Welterklärer Ischinger
Von Tobias Fischer, Frankfurt Wenn Wolfgang Ischinger Jahr für Jahr die Weltenlenker nach München lädt, lassen sich die Mächtigen nicht lange bitten. Allerdings werde es immer schwieriger, die Großen zusammen aufs Podium und ins Gespräch zu bringen, berichtete der frühere Spitzendiplomat im Februar kurz vor der 55. Münchner Sicherheitskonferenz (MSC). Die Bereitschaft, sich aufeinander einzulassen, schwinde. Was früher für Todfeinde, Iraner und Amerikaner etwa, Israelis und Vertreter arabischer Staaten galt, sei bisweilen gar bei Vertretern westlicher Staaten zu beobachten.Längst bringt der 73-Jährige, der die MSC seit 2008 als Vorsitzender leitet und als gefragter Welterklärer dient, nicht mehr nur Transatlantiker zusammen wie in der Anfangszeit der 1963 erstmals ausgetragenen Tagung von Sicherheits- und Außenpolitikern sowie Top-Managern aus Industrie und Hochfinanz. Im Hotel Bayerischer Hof trifft sich nun die ganze Welt. Zu den regelmäßigen Besuchern zählen neben Präsidenten, Kanzlern, Premierministern und Ministern aus EU- und Nato-Staaten auch russische Vertreter sowie lateinamerikanische, afrikanische und entsprechend dem wachsenden Gewicht in der Welt verstärkt asiatische Staatenlenker, allen voran Chinesen.Der Erweiterung des Sicherheitsbegriffs in der vernetzten Welt entsprechend finden zudem Vertreter von Internationalen Organisationen wie UN-Generalsekretär António Guterres und die Chefin des Internationalen Währungsfonds, Christine Lagarde, ebenso wie Nichtregierungsorganisationen den Weg in die bayerische Hauptstadt, Greenpeace etwa oder Amnesty International.Dass der Sicherheitsbegriff viel umfassender definiert werden muss als früher, macht einmal mehr der “Transnational Security Report” deutlich, den die Münchner Sicherheitskonferenz am Freitag veröffentlichte. Im globalisierten Kuddelmuddel des 21. Jahrhunderts sind Ströme von Waffen, Drogen, Menschen, Daten und Geld mehr denn je sicherheitsrelevant, teilt Ischinger mit, vermochten sie es doch – per Cyberattacken etwa oder Schwarzgeld -, ganze Staaten und Regionen zu destabilisieren. Aber selbst dem gewinnt er etwas Positives ab: “Da Staaten sich ähnlichen Herausforderungen ausgesetzt sehen, die sie alleine nicht bewältigen können, könnte dies die multilaterale Zusammenarbeit fördern”, beschreibt er seine Hoffnung.Ischinger, der nach dem Studium der Rechtswissenschaften und internationalen Wirtschaftsbeziehungen 1975 ins Auswärtige Amt eintrat, arbeitete für die FDP-Außenminister Hans-Dietrich Genscher und Klaus Kinkel und stieg unter dem Grünen Joschka Fischer zum beamteten Staatssekretär auf. Von 2001 bis 2006 war er deutscher Botschafter in Washington. Nun vermittelt er Studenten an der Hertie School of Governance in Berlin die hohe Schule der Diplomatie und berät Regierungen wie Unternehmen. Sein Einsatz für Multilateralismus und das Gespräch gerät freilich zu einem immer schwierigeren Unterfangen in Zeiten der Populisten und Hardliner in Regierungsverantwortung – von Washington über Warschau, Budapest und Rom bis Moskau -, die wenig Interesse am diplomatischen Austausch zeigen und ihre nationalen Egoismen knallhart durchzusetzen versuchen. Wenngleich sich der Schwabe Frustration selten anmerken lässt, verliert auch er bisweilen die Contenance. Als “Meister des Störens und Zerstörens” bezeichnete er Donald Trump vor einem Jahr in ungewöhnlicher Deutlichkeit.