Warum die Mobilitätswende kommen wird

Die technologischen Bausteine sind vorhanden - Das Auto muss neu erfunden werden

Warum die Mobilitätswende kommen wird

Es war ein Weckruf an die Industrie, den wir als Bericht des Arbeitskreises Smart Service Welt auf der diesjährigen CeBIT an Bundesminister Gabriel übergaben: Hochwertige Produkte allein reichen langfristig nicht aus. Denn sie verschmelzen im Zeitalter der Digitalisierung mit Diensten und Dienstleistungen zu Smart Services. Diese kann anbieten, wer Produktdaten und Nutzerdaten zusammenbringt und auswertet. Klassische Wirtschaftsbereiche sind von dieser Entwicklung nicht ausgenommen. Die Mobilitätsbranche steht vor einem besonders tiefgreifenden Umbruch, weil sowohl die Smart-Service-Welt als auch neue Antriebsformen das Koordinatensystem verändern werden. Der Verkehr wird elektrisch, vernetzt und autonom.Die Technologien für eine neue Ära der Mobilität sind verfügbar, der Veränderungsdruck hin zu mehr Nachhaltigkeit ist hoch und der Nutzen für die Menschen groß. Deshalb ist nicht die Frage, ob eine Mobilitätswende kommt, sondern welche Rolle Deutschland und die hiesigen Unternehmen dabei spielen. Hierzulande neigen wir dazu, von den technologischen Bausteinen und globalen Herausforderungen her zu denken. Doch im Zentrum der Smart Service Welt und der künftigen Mobilität stehen die Menschen und ihre Bedürfnisse. Fangen wir also bei den Nutzern an.Staus kosten die Menschen Nerven und viel Geld – laut Schätzungen 40 Mrd. Euro jährlich, also 2 500 Euro pro Haushalt. Deshalb ist es ein echter Mehrwert, wenn intelligente Fahrzeuge in einem vernetzten Verkehrssystem Staus minimieren. Nicht jeder Stau lässt sich umfahren. Doch wenn dann ein Fahrassistent übernimmt, können wir uns wichtigeren Dingen widmen als Stop- and-Go.Die Menschen gewinnen durch die Vernetzung und Automatisierung des Straßenverkehrs Zeit. Den Kunden ist Untersuchungen zufolge dies bis zu 10 000 Euro Aufpreis wert. Zum Vergleich: Bei den umweltfreundlichen Elektrofahrzeugen liegt die Mehrpreisbereitschaft bei bis zu 2 000 Euro – Komfort schlägt in dieser Hinsicht Ökologie.Zweitens gewinnen wir Flexibilität. Insbesondere die junge Generation möchte Mobilität on-demand und as-a-service. Junge Menschen sind die eifrigsten Nutzer von Carsharing und Co. Sie wollen sich nicht auf die eine oder andere Mobilitätsform, auf das eine oder andere Auto festlegen, sondern wollen die beste Lösung für den Weg von A nach B – situationsbezogen und individuell. 150 Carsharing-Anbieter und etwa 1 Million Nutzer in Deutschland sind erst der Anfang. Älteren Menschen dagegen eröffnen selbstfahrende Autos die Perspektive, mit Sicherheit mobil zu bleiben. Elektrofahrzeuge sind leiseMultimodale, vernetzte und automatisierte Verkehrsformen werden also entstehen. In diesem Umfeld spielen Elektrofahrzeuge ihre Stärken aus: niedrige Betriebskosten, hoher Fahrspaß. Die in der Anschaffung teurere, aber im Betrieb günstigere Elektromobilität rechnet sich schon heute für Flottenbetreiber und Pendler mit einem hohen, aber planbaren Fahraufkommen. Die dynamischen Elektrofahrzeuge machen einfach Spaß. Und sie sind leise: Kürzlich las ich den Tweet eines Fahrers, der im E-Auto das Radio ausschaltet – um die Stille zu genießen.Natürlich gibt es noch Entwicklungsbedarf aus Nutzersicht. Beim Elektroauto sind es insbesondere der höhere Preis und die Reichweite. Die Preise werden mit jeder Batteriegeneration und jeder größeren Skalierung der Fabriken fallen. Die Reichweite betrifft eher das persönliche Sicherheitsgefühl: Zwar reicht die Batterie für fast jede Fahrt, doch die Schnellladesäule in der Nähe schafft Vertrauen.Beim vernetzten und automatisierten Fahren bleiben Fragen der Nutzer nach der Datensicherheit nicht aus. Erst kürzlich gelang es zwei Hackern in den USA, die Steuerungssoftware eines Pkw zu manipulieren. Die Sicherheit vor “Hacks on the Highway”, wie die Washington Post es betitelte, ist essenziell. Ebenso der Schutz der Privatsphäre. Denn die vernetzte Mobilität berührt einen sensiblen Bereich. Auch finden es viele unheimlich, das Steuer aus der Hand zu geben. Konsequent von den Menschen her gedacht wird jedoch der Nutzen bei weitem überwiegen. Veränderungsdruck ist hochDie Rahmenbedingungen erzeugen einen Veränderungsdruck, der die Mobilitätswende beschleunigt. Ein steigendes weltweites Mobilitätsaufkommen trifft auf den Kampf gegen den Klimawandel, die Ressourcenknappheit und die wachsende Umweltbelastung. Dieser Zielkonflikt ist nur auflösbar, wenn wir die Elektromobilität, vernetzte und autonome Fahrzeuge sowie intelligente Verkehrssysteme nutzen. In den Megacitys rund um den Globus schont jeder Benziner, der durch ein Elektroauto ersetzt wird, das Stadtklima. Ebenso jeder vermiedene Stau.Die Sicherheit wird ebenfalls immer wichtiger, wo der Verkehr zunimmt oder die Fahrer älter werden. In alternden Gesellschaften wie der unseren werden wir zudem ländliche Regionen mit dünnem Angebot öffentlicher Verkehrsmittel haben – selbstfahrende Autos sind hier eine wichtige Option. Die Ressourcenknappheit schließlich wird über kurz oder lang zu steigenden Spritpreisen führen und die Elektrifizierung beschleunigen. Doch wohlgemerkt: Dass wir eine Mobilitätswende brauchen, ist keine hinreichende Bedingung für ihren Erfolg – im Zentrum stehen die Nutzer und ihre Bedürfnisse. Kurz vor dem MassenmarktBereits auf der Weltausstellung 1939 in New York hat General Motors im Pavillon “Futurama” eine Stadt namens “Democracity” erdacht, in der ferngesteuerte elektrische Fahrzeuge induktiv geladen werden. Nun ist die Zeit endlich reif für die Mobilitätswende. Die technologischen Bausteine stehen kurz vor dem Massenmarkt oder haben ihn bereits erreicht.Beispielsweise die in Fahrzeugen und Infrastrukturen eingebauten vernetzten Computersysteme – schon heute gibt es davon 150 in jedem modernen Mittelklassewagen, 15 Milliarden rund um den Globus und doppelt so viele in fünf Jahren. Abstandsregler, Head-up-Displays, Müdigkeitsassistenten oder Park- und Spurhalteassistenten werden mehr und mehr zum Standard. Erste Autos aus dem Luxussegment können im Stau übernehmen. Fahrzeuge mit höherer Automatisierung bis hin zum selbstfahrenden Auto werden bereits erprobt.Im Bereich der Elektromobilität haben wir allein 29 Fahrzeuge deutscher Hersteller auf dem Markt. Größere Stückzahlen und verbesserte Einzeltechnologien werden die Preise fallen lassen, fallende Preise wiederum werden die Marktdurchdringung beschleunigen. Bessere Batterien und der Leichtbau werden die Reichweite erhöhen. Deutschland ist auf einem guten Weg zu einem Leitanbieter. Für den Weg zu einem Leitmarkt der Elektromobilität müssen wir nun anziehen. Die Bundeskanzlerin hat hier Förderung noch in diesem Jahr in Aussicht gestellt. Vor einem UmbruchWir haben in Deutschland Autohersteller und Zulieferer von Weltruf. Sie haben in allen drei Teilbereichen der Mobilitätswende eine gute Startposition. Doch das gesamte Geschäftsmodell steht vor einem Umbruch. Das Auto entwickelt sich im doppelten Wortsinn zum “mobilen Endgerät”. Der Betrieb von Plattformen für übergreifende Mobilitätsservices spielt eine immer größere Rolle in den Wertschöpfungsketten. Deshalb investieren große IT- und Internetunternehmen so stark in die Mobilitätswende.Wer die Betriebsdaten der Fahrzeuge mit den Daten der Nutzer zusammenbringt, kennt deren Gewohnheiten und Bedürfnisse. Mit diesem Wissen kann er ihnen individuelle Mobilitätsservices anbieten. Wer diese Schnittstelle zu den Kunden besetzt, bestimmt die Spielregeln. Noch ist offen, ob etablierte Mobilitätsanbieter diese neuen Geschäftsmodelle erschließen oder Intermediäre. Es mag schwer vorstellbar sein, dass erfolgreiche Automobilhersteller in die zweite Reihe gedrängt werden. Doch sie nehmen dieses Szenario sehr ernst und haben die Elektrifizierung, Vernetzung und Digitalisierung der Mobilität ins Zentrum ihrer Strategien gestellt. Schnelligkeit ist angebracht.Die Mobilitätswende bricht Branchengrenzen auf und macht die Kooperation von Playern nötig, die vorher wenig miteinander zu tun hatten. Normen, Standards und interoperable Plattformen müssen entstehen. Einen stabilen rechtlichen Rahmen – beispielsweise für Haftungsfragen oder den Schutz der Daten – gilt es weiter auszubauen. Daran müssen Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Gesellschaft gemeinsam arbeiten. Wir brauchen deshalb ein gemeinsames Zielbild sowie Modellregionen und Living-Labs, in denen das neue Mobilitätssystem erfahrbar wird. Und wir werden, das sieht man deutlich bei der Elektromobilität, nicht um finanzielle und nicht-monetäre Anreize herumkommen, möchte Deutschland als Leitmarkt vorangehen. Experten an einem TischIn dem Projekt “Neue autoMobilität” der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften haben wir Wissenschaftler der relevanten Fachrichtungen mit Experten aus den Unternehmen an einen Tisch gebracht. Sie entwerfen mit der Perspektive 2030 eine Vision für den automatisierten Straßenverkehr der Zukunft und erarbeiten eine Roadmap für den Weg dorthin. Erste Ergebnisse stellen wir auf der IAA vor. Wenn es Deutschland gelingt, entlang einer gemeinsamen Vision die Mobilitätswende zu gestalten, dann können wir das Auto als Teil eines vernetzten Verkehrssystems ein zweites Mal erfinden.—Von Henning Kagermann Vorsitzender der Nationalen Plattform Elektromobilität und Präsident der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften, acatech