiven Anlagen wie ETFs. Hier liegt eine natürliche und niemals überwindbare Grenze von ETFs. Eine mögliche Sättigung mit passivem Management liefert übrigens ein Blick in die USA. Dort beträgt der Anteil passiver Anlagen schon seit geraumer Zeit rund 40 %.—Thomas Meyer zu Drewer, Geschäftsführer, Comstage