Weg vom reinen Rudergänger hin zum Navigator

Um navigatorisches Wissen künftig gewinnbringend in strategische Überlegungen einzubringen, müssen die Voraussetzungen stimmen

Weg vom reinen Rudergänger hin zum Navigator

Die See wird rauer: Der globale Kapitalmarkt schlägt hohe Wellen, aktivistische Investoren halten Emittenten auf Trab. Die richtige Kommunikation mit Akteuren des Kapitalmarkts wird für Unternehmen in diesem Umfeld zu einem wichtigen strategischen Erfolgsfaktor. Damit ist auch ein neues Verständnis von Investor Relations (IR) gefragt: Weg vom reinen Rudergänger, der nach alleiniger Weisung des Kapitäns handelt, hin zum Navigator, einem echten Unterstützer der Schiffsführung beim Berechnen des richtigen Kurses. Fünf Funktionen der IRIn ihren Anfangszeiten vor rund 50 Jahren fungierten IR vor allem als Sprachrohr des Unternehmens in Richtung Kapitalmarkt. Zwar ist diese Aufgabe auch heute noch ein Bestandteil der IR-Arbeit; die Kommunikation hat sich – auch dank der Entwicklung von Social Media – jedoch mehr und mehr zu einem Dialog entwickelt. Zudem ist die Kommunikation nur eine von fünf Kernfunktionen moderner IR-Arbeit. Weitere Aufgaben des IR-Managements sind das Marketing der Aktie und die Finanzfunktion, das heißt die transparente Vermittlung des Investitionsrisikos. Darüber hinaus verantwortet der IR-Manager die Regelpublikationen wie etwa Ad-hoc-Meldungen und den sauberen Ablauf der Hauptversammlung.Zunehmend wichtig ist die fünfte Funktion: die strategische beziehungsweise integrierte Komponente der IR-Arbeit. Anders als bei den anderen vier Funktionen, bei denen es primär darum geht, nach außen zu kommunizieren, bezieht sich dieser Aspekt auf die Vermittlung von Informationen und Stimmungen in das Unternehmen hinein. IR-Officer (IRO) müssen ihr Ohr am Kapitalmarkt haben, müssen ins Unternehmen tragen, was der Markt denkt und was er erwartet. Sie müssen die Debatten, die der Markt über das Unternehmen führt, begleiten und fortlaufend analysieren. Denn die Dynamik dieser Diskurse kann den strategischen Optionenraum eines Unternehmens drastisch vergrößern oder eben auch einschränken. Sie muss daher in der Art und Weise, wie das Unternehmen kommuniziert, Berücksichtigung finden.Die strategische Komponente signalisiert also, ob IR-Manager Rudergänger bleiben oder sich zu Navigatoren des Unternehmens entwickeln. Wünschenswert wäre, dass IR-Verantwortliche ihr Wissen über die Wahrnehmung des eigenen Unternehmens in strategische Überlegungen einbringen. Denn eine effektive, strategisch ausgerichtete IR-Funktion entlastet den Vorstand und vergrößert die Reichweite für den Chief Executive Officer (CEO) und den Chief Financial Officer (CFO). Umdenken auf vielen EbenenNicht alle Vorstandsmitglieder erkennen allerdings die Chance, die sich durch strategische IR-Arbeit bietet. Unsicherheiten bestehen etwa bei der Frage, ob IR-Verantwortliche über die notwendigen Mittel verfügen, um eigenständig auf Augenhöhe mit dem Vorstand zu arbeiten. Zudem sind auch die IROs selbst nicht immer bereit beziehungsweise in der Lage, diese Aufgabe ad hoc zu übernehmen. Eine weitere Frage ist die der organisatorischen Aufhängung des IR-Teams.Die meisten Heads of IR berichten derzeit an den CFO, die Heads of Communications indes an den CEO. Diese Anordnung macht eine wichtige Grundregel der Unternehmenskommunikation – die One-Voice-Policy – abhängig von der Beziehung zwischen CEO und CFO beziehungsweise von der Fähigkeit und Bereitschaft des Kommunikations- und IR-Teams, sich abzustimmen. Um der Gefahr der Missachtung der One-Voice-Policy vorzubeugen, gibt es (mindestens) zwei Möglichkeiten.Die erste Möglichkeit ist eine Erweiterung der Aufgaben des IROs, vielleicht sogar ein Sitz in der Konzernleitung. Dafür gibt es bereits heute einige Beispiele. Die Nähe von IR und strategisch Verantwortlichen ist ideal, um das Wissen der IR-Navigatoren bei wichtigen Richtungsentscheidungen einzubringen.Eine zweite Möglichkeit besteht darin, dem IR-Verantwortlichen auch die Leitung der Corporate Communications zu übertragen. Somit entsteht ein strategischer “Superhead of Communications”, der in der Regel in der Konzernleitung sitzt und die IR-Funktion neben einer Vielzahl weiterer Kommunikationsaktivitäten verantwortet. Idealerweise sollte diese “Superhead”-Funktion an den CEO berichten, mit einem engen Draht zum CFO. Auch diese Struktur erlaubt es, die Navigationshilfe des IRO für das Unternehmen zu nutzen. Wer kann strategische IR?Mit einer sinnvollen organisatorischen Einbindung des IR-Teams ist ein erster Schritt getan, um die strategischen Stärken von IR nutzen zu können. Es braucht dafür aber auch einen IRO, der über die notwendigen strategischen Fähigkeiten und kommunikativen Talente verfügt. Nur wenn er oder sie ausgezeichnete Arbeit leistet, wird die Unternehmensleitung entlastet. Wenn der IRO seiner Aufgabe nicht gewachsen ist oder nicht eng genug mit den Entscheidern und der strategischen Ebene der Organisation zusammenarbeitet, werden die Telefone der Unternehmensleitung weiterhin kräftig klingeln.IR ist eine außergewöhnliche Funktion. Sie vereint finanztechnische Bewertungskompetenz mit Storytelling-Talent und erfordert zugleich hohe kommunikative und strategische Fähigkeiten. Das Management der Erwartungen auf Investorenseite ist eine Hauptaufgabe von IR. Der IRO muss daher verstehen, wie Investoren bei der Einschätzung einer Aktie und eines Unternehmens vorgehen. Die Kapitalmarkt-Story des Unternehmens überzeugend zu kommunizieren, erfordert darüber hinaus Wortgewandtheit und strategischen Scharfsinn.Die meisten IROs haben ausgeprägte Fähigkeiten zur Kommunikation mit externen Ansprechpartnern. Sie sind viel unterwegs und bauen enge Beziehungen innerhalb der Finanzgemeinde auf. Nicht immer jedoch demonstrieren sie ihren strategischen Wert auch innerhalb ihres Unternehmens – zum Beispiel indem sie wertvolle Rückmeldungen des Marktes an die interne Organisation weiterleiten. Die Fähigkeit, die Meinungsbildung sowohl intern als auch extern zu beeinflussen, ist in einer Matrixorganisation mit mehreren Anspruchsgruppen jedoch unverzichtbar. Vom Unternehmenssprecher zur Unterstützungsfunktion für den Vorstand, von der Sammlung von Information im Markt zu deren effizienter Koordination unter Kollegen, von der Filterung zur Rückmeldung wichtiger Datenpunkte an den Vorstand: Die IR-Funktion erfordert Erfahrung, Urteilsvermögen und Überzeugungskraft. Wissen zum Leben erweckenFazit – IR-Profis können mehr als nur rudergehen. Immer mehr Unternehmen erkennen den Wert des in den IR-Abteilungen schlummernden navigatorischen Wissens. Um dieses zum Leben zu erwecken, das heißt es künftig gewinnbringend in strategische Überlegungen des Unternehmens einzubringen, müssen jedoch die Voraussetzungen stimmen. Dabei geht es um die organisatorische Einbindung von IR-Arbeit innerhalb des Unternehmens ebenso wie um die persönliche Überzeugung des Vorstands, der Investoren und nicht zuletzt der IR-Verantwortlichen selbst.—Kay Bommer, Geschäftsführer des DIRK – Deutscher Investor Relations Verband—Harald Kinzler, Managing Director bei CNC Communications & Network Consulting