Wider die Mythen des ETF-Marktes

Dynamisches Wachstum des Marktes provoziert Debatten über Risiken passiver Investments - Viele Vorwürfe halten Überprüfung nicht stand

Wider die Mythen des ETF-Marktes

Der Zustrom von Anlegergeldern in ETFs ist ungebrochen: In Europa werden mittlerweile 635 Mrd. Euro (Stand 12/2017) in europäischen ETF verwaltet, was eine Steigerung um 22 % gegenüber Ende 2016 bedeutet. Noch vor fünf Jahren waren es gerade einmal 253 Mrd. Euro gewesen. Soviel Erfolg zieht Kritik nach sich. Schließlich bedroht der Trend zum passiven Investieren das Geschäftsmodell der aktiv gemanagten Fonds, deren höhere Kosten sich nur durch ein Übertreffen der passiven Benchmark rechtfertigen lassen. So kommt es, dass immer häufiger Argumente vorgebracht werden, die eine schädliche Wirkung der ETFs auf die Stabilität des Finanzsystems postulieren. Einstellige MarktanteileGenerell ist es vor einer Diskussion dieser Argumente wichtig, mit einem Blick auf die Größenordnungen die Bedeutung des passiven Investments zu relativieren. Trotz des immensen Wachstums der letzten Jahre liegt der Anteil der ETFs in allen relevanten Märkten immer noch im einstelligen Bereich. So betrug nach unseren Daten von Ende August 2017 der Marktanteil der in den USA und Europa gelisteten ETFs am Volumen des europäischen Aktienmarktes 4,4 %. Bezogen auf den US-amerikanischen Aktienmarkt liegt der ETF-Anteil bei 7,6 %. Nach einer Studie von Vikas Agarwal und anderen (2017) für die Lyxor ETF Research Academy wuchs der Anteil der ETFs an den US-amerikanischen Indizes S & P 500, Russell 1000 und Russell 2000 seit dem Jahr 2000 um durchschnittlich 0,4 % pro Jahr.Noch kleiner ist der Fußabdruck der ETF-Industrie, wenn man auf den Handel blickt. Verglichen mit dem Volumen der täglich gehandelten Aktien aus dem Euro Stoxx 50 beträgt der Anteil der täglich gehandelten ETFs auf den Euro Stoxx 50 gerade einmal 2 %. Diese Größenverhältnisse sollte man immer im Hinterkopf behalten, wenn man den Einfluss von ETFs auf die Preisfindung von Aktien und Anleihen diskutiert. Das Gewicht einzelner Unternehmen in einem Index wird jedenfalls heute noch stärker von diskretionären Kaufentscheidungen bestimmt als von der passiven Nachbildung im ETF. Natürlich kann der Hinweis auf die relative Größe des ETF-Marktes nicht alle Bedenken widerlegen, gerade wenn von weiterem Marktwachstum ausgegangen wird. Vor diesem Hintergrund ist eine detaillierte Analyse des Einflusses des ETF-Marktes auf die Volatilität, Liquidität und Effizienz des Gesamtmarktes vonnöten. Dies möchte Lyxor speziell mit der Lyxor ETF Research Academy unterstützen.Die Volatilität der Preise einzelner Vermögenswerte im Index war Gegenstand der Studie von Agapova und Volkov (2016). Sie untersuchten dafür den ETF-Markt für amerikanische Unternehmensanleihen; ihre Ergebnisse stehen in deutlichem Kontrast zu gängigen Annahmen. Sie fanden heraus, dass die Volatilität der Rendite von Anleihen, die in ETFs gehalten wurden, um 302 Basispunkte niedriger war als bei solchen, die nicht Bestandteil eines ETF waren. Zur gleichen Zeit lagen die Renditen von Anleihen in ETF-Portfolios um 13,9 Basispunkte unter denen von Anleihen, die nicht Bestandteil von ETF-Portfolios waren. Unternehmensanleihen, die von ETFs gehalten werden, weisen also eine geringere, nicht höhere Preisvolatilität auf, während die Preise der Anleihen durch die Tatsache, dass sie von ETFs gehalten werden, steigen.Es liegt also nahe, dass ETFs generell die Preisfindung im Anleihenmarkt verbessern. Titel in ETF-Portfolios profitieren von der zusätzlichen Liquidität und Transparenz durch den ETF, die Preisbildung wird damit effizienter, und die Volatilität dieser Anleihen wird reduziert. Dies kann im Ergebnis sogar dazu führen, dass die durchschnittlichen Renditen von Anleihen, die von ETFs gehalten werden, zum Teil geringer sind. Keine DestabilisierungAuch eine Studie aus dem Aktienuniversum widerlegt – mit einem völlig anderen Ansatz – die Hypothese, dass ETFs die Basiswerte destabilisieren könnten. Jinming Xue und Russ Wermers von der University of Maryland haben für die Lyxor ETF Research Academy den Intraday-Handel in den USA über 82 Tage untersucht und sich dabei die Beziehung zwischen ETF und S & P 500 in unterschiedlichen Zeitfenstern – von 50 Sekunden bis zu 20 Minuten – angeschaut. Das Ergebnis: Marktteilnehmer, die wegen ihres eingeschränkten Zugangs zu relevanten Marktinformationen eher zu Panikreaktionen neigen, erhöhen zwar über den ETF-Handel die Volatilität im S & P 500. Allerdings, nur kurzfristig, für 50 Sekunden. Informierte Händler wiederum haben einen längerfristigen Einfluss auf die Volatilität und tragen zur Preisfindung und zur Markteffizienz im Basiswert bei.Neben Transparenz und geringen Kosten zählt die Liquidität zu den Kernleistungsversprechen von ETFs. Denn Investoren und Handelsteilnehmer profitieren von liquiden Märkten, indem sie Wertpapiere jederzeit, schnell und zu geringen Kosten handeln können. Insofern ist Liquidität eines der zentralen Kriterien, um die Marktqualität im Wertpapierhandel beurteilen zu können. Ein weiterer Mythos, der sich in diesem Zusammenhang hartnäckig hält, ist die Verknappung von Liquidität in den Basiswerten. Die Vermutung ist, dass ETFs eine Verpackung darstellen, die liquider ist als die zugrunde liegenden Vermögenswerte selbst. Überproportionale Verkäufe von ETFs würden so zu einem Problem für die einzelnen Titel im Index werden. Liquidität im FokusUm die Liquiditätsströme von ETFs zu begreifen, ist das Verständnis des “Creation-Redemption-Prozesses” erforderlich. Aufgabe dieses Prozesses ist es, ausreichend Liquidität bereitzustellen, sollten An- bzw. Verkaufsaufträge die Liquidität im Sekundärmarkt übersteigen. In diesem Falle werden neue ETF-Anteile kreiert bzw. bestehende Anteile von der Fondsgesellschaft zurückgenommen – analog zum Prozedere bei aktiven Fonds. Hierzu kann sich ein Marketmaker an den Kapitalmärkten zunächst mit den zugrunde liegenden Papieren des entsprechenden ETF eindecken, um sie dann im Tausch für neue ETF-Anteile an den ETF-Anbieter weiterzugeben; alternativ kann er auch gegen Cash anstelle der Lieferung der im Index enthaltenen Aktien ETF-Anteile erhalten. Diesem Entstehungsprozess (Creation) steht der Rücknahmeprozess (Redemption) gegenüber. Hierbei gibt der Marketmaker ETF-Anteile an den Emittenten zurück und erhält dafür wiederum den Gegenwert in Cash oder die entsprechenden im ETF enthaltenen Wertpapiere.Hier wird der Grundstein für die Liquidität und damit auch die Qualität eines ETF gelegt. “Der ETF-Anbieter ist bei diesem Prozess kein passiver Beobachter, sondern hat hier vielmehr eine Schlüsselrolle. Indem er möglichst viele Marketmaker motiviert, einen ETF mit Liquidität zu versorgen, verbessert er bereits beim Creation-Redemption-Prozess die Handelsqualität”, schreiben Anna Calamia, Cambridge, Laurent Deville, Ass. Professor an der EDHEC Business School, und Fabrice Riva, Professor an der Université Lille, in einer anderen Studie für die ETF Research Academy (2016). Die Wissenschaftler kommen nach der Analyse von europäischen Aktien-ETFs von 2000 bis 2012 zu folgendem Ergebnis: Die Liquidität des zugrunde liegenden Wertpapierkorbs in einem ETF beeinflusst zwar – wie erwartet – die Liquidität des ETF, allerdings ist sie nicht der einzige Einflussfaktor. Neben der Größe des ETF, den Kosten der Marketmaker für das eigene Funding sowie der Verfügbarkeit von Hedginginstrumenten, mit denen sich der Marketmaker absichert, spielen auch die Handelsaktivitäten im ETF und die Volatilität im Index eine Rolle. Das Zusammenspiel dieser Größen bestimmt die Liquidität und erklärt auch, warum sich selbst ETFs auf ein und denselben Index in puncto Liquidität und damit auch in der Handelsqualität unterscheiden.Gerne werden von Kritikern einzelne Ereignisse an amerikanischen Börsen angeführt, um eine Verstärkung von Drawdowns durch ETFs zu behaupten. Zuletzt am 24. August 2015, als einige ETFs im frühen Handel tatsächlich deutlich stärker verloren als die ihnen zugrunde liegenden Basiswerte. Neben den grundsätzlichen Überlegungen aus der hier beschriebenen wissenschaftlichen Literatur ist hier darauf zu verweisen, dass in Europa völlig andere Marktverhältnisse herrschen und allein deshalb analoge Entwicklungen in Europa unwahrscheinlich sind. Emittenten müssen an europäischen Börsen den Wert des Fonds sowohl täglich (NAV) als auch untertägig (iNAV) berechnen und veröffentlichen. Börsen wie die Euronext haben Maßnahmen ergriffen, die verhindern, dass sich der Handel zu weit vom fairen Wert entfernt. So wird der Handel des ETF ausgesetzt, wenn die Differenz zwischen dem ETF-Preis und seinem Fair Value über bestimmte Schwellenwerte hinausgeht, die von 0,10 % für Geldmarktfonds bis zu 3 % für weniger liquide Basiswerte reichen. Einige Anbieter fügen spezifische Risikoregeln hinzu, die sogar noch weiter gehen. Lyxor, zum Beispiel, achtet darauf, dass keiner seiner ETFs mehr als 2 % des Free Market Float der zugrunde liegenden Werte ausmacht. Und das Volumen der gehandelten Aktien darf nicht mehr als 30 % des durchschnittlichen täglichen Handelsvolumens der Underlyings betragen. Versachlichung der DebatteInsgesamt halten wir die Mythen, die sich um das passive Investieren gebildet haben, für hauptsächlich theoretischer Natur. Mit der Gründung der Lyxor ETF Research Academy vor drei Jahren versuchen wir, die wissenschaftliche Debatte um die systemischen Risiken des ETF-Marktes mit neuen Erkenntnissen anzureichern. Was man darüber aber nicht vergessen sollte, ist der praktische Beitrag, den ETFs für die Demokratisierung der Geldanlage leisten. Sie eröffnen dank ihrer Kosten- und Transparenzvorteile breiten Schichten den Zugang zum Kapitalmarkt. Dass die Vermögenslücke zwischen denen, die traditionell sparen, und denen, die an den Kapitalmärkten investieren, immer weiter auseinanderklafft, scheint das größere systemische Risiko zu sein als die Markteffizienz von ETFs.—Heike Fürpaß-Peter, Head of Public Distribution Deutschland und Österreich, Lyxor ETF