Weidmann warnt vor schneller Zinswende

"Versicherer dürften auf graduellen Anstieg hoffen"

Weidmann warnt vor schneller Zinswende

lee Frankfurt – Bundesbankpräsident Jens Weidmann hat auf das systemische Risiko der Versicherungswirtschaft hingewiesen und vor einer abrupten Zinswende gewarnt. Auf dem Jahreskongress der europäischen Versicherungsaufsichtsbehörde EIOPA in Frankfurt erinnerte er daran, dass fast zeitgleich mit der Pleite der US-Investmentbank Lehman Brothers auch der weit größere und noch stärker vernetzte US-Versicherungskonzern AIG am Abgrund gestanden hatte. Anders als im Fall Lehman hatte die US-Regierung bei AIG eingegriffen, um einen totalen Vertrauensverlust an den Märkten zu verhindern.Heute seien die unter der europäischen Aufsicht stehenden Versicherer dank höherer Kapitalanforderungen zwar robuster als vor der Krise, unterstrich Weidmann. Betrachte man das Finanzsystem als Ganzes, berge der Sektor aufgrund seiner hohen Vernetzung jedoch nach wie vor systemische Risiken. Daher sei es zu begrüßen, dass die EIOPA und der Europäische Ausschuss für Systemrisiken (ESRB) sich des Themas angenommen haben.Mit Blick auf das anhaltende Niedrigzinsumfeld verglich Weidmann die Situation der Branche mit der eines Tiefseetauchers: “Wenn der Tauchgang länger anhält als erwartet, droht der Sauerstoff knapp zu werden.” Ein zu rascher Aufstieg berge dagegen das Risiko der Taucherkrankheit, bei der es durch die schlagartige Druckentlastung zu lebensbedrohlichen Schädigungen kommen kann. Er konkretisierte das Risiko am Beispiel der deutschen Lebensversicherer, deren Kunden von einem Rückgaberecht zu einem garantierten Preis Gebrauch machen können. Ein zu plötzlicher Zinsanstieg würde diese Option attraktiv machen und zu massiven Liquiditätsabflüssen führen. Wenn die Versicherer mit dem Verkauf von Anleihen gegensteuern würden, wäre ein weiterer Zinsanstieg die Folge.Insofern liege der voraussichtlich langwierige Ausstieg aus der extrem expansiven Geldpolitik in der Eurozone im Interesse der Versicherer. “Tauchern rät man, langsam, aber rechtzeitig an die Oberfläche aufzusteigen. Viele Versicherer dürften mit Blick auf die Zinsentwicklung auf ein ähnliches Szenario hoffen – mit anderen Worten auf einen schrittweisen Anstieg”, so der Bundesbankpräsident weiter. Das erwartete Ende der Anleihenkäufe markiert seiner Einschätzung nach nur den Beginn einer Normalisierung, die mehrere Jahre in Anspruch nehmen wird.