Wertpapiere gehören an der Börse gehandelt

Ein bewährtes Modell wieder stärken, statt durch Überregulierung zu belasten

Wertpapiere gehören an der Börse gehandelt

Noch Mitte der achtziger Jahre herrschten einfache Regeln; wenn Anleger Aktien kaufen und verkaufen wollten, gab es dafür einen zentralen Platz – die Börse. Kundenaufträge mussten sogar über die Börse ausgeführt werden, es galt der gesetzlich vorgeschriebene Börsenzwang. Transparente und nachvollziehbare Preisfindung, staatliche Aufsicht zur Sicherstellung der Qualität und ein überschaubares und effizientes Regelwerk. Einfach war es, und gut war es.Selbstverständlich haben sich die Kapitalmärkte weiterentwickelt, und die Fortschritte in der Informations- und Kommunikationstechnologie haben den Wertpapierhandel in seinen Fundamenten verändert. Er findet – und das ist auch gut so – überwiegend elektronisch statt. Anders wäre die gigantische Anzahl von täglich abgeschlossenen Transaktionen auch nicht in kürzester Zeit kostengünstig und professionell auszuführen. Der Mensch spielt aber, und das ist wichtig, in Teilsegmenten weiter eine extrem wichtige Rolle. Dies gilt vor allem für weniger liquide Titel, wo ein Market Maker (Spezialist bei der Deutschen Börse) auf eigene Rechnung und Risiko den Ausgleich zwischen Verkaufs- und Kaufaufträgen vornimmt und damit im Interesse der Anleger marktregulierend eingreift.Veränderungen im Kapitalmarktgeschäft und im Handel wurden häufig auch durch gesetzliche Maßnahmen ausgelöst oder zumindest beschleunigt. Einige davon, auch wenn sie vielleicht gut gemeint waren, sorgten in den vergangenen Jahren im Ergebnis für eine starke Zersplitterung der Handelsliquidität auf diverse Plattformen und damit eine deutlich verringerte Transparenz. Beabsichtigt war vom Gesetzgeber die Schaffung von mehr Wettbewerb für die traditionellen Börsen, primär im Sinne des Anlegers und der gelisteten Unternehmen. Das erzielte Ergebnis ist enttäuschend. Für Unternehmen und Investoren ist es in der Zwischenzeit fast unmöglich, einen Überblick über die Handelsströme zu erhalten. Es sei denn, man macht sich die Mühe, die Handelsdaten aller rund 200 Handelsplattformen zu analysieren.Den Startschuss für diese unbefriedigende Entwicklung gab in Europa die Umsetzung der Mifid-II-Regelungen im Jahre 2004. Laut der Markets in Financial Instruments Directive (Mifid) durften Wertpapieraufträge demnach an jedem börslichen oder außerbörslichen Handelsplatz (ATS) ausgeführt werden. Dazu wurden die Regulierungsanforderungen für börsliche und außerbörsliche Plattformen angeglichen. Als Konkurrenten zu den klassischen regulierten Börsen entstanden sogenannte alternative Handelssysteme, die von den Regulierungsbehörden auch den Stempel “zugelassen” erhielten. Damit war der Fragmentierung des Handels Tür und Tor geöffnet. Im bisher praktisch unregulierten Bereich etablierten sich zusätzlich die derzeit heftig gescholtenen sogenannten Dark Pools, die von Investmentbanken organisiert sind und betrieben werden. Diese Handelssysteme haben sich bei einzelnen liquiden Titeln oftmals sehr hohe Marktanteile gesichert. Einige dieser Plattformen erfreuten die Marktteilnehmer mit niedrigeren beziehungsweise keinen Transaktionskosten und zu Beginn auch mit damals noch als innovativ zu bezeichnenden Handelsfazilitäten. Erstaunlicherweise gab und gibt es auch Betreiber, die ihren Handelspartnern Nutzungsprämien zahlten, statt die üblichen Nutzungsentgelte in Rechnung zu stellen. Gleichzeitig bieten sie bisher nur den eigenen Nutzern eine gewisse Transparenz zu den eigenen Umsätzen; nötig wären aber Angaben in konsolidierter Form. Kein Marktteilnehmer verfügt über die Möglichkeit, sich einen Gesamtüberblick zu verschaffen.Vom ersten Tag an gab es nach der Verabschiedung der Mifid-II-Regelungen massiven Wettbewerb um die Handelskunden. Die Führung bei der Kursqualität behielten in der Regel die klassischen Börsen. Es zeigte sich zugleich, dass bei Ausfällen der klassischen Börsen die außerbörslichen Plattformen nicht sofort zur stark genutzten Alternative wurden. Ganz im Gegenteil, in solchen Situationen brachen bei ihnen die Umsätze häufig fast vollständig weg. Trotz dieser Einschränkungen verloren die traditionellen regulierten Börsen Kunden, Marktanteile und Einnahmen.Damit Schluss mit dem Blick zurück. Mittlerweile dominieren beim Thema “Handel” Begriffe wie Dark Pools, Algo-Trading und speziell das Thema Hochfrequenzhandel. Gerade in den vergangenen Wochen bestimmten Meldungen zu laufenden Untersuchungen durch die Aufsicht und durch Staatsanwaltschaften zu den Handelsaktivitäten einiger Dark-Pool-Plattformen in den USA die Schlagzeilen der Wirtschaftszeitungen. Sogar der Boulevard interessiert sich dafür, seit der Börsenautor Michael Lewis sein mittlerweile berühmtes Buch “Flash Boys” auf den Markt brachte.Mittlerweile haben sich wohl einige Investmentbanken dazu entschlossen, regulatorischer Strenge durch das Schließen ihrer Dark-Pool-Plattformen zuvorzukommen. Gerade die Vermengung der Handelsaufträge traditionell vorgehender Marktteilnehmer mit den auf schnelle Transaktionen fokussierten High Frequency Tradern wirft häufig Fragen auf. Bei den Dark Pools plant die Europäische Kommission durch Mifid II die Begrenzung des Volumens, das in einzelnen Aktien über Dark Pools laufen soll. Die Frage wird sein, wie die Umsätze dieser Plattformen zeitnah und konsolidiert zur Verfügung gestellt werden.Für Marktteilnehmer wäre es ein enormer Zugewinn, wenn die Umsätze in jeder einzelnen gehandelten Wertpapiergattung auf den außerbörslichen Plattformen auf einen Blick zu sehen wären. Dies könnte durch sogenannte Consolidated Tapes erfolgen. Auch hier ist die Frage erlaubt, wer diese extrem wertvollen Informationen zur Verfügung stellt – sind das Börsen oder Informationsanbieter wie Bloomberg oder Thomson Reuters?Prinzipiell ist gegen schnellen Handel, auch wenn sich Schnelligkeit heute in Mikrosekunden abspielt, wenig einzuwenden. Den Wettbewerb um die höchste Geschwindigkeit gibt es bei den Marktteilnehmern schon seit ewigen Zeiten. Den berühmten Brieftauben, die wichtige Nachrichten an privilegierte Empfänger übermittelten, folgten per Telex-Verbindungen verbundene Banken und Makler. Heute sind es die Nutzer extrem schneller Datenleitungen. Im High Frequency Trading ist es aber sinnvoll, wenn Börsen vernünftige und praxisorientierte Regelungen mit den Handelspartnern vereinbaren, um schädliche Entwicklungen zu vermeiden.Der europäische Gesetzgeber hat einige dieser Probleme erkannt und will ihnen durch Mifid II mit weiteren Detail-Regelungen entgegentreten. Ohne zu sehr ins Detail zu gehen – ich bin der Überzeugung, dass der Handel prinzipiell wieder stärker an regulierte und beaufsichtigte Börsen gehen soll. Dies gilt vor allem für die Segmente, die bisher praktisch ohne Börse auskommen, den Derivate- und Anleihehandel.Unterstützt wird dieser Trend durch die Schaffung vermeintlich risikominimierender Clearing- und Settlement-Strukturen. Insbesondere die sogenannten zentralen Gegenparteien sind hier zu nennen. Es gibt aber inzwischen zahlreiche führende Marktteilnehmer, die vor einer weiteren Zersplitterung der Umsätze warnen. Diese Zersplitterung sorgt auch dafür, dass die Aussagekraft des ermittelten Preises immer mehr Bedeutung beziehungsweise Wert verliert.Auch wenn die Auswirkungen noch nicht klar zu erkennen sind, klar ist bereits jetzt, dass sämtliche Handelsplätze einer weiteren Überregulierung unterzogen werden. Vor allem den Verantwortlichen in der Politik reicht es leider nicht, dass die Börsenbetreiber in Deutschland über eigene und gut funktionierende Regelwerke verfügen. So stehen in den Börsenordnungen in Deutschland einfache und wirksame Regeln, die die in den USA in der Vergangenheit erlebten massiven Kurseinbrüche (vor allem der berüchtigte Flash Crash am 6. Oktober 2010) bei uns verhindern. Fünf Zeilen in einem von den Marktteilnehmern gelebten Regelwerk sind häufig mehr wert als gesetzliche Regulierungen über 1000 Seiten.Die Regierungen sollten bestehenden, etablierten und funktionierenden Marktregeln mehr Vertrauen schenken. Die ausufernde Regulierung, die häufig keinen Mehrwert liefert, ist für die Teilnehmer am Handel mit hohen Kosten verbunden. Diese werden höchstwahrscheinlich über kurz oder lang auf Investoren überwälzt, was zu einer Verteuerung des Handels und damit zulasten der Anlageperformance der Investoren bzw. der Finanzierungskosten von Unternehmen geht. Damit würde das Ziel effizienterer Märkte verfehlt werden. Wie im täglichen Leben ist auch im Wertpapierhandel weniger manchmal mehr. Das gilt speziell für Regulierungsthemen.——Nico Baader, Vorstandsmitglied, Baader Bank AG