Im GesprächRosa Armesto und Rainer Riess

„Wir brauchen differenzierte Preise für Daten“

Die Geschäftsführerin und der Chefberater von Europas Börsenverband Fese über das Geschäft mit Marktdaten und Lehren aus Schweden.

„Wir brauchen differenzierte Preise für Daten“

Im Gespräch: Rosa Armesto und Rainer Riess

„Wir brauchen differenzierte Preise“

Die Geschäftsführerin und der Chefberater von Europas Börsenverband über Marktdaten und Lehren aus Schweden

Von Detlef Fechtner, Brüssel

Europas Börsen befinden sich aktuell in intensiven Diskussionen mit der EU-Wertpapieraufsichtsbehörde ESMA über die Rahmenbedingungen für das Geschäft mit Marktdaten, das für viele Handelsplatzbetreiber an Bedeutung gewonnen hat. „Die ESMA macht sehr detaillierte Vorgaben“, berichtet Rosa Armesto, die Geschäftsführerin des Verbands der Europäischen Wertpapierbörsen (Fese), im Gespräch mit der Börsen-Zeitung.

Das gelte insbesondere für die Frage, was Börsen für die Zuverfügungstellung von Daten in Rechnung stellen dürfen. „ESMA pocht auf schlichte Preismodelle, aber die werden oft nicht der Komplexität des Geschäfts gerecht“, sagt Armesto. Denn auch wenn die Kosten für die Produktion der Daten oft gleich seien, würden diese Daten doch sehr unterschiedlich genutzt – von kleinen Brokern einerseits und großen Investmenthäusern andererseits. Die Fese-Geschäftsführerin fordert deshalb: „Wir brauchen daher differenzierte Preise für Daten.“

Die EU-Marktverordnung Mifir verlange Preise „auf vernünftiger kommerzieller Grundlage“. Das sei davon abhängig, wozu die Kunden die Daten nutzten. „Für zusätzliche Anwendungen müssen sie auch andere Preise zahlen“, meint Armesto. Und es hänge davon ab, wie Daten künftig in den einheitlichen Datenticker, das Consolidated Tape, eingespeist werden.

Design des Consolidated Tape

Rat und EU-Parlament haben die Überprüfung von Mifir jüngst abgeschlossen und sich auf das sogenannte Consolidated Tape verständigt. Aber wie das Tape genau ausgestaltet werden soll, das kläre sich nun erst, wenn die EU-Wertpapieraufsicht ESMA die technischen Details definiere, erläutert Armesto. Ihr Vorgänger als Fese-Geschäftsführer, der jetzige Chefberater des Verbands, Rainer Riess, unterstreicht die Bedeutung dieser Klärung: „Es kommt viel auf das Design des Consolidated Tapes an – inwieweit es bestimmte Anwendungen ermöglicht, etwa bei der Verifizierung der Ausführung von Transaktionen.“

Entscheidend werde sein, dass der einheitliche Datenticker tatsächlich den Bedarf der Kunden decke. „Das ist längst noch nicht sicher“, merkt Riess an. Denn Investmentbanken würden die Daten des Consolidated Tape möglicherweise gar nicht kaufen, wenn sie keinen Mehrwert gegenüber den Datensätzen böten, auf die sie ohnehin Zugriff haben, gibt Riess, den viele am Finanzplatz noch aus seiner Zeit bei der Deutschen Börse kennen, zu bedenken.

Der Auswahlprozess für das Consolidated Tape kommt unterdessen voran. Vor wenigen Tagen war die Auftaktsitzung der Gruppe der Datenexperten, die nun die Details vorschlagen sollen, etwa die Kalkulation von Preisen und Rabatten. Gleichzeitig beginnt das Tenderverfahren für den Anbieter des einheitlichen Datentickers – für Anleihen dieses Jahr, für Aktien nächstes Jahr. Bei der Auswahl werde auf sehr viele Aspekte geachtet werden, von Technologie über Governance bis Nachhaltigkeit, erklärt Armesto.

Dringender Bedarf an Kapital

Beim größeren Blick auf die Probleme, vor denen Börsen, Emittenten und Investoren in der EU stehen, steht für Armesto der Bedarf an Kapital im Zentrum: „Europa braucht dringend mehr Kapital“, betont die Spanierin. An der Frage, ob es gelingen werde, mehr privates Kapital zu mobilisieren, hänge Europas Wettbewerbsfähigkeit. Eine wichtige Rolle spielten dabei nicht nur institutionelle Investoren, sondern auch private Anleger, sagt Armesto. „Wir müssen es schaffen, einen größeren Teil des Kapitals, das auf Sparkonten ruht, an die Finanzmärkte zu leiten.“

Armesto und Riess verweisen auf das Vorbild Schwedens: Skandinavien gelinge es sehr gut, private Anleger für den Kapitalmarkt zu gewinnen. Nun gehe es darum, die Erfahrungen aus Skandinavien in andere EU-Länder zu übertragen. „Das Erfolgsrezept lautet: Simplizität und Steuerbegünstigungen“, sagt Riess. Schweden zeige, wie es geht. „Die Schweden haben ein Investitionssparkonto, das ISK – so wie die Amerikaner das 401k haben. Und es gibt in Schweden Börsengänge lokaler Unternehmen.“

Skeptischer Blick auf Kapitalmarktunion

Angesprochen auf ihre Erwartungen für Fortschritte bei der seit Jahren geforderten Kapitalmarktunion, äußern sich Riess und Armesto zurückhaltend. In der nun begonnenen Legislaturperiode von EU-Parlament und EU-Kommission scheine die Bereitschaft der nationalen Regierungen überschaubar, Kompetenzen nach Brüssel abzugeben. „Der Integrationswille ist begrenzt“, beobachtet Riess.

Viele sprächen derzeit zwar über die Kapitalmarktunion. „Aber ich erwarte wenig echte Fortschritte“, dämpft der Fese-Chefberater zu große Hoffnungen. Dabei bestehe breites Einvernehmen darüber, dass Europa mehr Kapital brauche, um die Realwirtschaft und deren Transformation zu finanzieren.

Keine regulatorische Arbitrage

In Bezug auf ein zentrales Element, das gegenwärtig in der Debatte über die Kapitalmarktunion hitzig diskutiert wird, nämlich der Frage, ob die ESMA mehr Kompetenzen erhalten sollte, nimmt Europas Börsenverband eine neutrale Haltung ein. „Ob sich nationale Aufseher drum kümmern oder die ESMA: Entscheidend ist, dass wir in der gesamten EU die identische Umsetzung der EU-Vorgaben erleben“, sagt Armesto. Alle Marktteilnehmer müssten gleichbehandelt werden. Es dürfe keine regulatorische Arbitrage geben.

Grundsätzlich wünscht sich Riess, dass die europäische Regulierung „nicht den entscheidenden Punkt aus dem Blick verliert.“ Europa brauche tiefe und transparente Liquiditätspools. Aber die Wirklichkeit sehe anders aus: Es gebe mehr als 400 Ausführungsplätze. „Der Zugang zu Liquidität in der EU ist nach wie vor hochkomplex und kostspielig“, beklagt Riess und fügt an: „Die Fragmentierung schadet unserer Wettbewerbsfähigkeit.“

Linde, Total, Ferrovial

Europäische Unternehmen fänden in der EU bislang oft nicht die Finanzierungsbedingungen und den Kapitalmarkt vor, den sie sich wünschten. Deshalb verließen einige Firmen Europa Richtung USA. Das gelte nicht nur für junge Unternehmen, die sich in der Scale-up-Phase befänden, sondern auch für traditionsreiche Konzerne wie Linde, Total Energies oder den spanischen Baukonzern Ferrovial.

Ob es vor diesem Hintergrund hilfreich wäre, wenn sich Börsen zusammenschlössen? Riess erinnert daran, dass es in den vergangenen Jahren bereits viele Schritte der Konsolidierung gegeben habe. So habe etwa Euronext zur Konsolidierung der Börsen beigetragen. „Um die Konsolidierung weiter voranzutreiben“, betont Riess, „ist es entscheidend, dass regulatorische Unterschiede innerhalb der EU verschwinden.“ An der technologischen Infrastruktur indes liege es nicht, die sei vorhanden.

Nicht alle Datenangebote der Börsen sind gleich, hebt der Verband der Europäischen Wertpapierbörsen (Fese) hervor. Daher sollten verschiedene Preise möglich sein, sagen Geschäftsführerin Rosa Armesto und Chefberater Rainer Riess. Beide Branchenvertreter fordern einheitliche EU-Regeln, blicken aber mit gedämpften Optimismus auf das Projekt der Kapitalmarktunion.

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