GASTBEITRAG

Wie Banken ihre Erträge im Retailgeschäft steigern können

Börsen-Zeitung, 1.8.2020 Viele Vorstände berichten zu Recht mit Stolz, wie gut ihre Häuser bisher durch die Krise gekommen sind: Erzwungener Pragmatismus führte zu hoher Entschlossenheit, Geschwindigkeit und Motivation. Diesen Schwung gilt es nun...

Wie Banken ihre Erträge im Retailgeschäft steigern können

Viele Vorstände berichten zu Recht mit Stolz, wie gut ihre Häuser bisher durch die Krise gekommen sind: Erzwungener Pragmatismus führte zu hoher Entschlossenheit, Geschwindigkeit und Motivation. Diesen Schwung gilt es nun auch vertrieblich und auf allen Kanälen mitzunehmen, um so weitere Veränderungen und Verbesserungen zu erreichen, die früher als nicht machbar eingeschätzt wurden.Denn trotz umfangreicher Bemühungen der Politik wird die Pandemie über das laufende Jahr hinaus zu erheblichen wirtschaftlichen Verwerfungen führen. Auch Banken und Sparkassen stehen vor massiven Ertragseinbußen.Natürlich liegt dabei ein Fokus auf den zahlreichen coronabedingten Kreditanträgen im Firmenkundengeschäft und auf im Einzelfall drohenden Insolvenzen. Jedoch lohnt sich auch ein neuer Blick auf das Privatkundengeschäft. Die Umbrüche in der aktuellen Krise bieten hier neue Ertragschancen und Betreuungsansätze. Kunden richten sich neu aus Verbraucher beschäftigen sich in der aktuellen Situation mehr denn je mit ihren Finanzen – allerdings haben sich die Schwerpunkte verschoben. Bisher Wichtiges rückt in den Hintergrund, wie die Rentenlücke, “Wünsche erfüllen” oder ein Kontowechsel. Dafür treten neue Aspekte in den Vordergrund, so zum Beispiel die finanzielle Liquidität, das Wertpapierdepot oder auch Absicherungsfragen. Viele Kunden betreten dabei für sie bislang unbekanntes Terrain.Manche klassischen Privatkunden-Produkte haben viele Banken und Sparkassen seit der Finanzmarktkrise vertrieblich aus den Augen verloren und dabei Wachstumsfelder verpasst. Das bestätigen sowohl die Zahlen der Bundesbank als auch unsere Tiefenanalysen bei verschiedenen Instituten. Beispiele hierfür sind der Dispositionskredit und Kreditkarten. Zusammen bieten sie bei entsprechender Nutzung weit mehr Ertrag als das monatliche Kontoentgelt. Die Rückgänge beim Dispositionskredit sind nicht nur marktbedingt, sondern vielfach hausgemacht. Insbesondere Kunden mit mittleren Bonitäten und mittleren Einkommen wurde dieser in den letzten zehn Jahren viel zu selten aktiv angeboten. Dabei nutzen gerade diese Kunden ihre Kreditlinie gut aus. Kräftige, unmittelbare Steigerungen sind hier möglich. Bei den Kreditkarten zeigt sich oft ein sehr ähnliches Bild. Das neue Push-ProduktDer Privatkredit wird vom Pull- zum neuen Push-Produkt. Je verunsicherter die Kunden, desto größer ist der Bedarf für eine breite Ansprache und vertrauensstiftende Beratung. Dabei bekommt die Restkreditversicherung auch aus Konsumentensicht einen erhöhten Stellenwert. Es wäre nicht nachvollziehbar, wenn Banken und Sparkassen gerade hier den spezialisierten Wettbewerb einen Fuß in die Tür ihrer Kunden setzen lassen.Eine kurzfristige taktische Neuausrichtung benötigt die Geldvermögensbildung. Ganz neue Kundentypen wagen den Einstieg in Wertpapiere, befeuert von Boulevardzeitungen. Für andere hingegen passt erstmalig eine Absicherung in Form von Renten. Für ein Anlagegespräch erreicht man viele Kunden dank Homeoffice und verminderter Freizeitaktivitäten derzeit telefonisch besser als je zuvor. Einzelne Banken berichten von derzeitigen Depoteröffnungen in Rekordhöhe.Um aus den aktuellen Chancen auch Erträge zu generieren, ist ein schnelles, konzertiertes Vorgehen erfolgskritisch. Für die erforderliche Schlagkraft benötigen Banken und Sparkassen daher einen Aktionsplan, der im Fokus von Vorstand und Führungskräften aus Vertrieb und Vertriebsmanagement steht. Dieser sollte eine einfache, aber aussagekräftige Datenanalyse für alle wesentlichen Produktfelder einschließen. So zeigen sich sehr klar Kunden-Cluster mit konkreten Ansatzpunkten für den Produktvertrieb. Für diese lassen sich weit zielgenauer als in typischen Vertriebskampagnen Maßnahmen aufsetzen und Kunden aussichtsreich ansprechen. Maßnahmen prüfenIm Rahmen eines verbindlichen Aktivitäten- und Ertragscontrollings sind Durchführung sowie Wirkung der Maßnahmen zu überprüfen. Vor allem soll der Erfolg auch in der Zeit nach Corona fortdauern. Hierfür gilt es, die gewonnenen Erkenntnisse in der Organisationsstruktur zu verankern. Bereits bei der Erarbeitung des Aktionsplans können so Weichen für ein zukunftsorientiertes Vertriebsmanagement gestellt werden. Hier verantworten Produktmanager ihr gesamtes Themenfeld unabhängig von Kundensegmenten und entwickeln regelmäßig Maßnahmen zur Optimierung der Erträge. Somit bildet der kurzfristige Aktionsplan den Startpunkt, um über die aktuelle Krise hinaus langfristig erfolgreicher zu sein.Und vielleicht sind die Erschütterungen durch Corona ein Anstoß für einen deutlich veränderten Blick auf die Kundenbetreuung. Natürlich ist es weiterhin richtig, seine potenzialstärksten Kunden intensiver zu betreuen. Selbstverständlich erkennt man diese Kunden in der Regel an ihrem Einkommen und ihrem Vermögen. Deren Bedarfe ganzheitlich zu erfragen, bleibt sinnvoll. Jedoch ist der darauf aufsetzende Betreuungsansatz der allermeisten Kreditinstitute viel zu starr und tradiert. Er hält mit den Kundenerwartungen an einen modernen Dienstleister nicht mehr Schritt. Denn inzwischen prägt das Kundenerlebnis in der digitalen Dienstleistungswelt die Erwartungen an die eigene Bank. Es setzt den Maßstab für Erreichbarkeit, Transparenz und situative Hilfestellung. In Zeiten von Corona haben viel mehr Kunden einen neuen Zugang zu solchen Services gewonnen. Anlassbezogene ExpertenWarum legt eigentlich der Anbieter – hier also die Hausbank – fest, wer die Kunden betreut, wo sich doch der Kunde anlassbezogen Experten nach seinen Präferenzen wählen könnte? Warum richtet sich die Betreuung praktisch ausschließlich nach der Gretchenfrage, ob jemand eine gewisse Sparfähigkeit für Vorsorge und Absicherung mitbringt, wo doch jeder Durchschnittsverdiener spontan Finanzprodukte benötigen kann? Genau deshalb wurden Chancen bei attraktiven Produkten wie Dispo, Kreditkarte und Privatkredit verpasst. Offener werdenBanken und Sparkassen sollten sich bereits jetzt darauf einstellen, dass Kanalnutzung und Kundenzuordnung deutlich offener werden. Wer heute einen Termin in einem Apple-Store ausmacht, hat genau dieses Erlebnis: mit seinem konkreten, vielleicht auch kleinen Bedürfnis im Mittelpunkt zu stehen. Den Kunden geht es um Produkte und Problemlösungen, die Experten werden vom Hersteller bestmöglich zugeordnet. Das schafft Zufriedenheit und erzeugt nebenbei bemerkt Cross-Selling-Erfolge, von denen Finanzinstitute bis heute nur träumen.Für aktiven Vertrieb sollten Banken daher von sich aus weit flexibler auf ihre Kunden zugehen. Hier gibt Corona die Stoßrichtung vor: stärkere Produktorientierung und anlassbezogene Kundenansprache. Viele Kunden haben sich in den letzten Monaten für einen wesentlich spontaneren, medialen Austausch geöffnet – Banken und Sparkassen sollten dringend nachziehen. Markus Berg, Gründer und Partner, Berg Lund & Company