Abkehr von Provisionsverbot

Warnung vor Beratungslücke für Anleger zieht in Brüssel

Die EU-Kommission will der Finanzbranche drei Jahre Zeit geben, um mehr für Kleinanleger zu tun. Sonst könnte ein Komplettverbot von Provisionen zurück auf die Tagesordnung kommen.

Warnung vor Beratungslücke für Anleger zieht in Brüssel

Warnung vor Beratungslücke zieht

Kleinanlegerstrategie der EU-Kommission spart umfassendes Provisionsverbot aus – Drei Jahre Zeit für Verbesserungen

rec Brüssel

Die EU-Kommission will mit einem groß angelegten Gesetzespaket Kleinanleger stärken. Zu diesem Zweck macht sie eine ganze Reihe von Vorschlägen, die bestehende Regularien ändern oder ergänzen sollen. Sie reichen von Informationspflichten über Vorgaben für die Beratung bis zur Werbung für Finanzprodukte. Von einem umfassenden Provisionsverbot sieht sie hingegen wie berichtet vorerst ab.

Die Debatte über ein mögliches Provisionsverbot dominierte monatelang die Vorbereitungen für die Kleinanlegerstrategie. Unter Druck aus der Finanzbranche und Widerstand aus etlichen EU-Staaten gab EU-Finanzmarktkommissarin Mairead McGuinness ihr Vorhaben zum Teil auf. Der Reformvorschlag sieht gleichwohl ein Teilverbot von Provisionen für reine Ausführungsgeschäfte ohne Beratung vor.

McGuinness will binnen drei Jahren mehr Transparenz, geringere Kosten und eine stärkere Beteiligung von Kleinanlegern an den Kapitalmärkten sehen. Gelingt das nicht, soll ein Komplettverbot von Provisionen zurück auf die Tagesordnung. Die EU-Kommission stört, dass Kleinanleger in der EU laut Wertpapieraufsicht ESMA 40% höhere Kosten zahlen als institutionelle Investoren. Außerdem brachte in einer Eurobarometer-Umfrage jüngst fast die Hälfte der Befragten Misstrauen gegenüber Finanzberatern zum Ausdruck.

Die EU-Kommission nimmt das zum Anlass, zahlreiche Regelwerke für Finanzmärkte (Mifid II) und Versicherer (Priips, IDD, Solvency II) zu überarbeiten. In ihrer Gesamtheit würden sie das Wertpapiergeschäft deutlich komplexer machen, bemängelt die Deutsche Kreditwirtschaft (DK). Viele Vorgaben blieben vage und müssten von EU-Kommission oder Aufsichtsbehörden konkretisiert werden.

Verbraucherschützer enttäuscht

Zu den Einzelheiten, die McGuinness bereits nannte, gehört ein jährlicher Kostenausweis für Anleger. Zudem sollen Berater in der Pflicht sein, Kunden eine breitere Palette an Produkten anzubieten – darunter mindestens ein besonders günstiges. Verbraucherschützern genügt das nicht: Für sie greifen die Vorschläge zu kurz, um unabhängige Beratung zu ermöglichen und Interessenkonflikte auszuschalten. Die EU-Kommission scheitere an ihren eigenen Zielen, findet der industriekritische Verband Better Finance.

Die Finanzindustrie hat vor allem argumentiert, dass bei einem Provisionsverbot über Nacht eine Beratungslücke für Kleinanleger drohe. Das hat bei der EU-Kommission verfangen. Entsprechend zufrieden zeigen sich diverse Verbände, ein umfassendes Provisionsverbot abgewendet zu haben. Positiv kommt in der Industrie zudem an, dass Informationen für Anleger künftig in kompakter Form digital verfügbar sein sollen.

Auch aus dem auf EU-Politik fokussierten Forschungszentrum CEP kommt Lob für den Rückzieher beim Provisionsverbot: „Ich halte die Abkehr für sachgerecht“, sagt Philipp Eckhardt, Referent für Finanzmärkte. „Provisionsverbote hätten nicht nur den Wettbewerb um das beste Vertriebsmodell beschränkt, sondern auch die Wahlfreiheit von Kleinanlegern massiv beschnitten.“

Die Branche treiben nun das geplante Teilverbot von Provisionen im beratungsfreien Geschäft und striktere Anforderungen um. „Diese Maßnahmen werden den seit Mifid II ohnehin schon sehr hohen Anlegerschutz nicht weiter steigern“, sagt Thomas Richter, Hauptgeschäftsführer des Fondsverbands BVI. Auch in der Deutschen Kreditwirtschaft gibt es Vorbehalte, Provisionen „für das in Deutschland weit verbreitete beratungsfreie Geschäft“ zu verbieten.

Stimmen aus dem EU-Parlament deuten auf schwierige Verhandlungen mit den EU-Staaten über das Kleinanlegerpaket hin. Der SPD-Europaabgeordnete René Repasi lobt zwar das Teilverbot von Provisionen im Ausführungsgeschäft. „Ausreichend für einen umfassenden Schutz von Kleinanleger*innen ist dies jedoch nicht.“ Markus Ferber von der CSU hält es für vernünftig, dass die EU-Kommission von einem vollständigen Provisionsverbot absieht. „Das hätte Anlegern mehr geschadet als genützt.“

Grenzen für „Finfluencer“

Die EU-Kommission widmet sich darin auch dem recht neuen Phänomen sogenannter Finfluencer. Das sind Finanzberater, die sich auf soziale Medien spezialisiert haben. Die Aufsichtsbehörden sind beauftragt, genauer hinzuschauen, ob das Marketing von Finfluencern im Einklang mit den Vorschriften für Finanzberater steht. Strengere Vorschriften sind nicht zuletzt für Investmentfirmen geplant, die Dienste von Finfluencern nutzen.

Die EU-Kommission lanciert ihre umfangreiche Kleinanlegerstrategie. Ihre Ziele: mehr Transparenz, niedrigere Kosten und stärkere Beteiligung von Kleinanlegern an den Kapitalmärkten. Dafür soll die Branche drei Jahre Zeit bekommen – sonst könnte ein Komplettverbot von Provisionen zurück auf die Tagesordnung kommen.

Mairead McGuinness
Mairead McGuinness
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