"Wir drücken keine Produkte durch"
Die britische Atom Bank will als digitales Institut die Kreditwirtschaft aufmischen. Eine Banklizenz hat das Start-up erhalten. Bislang ist allerdings unklar, was der neue Anbieter leisten kann.Von Andreas Hippin, LondonDie hierzulande weitgehend unbekannte Atom Bank hat in den britischen Medien ein enormes Echo gefunden: Das Start-up könne für die britische Finanzdienstleistungsbranche werden, was Uber für das Taxigewerbe ist – die Erwartungen sind enorm. “Ich bewundere Uber, weil sie die konventionelle Art und Weise, Taxidienste zu nutzen, weltweit verändert haben”, sagt Mark Mullen, einer der Gründer, im Gespräch mit der Börsen-Zeitung. “Uber hat sich den Ruhm verdient. Wir müssen das erst noch tun.”Mullen und Anthony Thomson verfügen seit Juni über eine Banklizenz der Bank of England. Mullen führte zuvor die zu HSBC gehörende Direktbank First Direct. Thomson brachte Metro Bank mit an den Start. Zu den Investoren gehören bekannte Namen wie der frühere Goldman-Sachs-Chefvolkswirt Jim O’Neill und der britische Star-Fondsmanager Neil Woodford. Daneben beteiligten sich Hedgefonds wie Marathon Asset Management, Polar Capital und Toscafund an Finanzierungsrunden. Im Board finden sich gut vernetzte Persönlichkeiten wie Laurel Powers-Freeling, eine ehemalige Chefin der Finanzdienstleistungssparte von Marks & Spencer.Die Gründer sehen ihr Unternehmen als erste digitale Bank. Fintech-Firmen wie Moven oder Simple seien dagegen eher digitale Zugänge zu Bankdienstleistungen. Moven bietet unter anderem mobiles Bezahlen mit Hilfe von Near Field Communication (NFC) an. Der Finanzdienstleister empfiehlt, ein bestehendes Konto einzubinden. Simple ist mit Bancorp Bank verpartnert. Atom verfügt dagegen allein über die gesamte Wertschöpfungskette.Noch im zweiten Halbjahr soll es möglich sein, Konten bei Atom zu eröffnen. Leider lässt sich deren Anwendungssoftware für Smartphones, kurz App genannt, die Filialen und Telefonbanking gleichermaßen überflüssig machen soll, bislang nirgendwo herunterladen. Ob der Hype auch nur annähernd gerechtfertigt ist, lässt sich also nicht sagen. “Wir haben es nicht eilig, allen zu zeigen, was wir machen”, sagt Mullen. In ein paar Wochen soll eine Betaversion veröffentlicht werden. Die App wird in Unity programmiert – wie bislang vor allem dreidimensionale Spiele-Umgebungen. Einfach durch TechnikTechnologie werde ermüdende Vorgänge wie die Eröffnung eines Kontos vereinfachen. Mullen zufolge soll der Prozess komplett digitalisiert werden. Man könne Dokumente einfach einscannen, müsse nichts mehr per Post schicken oder gar physisch präsent sein. Auch Bonitätsabfragen und die Überprüfung der Identität ließen sich so abwickeln. Hauptaufgabe der Kundenbetreuung werde es sein, technische Hilfestellung zur App zu geben. Den Rest sollen die Kontoinhaber selbst erledigen. Atom verspricht aber nicht nur Zweckmäßigkeit und Einfachheit, sondern auch eine andere Herangehensweise an den Kunden. “Ich bin so froh, dass wir keinen Vertrieb haben”, sagt Mullen. “Jedes Mal, wenn Banken Leute eingestellt haben, um Kunden Produkte zu verkaufen, mussten sie ihnen ihr Geld am Ende zurückgeben. Sobald man Menschen mit dem Verkauf von Finanzprodukten beauftragt und die Entlohnung damit verknüpft, kommt Fehlverhalten dabei heraus.” Bislang habe man auch nicht vor, Versicherungen zu verkaufen. “Wir drücken keine Produkte durch.”Warum die etablierten Kreditinstitute Mobile Banking vorantreiben wollen, liegt auf der Hand. Einer Studie des Marktforschers Javelin zufolge belaufen sich die mit einer Transaktion verbundenen Kosten auf 10 US-Cent, während sie im Kontakt mit Mitarbeitern in der Filiale bei 4,25 Dollar liegen. Zudem verlangen die Kunden nach entsprechenden Angeboten. “Wir wollen für das bezahlen, was wir verwenden”, sagte Mullen. “Wenn das Kostenmodell auf der tatsächlichen Inanspruchnahme beruht, zahlt man nicht im gleichen Maße für Fixkosten wie die etablierten Banken. Atom ist eine Selbstbedienungsbank. Wir müssen uns nicht in einen neuen Vertriebskanal hineinzwängen und dabei das ganze Gepäck der Vergangenheit mit uns herumschleppen.”Die Bank könne auch ihre Preisgestaltung daran orientieren, welche Dienste Leute in Anspruch nehmen, nicht auf Grundlage dessen, dass sie die ganze Zeit verfügbar gehalten werden. “Software as a Service, für Transaktionen in einer Filiale bezahlen statt für die ganze Filiale” sind Beispiele, die Mullen dafür nennt. Und die Technologie von Atom sei neuer. “Wir sind nicht durch Akquisitionen gewachsen. Wir haben unsere IT so gebaut, dass sie genau das macht, was wir wollen. Wir haben keine Altlasten von etwas, das wir vor zehn Jahren übernommen haben. Die IT unterstützt nicht auch noch die ganzen Produkte, die wir schon lange nicht mehr verkaufen.” Kooperation mit FilialenDie Firma sitzt in Durham im Nordosten Englands, was im Vergleich zu Londoner Citybanken niedrigere Büromieten und Personalkosten garantiert. Was passiert, wenn man nicht auf das Internet zugreifen kann? “Vertrauen Sie mir, wenn Sie keine Internet- oder Telefonverbindung haben, hat sich in ihrer Welt eine Katastrophe ereignet. Dann können Sie auch mit einer herkömmlichen Bank keine Geschäfte machen, wenn Sie nicht gerade in einer Filiale stehen.” Allerdings werden Atom-Kunden Einzahlungen über “ein gut bekanntes Filialnetz in Großbritannien” tätigen können, dessen Namen Mullen noch nicht verraten will. Dort könnten auch Schecks eingereicht werden.Zudem hätten die Kunden Zugriff auf ein Netz von Geldautomaten, nicht nur in Großbritannien, sondern in der ganzen Welt. Festgeld, Sichteinlagen, einfache Girokonten, persönliche Kredite, Überziehungskredite und Hypotheken – so werde die Produktspanne aussehen. “Der Unterschied ist, dass es nur sehr wenige sein werden und dass ihre Preisgestaltung und Struktur sehr transparent sein werden.”Aber Atom ist nicht allein. Auch die deutsche Fidor drängt auf den britischen Markt, will sich zum Stand der Bemühungen aber nicht äußern. Starling Bank (zuvor Bank Possible) drängt in das zunehmend bevölkerte Marktsegment. Anne Boden, die unter anderem als COO von Allied Irish Banks tätig war, will allerdings kein komplettes Retail-Produktangebot, sondern lediglich Girokonten anbieten.Aber auch die Großbanken reagieren. Nach Jahren der Bilanzreparaturen und der Vergangenheitsbewältigung haben sie Luft, um das Thema Digitalisierung in Angriff zu nehmen. Die eigene App gehört auch bei alteingesessenen Privatbanken zum guten Ton. Selbst die Bank von Jane Austen und Lord Byron, die 1672 gegründete C. Hoare & Co., ist im Smartphone-Zeitalter angekommen.—-Zuletzt erschienen:- IT-Marathon bringt KfW an Grenzen (29. August)- Fintechs sind für Banken eine große Chance (28. August)