Wie Carsten Kengeter die Deutsche Börse umkrempelt
Von Christopher Kalbhenn, FrankfurtSeit Jahren waren die Mitarbeiter in der Konzernzentrale der Deutschen Börse in Eschborn bei Frankfurt daran gewöhnt, dass das Unternehmen in eine Art Dornröschenschlaf versank, sobald sich die Führungsmannschaft unter dem Vorstandsvorsitzenden Reto Francioni in den Sommerurlaub zurückzog. Doch in diesem Jahr ist aus der sommerlichen Ruhe nichts geworden. Denn der seit rund vier Monaten amtierende neue Vorstandsvorsitzende Carsten Kengeter hat damit begonnen, das zuletzt ein wenig träge gewordene Unternehmen entschlossen und energisch umzukrempeln. Wie aus dem Haus zu hören ist, haben sich nicht wenige Mitarbeiter in diesem Jahr für einen kürzeren Sommerurlaub als sonst entschieden, weil sich so vieles in so kurzer Zeit gründlich verändert. Ehrgeizige ZieleKengeters Äußerungen und Maßnahmen lassen an seinen ehrgeizigen Zielen keinen Zweifel. So zuletzt, als seine Visionen für die Deutsche Börse in einer Investorenpräsentation vorgestellt wurden. Das Unternehmen soll der global aufgestellte Marktinfrastrukturbetreiber der Wahl und ein stark wachsender Innovationsführer werden, der international die besten Talente anzieht. In allen Geschäftsbereichen, in denen sie aktiv ist, soll die Deutsche Börse künftig die Nummer 1 oder 2 sein. Kengeter hat seine Visionen auch mit konkreten Zahlen unterfüttert. Bis zum Jahr 2018 soll der Umsatz um jährlich 5 bis 10 % auf 2,8 bis 3,2 Mrd. Euro steigen, wobei die Akquisitionen dieses Jahres eingerechnet sind, während das von Francioni für das Jahr 2017 ausgegebene Ziel bei 2,3 bis 2,7 Mrd. Euro lag. Das Ergebnis soll um 10 bis 15 % jährlich und damit auf 1,55 bis 1,75 Mrd. Euro klettern.Mit der abwartenden Haltung, die sich Kengeters Vorgänger, Reto Francioni, nach dem Scheitern der geplanten Fusion mit der Nyse Euronext zu eigen gemacht hatte, ist es definitiv vorbei. So beschränkt sich der ehemalige Investmentbanker nicht auf kleinere bis moderat große Akquisitionen, sondern ist auch für größere Übernahmen offen. Aus dem Unternehmen ist zu hören, dass der 48-Jährige tatsächlich auch aktiv potenzielle größere Übernahmeobjekte prüft.Mit einer Fülle von Veränderungen soll das Unternehmen auf die Überholspur zurückgebracht werden. Anders als sein Vorgänger legt Kengeter den Schwerpunkt nicht weitgehend auf aus dem Umfeld kommende Impulse wie den Asien-Boom oder regulatorische Veränderungen. Vielmehr setzt er auf von ihm in dem Unternehmen selbst ausgemachte schlummernde Potenziale. Schneller, schlanker, effizienter, innovativer, kundenfreundlicher etc. soll das Unternehmen werden. Vielsagend ist der Name, den der ehemalige Investmentbanker seinem Fitnessprogramm gegeben hat: “Accelerate”. Im Rahmen dieses Programms soll der Deutschen Börse eine kundenfokussierte, innovative und auf Hochleistung eingestellte Organisation und Kultur verpasst werden, wie in jener Präsentation erklärt wurde. Unternehmergeist soll gefördert, Leistungsmessung sowie ein Anreizsystem implementiert und die Ergebnisverantwortung der einzelnen Konzernsparten verstärkt werden. Erste BeschleunigungseffekteHinzu kommt ein “Constant Improvement Program”. Im Unternehmen gebe es eine Reihe von Prozessen, die sich mit der heutigen Technik und modernen Managementmethoden deutlich verbessern ließen, wurde den Mitarbeitern mitgeteilt. Auch würden an Schnittstellen Effizienzgewinne identifiziert und realisiert werden. “Die dadurch gewonnenen Mittel sollen überwiegend im Unternehmen eingesetzt werden, um Wachstumsprojekte zu beschleunigen.”Aus dem Haus ist zu hören, dass Kengeter Ziele mit großer Entschlossenheit und Durchsetzungswillen angeht. Dabei ist er niemals aufbrausend, sondern bleibt stets ruhig, aber energisch. Darüber hinaus redet er nie um den heißen Brei herum, sondern stets Klartext. Erste Beschleunigungseffekte sind bereits eingetreten. Kengeter reagierte auf Klagen aus der Finanzbranche, dass die Anbindung an die Systeme der Deutschen Börse mehrere Monate dauere. Er hat das umgehend abstellen lassen, so dass die Dauer nun bei wenigen Wochen liegt.Zur Durchsetzung des Wandels setzt Kengeter auch in der Organisation an. So sollen die Hierarchieebenen reduziert werden. Ferner hat er mit dem “Group Management Committee” ein neues Führungsgremium installiert, das sich neben den Vorstandsmitgliedern aus wechselnden Managern der zweiten Reihe zusammensetzt. Zu den Aufgaben des Gremiums zählen u.a. “die ergänzende und in die Tiefe gehende Vorbereitung von Entscheidungsvorlagen für den Konzernvorstand”, das “jederzeitige Sicherstellen von notwendigen Informationsflüssen” und das “Vorantreiben von Veränderungsprozessen”. Neue Manager und FunktionenDass Kengeter Strukturen aufbrechen will, die ein wenig festgefahren sind, zeigt auch die Einstellung externer Spitzenmanager, eines Head of Sales, eines Head of Product Development und demnächst noch eines Head of Innovation sowie eines Head of Operations, die keinem Ressort zugeordnet sind, sondern direkt an den Vorstandsvorsitzenden berichten. Sie werden auf Dauer wohl kaum im luftleeren Raum operieren, sondern es muss ihnen Personal zugeordnet werden. “Wir erwarten täglich das neue Organigramm”, so ein Mitarbeiter. Derweil kursiert in Eschborn das Gerücht, dass fünf Externe als Client Relations Manager eingestellt werden sollen, die sich speziell und ganzheitlich um die größten Kunden der Deutschen Börse wie etwa die Deutsche Bank kümmern sollen. Nicht mehr SpitzenreiterDer frische Wind wird der Deutschen Börse wahrscheinlich sehr gut bekommen. Aus dem Haus ist zu hören, dass nicht wenige Mitarbeiter sich darüber freuen, dass Bewegung in das Unternehmen kommt, auch wenn bei Teilen der Belegschaft derzeit wegen des Stellenabbaus und noch fehlender Details über die Pläne des neuen Vorstandsvorsitzenden eine gewisse Verunsicherung besteht. Bewegung und Veränderung sind aber in jedem Fall notwendig. Denn die Deutsche Börse muss schlagkräftig sein, um sich im Wettbewerb zu behaupten. Wie zu hören ist, gab es eine Management-Veranstaltung, in der Kunden unterschiedlicher Segmente des Finanzmarkts berichteten, wie sie die Deutsche Börse wahrnehmen. Ein Ergebnis: Sie wird im Markt nicht mehr als der mit Abstand führende Technologiespitzenreiter der Börsenbranche wahrgenommen. Dass Kengeter das reparieren will, darf wohl angenommen werden.