Wenn es mal wieder länger dauert

Von Bernd Neubacher, Frankfurt Börsen-Zeitung, 30.1.2013 "Zeit, die wir uns nehmen, ist Zeit, die uns etwas gibt", weiß Ernst Ferstl. Bei der EU sowie beim Ausschuss der Bankenaufseher steht der österreichische Aphoristiker offenbar hoch im Kurs,...

Wenn es mal wieder länger dauert

Von Bernd Neubacher, Frankfurt”Zeit, die wir uns nehmen, ist Zeit, die uns etwas gibt”, weiß Ernst Ferstl. Bei der EU sowie beim Ausschuss der Bankenaufseher steht der österreichische Aphoristiker offenbar hoch im Kurs, denn Zeit nehmen sich die Regulierer derzeit jede Menge: Die 2015 anstehende Einführung der kurzfristigen Liquiditätsquote hat der Baseler Ausschuss gerade bis 2019 gestreckt. Was die seit 2005 angestrebte Reform des Versicherungsaufsichtsrechts, also Solvency II, angeht, wird in der EU mittlerweile bis 2017 geplant – bei den Kapitalregeln nach Basel III hatte die internationale Aufseherrunde schon vor Jahren eine schleichende Einführung bis 2019 beschlossen. Jetzt beginnt auch der Zeitplan der Europäischen Union für die Einführung eines Verschuldungslimits für Banken zu wackeln.Wie Bloomberg meldet, reden Diplomaten darüber, die Banken erst per Januar 2016 zu verpflichten, das Verhältnis von Bilanzsumme zu Kernkapital (Leverage Ratio) offenzulegen, und nicht schon Anfang 2015. Die offenbar dahinter stehende Logik: Den Termin zum Beginn der schrittweisen Einführung von Basel III im Januar hat die EU schon verpasst.Betrüblich ist die Verschiebung vor allem, weil sie Hand in Hand geht mit einer um sich greifenden Ratlosigkeit auf globaler Ebene. Denn die Regulierung in Sachen Leverage Ratio hakt auch, weil die Vertreter der einzelnen Bilanzierungsschulen sich nicht auf die Definition der Bilanzsumme einigen können. Bekanntlich kommt die Deutsche Bank nach ihrer eigenen, an die US-Bilanzregeln US-GAAP angelehnten Definition dank Saldierung von Derivaten auf einen Verschuldungshebel von gerade einmal 21, nach dem für sie gültigen Standard IFRS dagegen auf 38. Die – noch – für 2018 ins Auge gefasste Hebelobergrenze von 33 zugrunde gelegt, heißt das: Als US-Bank wäre die Deutsche schon jetzt im grünen Bereich, als nach IFRS bilanzierendes Institut ist sie 2018 unterkapitalisiert.An diesem Wirrwarr soll sich auch nichts ändern: Es werde die Rechnungslegung des jeweiligen Landes gelten, war zuletzt aus Basel zu hören, wo auch eine eigene Accounting Task Force nichts auszurichten vermag. An den jeweiligen Bilanzstandard angepasste Multiplikatoren könnten Differenzen zwischen US-GAAP und IFRS einebnen, hat der Chef einer großen US-Bank jüngst bei einem Glas Wein vorgeschlagen – unklar blieb, ob er dies ernst meinte. Wenn global schon kein Konsens herzustellen ist, was Bilanzsumme ist und was nicht, wie wollen die Regulierer in den kommenden Jahren dann Fragen der Risikogewichtung klären oder den Schattenbankensektor regulieren?Die Finanzbranche lässt derweil die Zeit und ihre Lobbyisten für sich arbeiten, wohl wissend, dass der Schrecken der Krise vom Herbst 2008 in der Erinnerung verblasst und statt seiner mehr und mehr das Bemühen um eine Belebung der Konjunktur in den Fokus rückt.Vielleicht behalten doch diejenigen recht, die 2008 warnten, eine solche Gelegenheit, einen globalen Konsens zur Regulierung der Branche herzustellen, dürfe nicht vergeben werden, weil sie nicht mehr wiederkehre. Auch sie werden dieser Tage an Ernst Ferstl denken. Der weiß nämlich auch: “Wir brauchen viele Jahre, bis wir verstehen, wie kostbar Augenblicke sein können.”—–Der Zeitplan für die Einführung eines Schuldenlimits für Banken wackelt.—–