LEITARTIKEL

Wenn Kleinvieh Mist macht

Der Anlauf auf den Juni-Ultimo gilt im chinesischen Bankensystem stets als heiße Phase, die typischerweise von Anspannungen im Geld- und Interbankenmarkt mit teils stark anziehenden Refinanzierungssätzen begleitet wird. In diesem Jahr ist es der...

Wenn Kleinvieh Mist macht

Der Anlauf auf den Juni-Ultimo gilt im chinesischen Bankensystem stets als heiße Phase, die typischerweise von Anspannungen im Geld- und Interbankenmarkt mit teils stark anziehenden Refinanzierungssätzen begleitet wird. In diesem Jahr ist es der Zentralbank ein besonderes Anliegen, jedwede Unruhe an den Finanzmärkten bereits im Keim zu ersticken. Der Handelsstreit zwischen China und den USA und das stark in Mitleidenschaft gezogene Wirtschaftsvertrauen erfordern einen schwierigen geldpolitischen Balanceakt zwischen einer Konjunkturanregung und der Wahrung der Finanzstabilität.Auf den ersten Blick scheint alles glattzugehen: Die Zentralbank sorgt mit einer üppigen Liquiditätsversorgung dafür, dass der unter anderem mit der Erfüllung von regulatorischen Vorgaben einhergehende Spitzenbedarf keine wilden Ausschläge bei Tagesgeldsätzen hervorruft. So ist die Benchmark für Über-Nacht-Repogeschäfte etwa zuletzt auf ein Vierjahrestief gefallen. Hinter den Kulissen allerdings rumort es gewaltig, denn Chinas Finanzgemeinde beschäftigt sich mit den nun sichtbar gewordenen Risiken im System. Es geht um zweifelhafte Bonität und versteckte Kreditausfallrisiken im Lager der kleinen und regionalen Banken, die keinen direkten Zugang zu Zentralbankgeld haben und auf die Refinanzierung im Interbankenmarkt angewiesen sind. Für sich genommen ist jede Bank winzig, doch zusammen haben die Miniadressen, von denen es mehrere Tausend gibt, viel Gewicht.Auslöser ist der Ende Mai erfolgte staatliche Eingriff bei der Baoshang Bank, einem eher unbedeutenden Kreditinstitut in der Inneren Mongolei, das aufgrund “ernster Kreditrisiken” für ein Jahr unter Zwangsverwaltung der Finanzregulatoren gestellt worden ist. Die Einlagenkunden haben keinen Schaden erlitten, und mit einer Garantie für Ausstände und Interbankenverbindlichkeiten sind mit wenigen Ausnahmen alle Ansprüche an die Bank befriedigt worden. Es hat sich also praktisch niemand die Finger verbrannt, aber die erste Auffangaktion eines chinesischen Kreditinstituts seit mehr als zwei Jahrzehnten könnte Folgen haben.Während hinter Chinas Regionalbanken in der Regel Gebietskörperschaften als Eigner stehen, wurde Baoshang zu über 80 % vom windigen Investmentkonglomerat Tomorrow Group kontrolliert. Ein Großteil der ernsten Kreditrisiken dürfte im Zusammenhang mit Ausreichungen an diese Gruppe stehen. Baoshang ist einerseits also ein Sonderfall, andererseits aber mit Praktiken unterwegs, die auf zahlreiche chinesische Kleinbanken zutreffen. Dazu gehören der Rückgriff auf Schattenbankfinanzierungen und als ausstehende Investmenterträge getarnte Forderungen, hinter denen stark ausfallgefährdete Kredite stehen. Gleichzeitig gibt es eine hohe Konzentration auf einzelne Kreditnehmer, was Klumpenrisiken nach sich zieht.Einerseits ist das Eingreifen der Regulatoren bei Baoshang ein willkommener Schritt, um Risiken bei chinesischen Kleinbanken transparenter zu machen. Andererseits aber schafft der Eingriff neue Probleme, weil die geschärfte Wahrnehmung von latenten Bonitätsrisiken die Kleinbanken als Gegenpartei im Interbankenmarkt diskreditiert und ihre Refinanzierung erschwert. Damit setzt die Zentralbank den Sektor trotz der insgesamt großzügigen Geldversorgung unter Liquiditätsstress, der indirekt auch auf die Finanzierungskosten von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) abfärbt und damit realwirtschaftliche Impulse einer monetären Lockerung behindert. Die Regulatoren fordern die Großbanken nun dazu auf – Gegenparteirisiken hin oder her -, Kleinbanken wieder aktiver im Interbankenmarkt zu refinanzieren. Irgendwer muss ausmisten.Manche Beobachter werten die Unruhe im chinesischen Bankenmarkt gar als einen “Mini-Lehman-Moment”. Der Vergleich mit dem Zusammenbruch der US-Investmentbank Lehman Brothers und dem zeitweiligen Einfrieren des Interbankenmarkts als Kulminationspunkt der globalen Finanzkrise hinkt zwar gewaltig, aber mag dennoch einen Zweck erfüllen. Er schärft zumindest den Blick dafür, dass in den knapp 4 000 chinesischen und für sich genommen nicht systemrelevanten Kleininstituten Risiken schlummern, die Ansteckungsgefahren für das breitere Finanzsystem bergen – Kleinvieh macht Mist. Chinas Regulatoren haben mit dem Eingreifen bei Baoshang einen winzigen Anfang gemacht, um einen riesigen Stall zu säubern. Bislang ist offen, ob es sich dabei um ein Vertrauenssignal handelt – oder ob das Eingreifen der Beginn einer Vertrauenskrise ist. ——Von Norbert HellmannChinas Interbankenmarkt ist in Unruhe. Denn die Rettung einer Kleinbank zeigt Systemrisiken auf, die von winzigen Finanzadressen ausgehen.