"Wir haben ein großes Potenzial im Vertrieb"
Von Michael Flämig, MünchenDer Krankenversicherer der Allianz in Deutschland will seinen Wachstumskurs forcieren. “Wir haben ein großes Potenzial im Vertrieb”, sagte die neue Vorstandsvorsitzende Nina Klingspor im Gespräch mit der Börsen-Zeitung. Denn die Allianz könne den Bestand ihrer Kunden, die sie quer über alle Sparten in Deutschland habe, stärker durchdringen. In der Krankenvollversicherung und insbesondere in der Pflegezusatzversicherung und in der betrieblichen Krankenversicherung sieht Klingspor Expansionsmöglichkeiten.Klingspor, die seit April dieses Jahres an der Spitze der Allianz Private Krankenversicherung (APKV) steht, ist sehr zufrieden mit der aktuellen Aufstellung des Unternehmens. “Der Krankenversicherer der Allianz in Deutschland hat einen tollen Weg in den vergangenen Jahren zurückgelegt, und diesen Weg wollen wir weitergehen”, erklärte sie in ihrem ersten Interview. In der Vollversicherung sei der Marktanteil im Neugeschäft (nach Beiträgen) in den vergangenen fünf Jahren auf 6,6 % verdoppelt worden – aus Sicht von Klingspor ein Riesenerfolg. Das Neugeschäft der APKV nach Beiträgen wuchs in der ersten Hälfte 2019 um 9 %, nachdem es im gesamten Vorjahr bereits um 11 % gestiegen war.Allerdings verloren die Münchner im vergangenen Jahr trotzdem altersbedingt im Saldo gut 10 000 Vollversicherte, so dass der Bestand um 1,7 % auf rund 601 000 Personen sank. Idealerweise solle der Bestand natürlich nicht schrumpfen, sagte Klingspor. Sie legte sich nicht darauf fest, wann dieses Ziel erreicht sein werde. In der Zusatzversicherung zählte die Allianz Ende vergangenen Jahres 2,1 Millionen Kunden. Dies sind 1,6 % mehr als im Vorjahr. Dax-Konzerne im VisierWachstumschancen rechnet sich die APKV-Chefin in der betrieblichen Krankenversicherung aus. Bereits in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahres sei jeder fünfte neu abgeschlossene Vertrag an die Allianz gegangen, rechnete sie vor. Klingspor erklärte den Erfolg mit einem neuen, im vergangenen Jahr gestarteten Tarif, den die Arbeitgeber sehr variabel nutzen könnten und der den Versicherten potenziell eine breite Palette von Leistungen biete.Im Gesamtbestand der gut 7 000 Unternehmen, die deutschlandweit eine betriebliche Krankenversicherung anbieten, dürfte der Allianz-Anteil aber deutlich unter 20 % liegen. Klingspor glaubt, dass eine eigene betriebliche Krankenversicherung als zusätzlicher Gesundheitsschutz ein Wettbewerbsvorteil für Arbeitgeber ist, weil sie sich damit im Wettstreit um Talente differenzieren könnten. Künftig wolle die Allianz verstärkt große Unternehmen als Kunden gewinnen, sagte Klingspor. Es seien bereits Verträge mit Dax-30-Konzernen geschlossen worden.Zusätzliche Ertragschancen bringe auch die Pflegezusatzversicherung, ist Klingspor überzeugt. Bereits im vergangenen Jahr habe die Allianz jede dritte derartige Police, die in Deutschland abgeschlossen worden sei, zeichnen können. Dieser Marktanteil sei zwar kaum mehr zu steigern, aber das Marktvolumen werde kräftig zulegen, sagte Klingspor. Sie begründete dies mit dem Bedarf der Bundesbürger. Für eine ambulante Pflege müsse jeder Pflegebedürftige im Schnitt 900 Euro monatlich zuzahlen, weil dieser Betrag nicht von der obligatorischen Versicherung abgedeckt werde. Bei einer durchschnittlichen Pflegebedürftigkeit von sechs Jahren entstehe ohne Versicherung eine hohe Belastung.Als Verkaufsargument will die Vorstandsvorsitzende quer über die Produktpalette verstärkt die Finanzkraft des Münchner Versicherers ins Feld führen. “Der Allianz-Konzern hat als einer der größten Investoren weltweit andere Möglichkeiten bei der Kapitalanlage als kleine Versicherer”, betonte Klingspor. Dies zahle sich für den Kunden aus, weil höherer Kapitalerträge zu stabileren Beiträgen führten – schließlich sei beispielsweise die Pflegezusatzversicherung im Kern ein Ansparprodukt.Die Allianz Private Krankenversicherung habe Rückstellungen in Höhe von 27 Mrd. Euro gebildet, hinzu kämen 5 Mrd. Euro unrealisierte Gewinne. Die im Branchenvergleich hohe Nettoverzinsung von 3,8 % im vergangenen Jahr sei fast vollständig den Kunden zugutegekommen, davon alleine durchschnittlich 3,3 % über den Rechnungszins. Die Investition in langlaufende Zinsträger kombiniert mit einer hohen Aktienquote ermögliche diese Verzinsung. Insgesamt habe die Allianz Private Krankenversicherung schon jeden fünften Euro in alternative Anlagen wie beispielsweise Autobahnen investiert. Mittelfristig solle der Anteil auf ein Drittel steigen. Keine RestrukturierungEinen Umbau oder gar eine Restrukturierung des Krankenversicherers hält Klingspor nicht für erforderlich. Die Richtung stimme, betonte sie. Kooperationen und kleinere Fintech-Zukäufe seien denkbar.Die EDV-Umstellung, die im vergangenen Jahr zu erheblichem Unmut der Kunden geführt hatte, weil sich die Erstattung von Arztrechnungen stark verzögerte, sei bewältigt: “Das System läuft absolut stabil.” Im zweiten Quartal habe es zwar in erheblich geringerem Ausmaß erneut Rückstände und damit längere Wartezeiten gegeben, jedoch habe dies nicht an EDV-Problemen, sondern an einer unerwartet hohen Zahl von eingereichten Rechnungen gelegen. Unter anderem mit Hilfe von Zusatzarbeitskräften seien diese Rechnungen bearbeitet worden.Mittlerweile würden Zweidrittel der eingereichten Rechnungen innerhalb von 24 Stunden ausgezahlt, weil das EDV-System in diesen Fällen den Anspruch prüfen könne, ohne dass ein Mensch eingreife. Diese sogenannte Dunkelverarbeitungsquote könne unter Umständen mit einer neuen Tarifgeneration in Richtung 100 % gesteigert werden, sagte Klingspor.