Weg zur Bankenunion ist vorgegeben

Technische Details konsequent und wirtschaftspolitisch plausibel festlegen - Gemeinsame Aufsicht sollte eigene EU-Institution sein

Weg zur Bankenunion ist vorgegeben

“Gerade noch rechtzeitig”, könnte man sagen: In der letzten Sitzungswoche vor den Europawahlen hat das Europäische Parlament Ende April die fehlenden Bausteine für die Schaffung einer Bankenunion verabschiedet. Hierzu zählen neue gemeinsame Regeln für die Sanierung und Abwicklung von Banken, die Reform der Einlagensicherungsrichtlinie sowie die Verordnung für ein gemeinsames Regime zur Sanierung und Abwicklung maroder Banken aus Euro-Ländern (SRM). Damit hat die Politik zunächst einmal ihren selbst gesetzten Zeitplan eingehalten. Der Weg zur Bankenunion ist damit vorgegeben – auch wenn bis zum Ziel noch einige Schritte verbleiben, da die Neuregelungen erst noch umgesetzt werden müssen. Zudem sind eine Reihe von Details noch nicht abschließend geklärt, die auch mit darüber entscheiden werden, wie erfolgreich und friktionslos das neue regulatorische Umfeld der Bankenunion nach der Übernahme der Aufsichtspflichten durch die Europäische Zentralbank (EZB) im November an den Start geht. Wichtige Lehre gezogenMit der Schaffung einer Bankenunion hat die E(W)U eine der wichtigsten Lehren aus der Finanz- und Schuldenkrise gezogen: Eine Bankenunion ist das sinnvolle und lange überfällige Komplement zur Währungsunion. Dies war schon im Rahmen des Vertrags von Maastricht diskutiert worden, fand damals aber keine politischen Mehrheiten. Die Erfahrung der Finanzkrise hat nun das finanzielle Trilemma nochmals deutlich vor Augen geführt: Ein integrierter Bankenmarkt, eine weiterhin nationale Aufsicht sowie Finanzstabilität sind nicht miteinander vereinbar. Umso wichtiger ist es, dass die Politik diesmal für ein funktionierendes Arrangement sorgt.Die historische und wirtschaftspolitische Tragweite dieser Entscheidung ist nicht hoch genug einzuschätzen. In keiner anderen Weltregion sind Staaten den Weg zum echten Binnenmarkt, zur gemeinsamen Währung, zum integrierten Finanzmarkt und zur geteilten Souveränität in der Bankenaufsicht und der möglichen Abwicklung von Finanzinstituten (einschließlich entsprechender Haftungskaskade) bisher gegangen. Europas Antwort auf die Finanzkrise ist somit vertiefte Integration und Rückbesinnung auf Marktwirtschaft und Haftung.Die Erwartungen an dieses seit 15 Jahren wichtigste institutionelle Projekt der Europäer sind beträchtlich. Die gemeinsame Aufsicht soll die konsequente Anwendung einheitlicher Standards gewährleisten und so Wettbewerbsverzerrungen vermindern, die Qualität der Bankenaufsicht in Europa verbessern und dementsprechend auch Fehlentwicklungen verhindern. Falls jedoch ein Abwicklungsfall eintritt, sollen die neuen Regelungen zur Gläubigerbeteiligung sicherstellen, dass dieser eben nicht mehr vom Steuerzahler getragen werden muss, sondern eine angemessene Beteiligung privater Gläubiger gewährleistet ist. Zudem sorgt der gemeinsame Abwicklungsmechanismus (SRM) künftig dafür, dass die Restrukturierung und Abwicklung gescheiterter Banken auch grenzüberschreitend tatsächlich effektiv funktionieren kann. Damit verringert das neue Regelwerk Marktfragmentierung und unterstützt die wirtschaftliche und fiskalische Integration im Euroraum. Es soll helfen, den gefährlichen Zusammenhang aus schwachen Banken und schwachen Staaten (und umgekehrt) in einem Land aufzubrechen, auch dadurch, dass die Entscheidungsträger die Finanzstabilität der gesamten Union im Blick haben und nicht nur das jeweilige nationale Interesse. Schließlich soll die Bankenunion dazu beitragen, verloren gegangenes Vertrauen in den europäischen Finanzsektor zurückzugewinnen. Einiges davon wird in der Realität freilich Zeit brauchen.Der historische Schritt der Übernahme der einheitlichen Bankenaufsicht durch die EZB ist für November 2014 vorgesehen. Die Deutsche Bank hat bereits im Jahr 2000 für eine einheitliche Bankenaufsicht plädiert, umso willkommener ist diese Entwicklung nun. Mögliche Konflikte der EZB zwischen ihrer Rolle als Bankenaufseher und der Befolgung ihres geldpolitischen Mandats sind im Vorfeld ausführlich diskutiert worden. Es wäre wünschenswert, wenn im Zuge der Weiterentwicklung der Eurozone (und der EU) über eine eigene EU-Institution nachgedacht würde. Auch die eingeschränkte unmittelbare Reichweite der europäischen Bankenaufsicht auf etwa 130 Banken ist nicht unproblematisch. Immerhin können nach allen Erfahrungen auch von “regionalen” Banken Risiken für die Finanzstabilität in der Eurozone ausgehen. Praktisch ist daher eine gute Zusammenarbeit der EZB und der national an Aufsicht beteiligten Akteure wichtig – um Konsistenz und eine einheitlich hohe Aufsichtsqualität zu gewährleisten, aber auch um Dopplungen und Ineffizienzen für die beaufsichtigten Banken im neuen Regulierungssystem zu vermeiden. Entscheidend ist zudem das Durchgriffsrecht der EZB auf alle Banken im Euroraum. Testfolgen beherrschbarAktuell sind die wichtigste Herausforderungen für die Etablierung als glaubwürdige Finanzaufsicht die Risikoüberprüfung, die Überprüfung der Qualität der Vermögenswerte und der makroökonomische Stresstest von EZB und europäischer Bankenaufsicht EBA. Hier besteht einerseits die Sorge, dass die Überprüfung zu weich ausgestaltet ist, um Vertrauen in die Bankenbranche wiederherzustellen und die Glaubwürdigkeit der EZB als Bankenaufsicht von Beginn an zu stärken. Andere befürchten wiederum, dass diese Maßnahmen so viele Probleme aufdecken, dass eine erneute Welle von Bilanzmaßnahmen und staatlichen Hilfsmaßnahmen erforderlich wird und das Vertrauen in die Stabilität des Bankensektors erneut unterminiert wird. Beide Sorgen dürften überzogen sein. Letztlich werden die Behörden einen strengen Test durchführen, der in seinen Konsequenzen gut beherrschbar, aber nicht völlig schmerzfrei sein wird. Aufsicht und SRM koppelnEntscheidend für die Glaubwürdigkeit der einheitlichen Aufsicht ist die Koppelung mit einem einheitlichen Abwicklungsmechanismus (SRM) für scheiternde Institute. Die nun beschlossenen Regeln schaffen ein Stück weit Klarheit über die zukünftige Arbeitsweise der Bankenunion, auch wenn der Praxistest natürlich noch aussteht – und hoffentlich auch nicht so schnell eintritt. Insbesondere wird der SRM erst noch unter Beweis stellen müssen, dass er im Krisenfall wirklich rasch handlungsfähig ist und Entscheidungen nicht durch zu komplexe, intransparente Strukturen und Abläufe ungebührlich verzögert werden. Wichtiges Signal an alle Banken, Investoren, Kunden und Steuerzahler ist in diesem Zuge die Regelung der Gläubigereinbeziehung im Krisenfall. Die Haftungskaskade sieht vor, dass für die Kosten einer Abwicklung zuerst die Aktionäre, dann die Besitzer von Anleihen und große Einleger (Kleinsparer mit einem Guthaben bis zu 100 000 Euro sind explizit ausgenommen) herangezogen werden. Das ist notwendig und angemessen, und eine konsequente und einheitliche Anwendung der Bail-in-Regeln kann einen wichtigen Beitrag dazu leisten, das “Too big to fail”-Problem zu lösen.Erst nach Rückgriff auf die Haftungskaskade sollen künftig nationale bzw. demnächst europäische Abwicklungssysteme zum Einsatz kommen. Um hier vorzusorgen, werden privat finanzierte Abwicklungsfonds aufgebaut. Im Zusammenhang mit dem SRM wurde ein Kompromiss über den von den Banken zu finanzierenden Aufbau eines gemeinsamen Abwicklungsfonds (SRF) getroffen, um weitere zur Abwicklung nötigen Mittel bereitzustellen. Entgegen dem ursprünglichen Plan, der zehn Jahre zum Aufbau des gemeinsamen Fonds und eine schrittweise Vergemeinschaftung der Mittel über diesen Zeitraum vorsah, sind nun – auch auf Drängen des EP – eine kürzere Aufbaufrist und eine schnellere Vergemeinschaftung beschlossen worden. Von den innerhalb von acht Jahren aufzubauenden 55 Mrd. Euro sind 40 % im ersten Jahr, 20 % im zweiten und danach 6,7 % p. a. zur Vergemeinschaftung vorgesehen. So soll eine größere Glaubwürdigkeit des SRM gerade in der Anfangsphase erreicht werden.Um Zweifel auszuräumen, dass die finanzielle Ausstattung des Fonds tatsächlich ausreicht, um eine größere Bank vernünftig abzuwickeln, kann der Fonds Kredite am Kapitalmarkt aufnehmen. Wie genau dies aussehen soll, muss allerdings erst noch geklärt werden. Auch in anderer Hinsicht sind Details zum Abwicklungsfonds noch zu spezifizieren: So muss die genaue Bemessung der Beitragszahlungen, unter anderem Anteil und Methodik zur Berechnung der risikogewichteten Beiträge, noch beschlossen werden. Hier muss darauf geachtet werden, eine belastbare und in der Risikomessung faire Bemessungsgrundlage zu schaffen, damit der europäische Bankensektor nicht tendenziell eher destabilisiert wird bzw. erhebliche Wettbewerbsverzerrungen gegenüber nicht am SRM teilnehmenden europäischen Konkurrenten oder Banken aus Drittländern entstehen. Auch sollten vorhandene Mittel nationaler Fonds zur Dotierung genutzt werden können.Die Entscheidungen bei den nur scheinbar nachrangigen “technischen” Details müssen nun konsequent und wirtschaftspolitisch plausibel getroffen werden, damit die letzten Stolpersteine auf dem Weg zur Bankenunion ausgeräumt werden. Dann kann die Bankenunion sich zu einer wirklichen Erfolgsgeschichte entwickeln.—Von Barbara Böttcher, Head of European Policy Research bei Deutsche Bank Research